Ukraine-FlüchtlingeSollen alle Flüchtenden den neuen Schutzstatus S erhalten?
Der Bundesrat will für ukrainische Schutzsuchende zum ersten Mal den Status S aktivieren. Bei der Umsetzung sind allerdings noch Fragen offen.
Bereits mehr als eine Million Menschen haben wegen des Kriegs die Ukraine verlassen. In der Schweiz liessen sich bisher 320 Flüchtlinge registrieren. Der Bundesrat rechnet damit, dass die Zahlen in den kommenden Wochen steigen werden. Er will dafür sorgen, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer rasch und unbürokratisch Schutz erhalten, ohne dass die regulären Strukturen überlastet werden.
Genau dafür sei der Schutzstatus S gedacht, sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter vor den Medien. Der Bundesrat will diesen Status nun zum ersten Mal aktivieren. Definitiv entscheiden wird er in einer Woche, nach Konsultation der Kantone und der Hilfswerke. Im Bundesrat war der Entscheid dem Vernehmen nach nicht umstritten. Bei der Umsetzung müssen allerdings noch diverse Fragen geklärt werden.
Nahe an der EU-Regelung
Der Schutzstatus S wurde nach Erfahrungen aus den Jugoslawienkriegen in den 1990er-Jahren geschaffen. Der Vorteil: Die Schutzsuchenden müssen kein individuelles Asylverfahren durchlaufen. Die EU kennt eine vergleichbare Regelung. Der Bundesrat will den Schutzstatus S nun so ausgestalten, dass er der EU-Regelung weitgehend entspricht.
Trotz Status S: Wer nicht nur vor dem Krieg geflohen ist, sondern sich individuell verfolgt wähnt – etwa wegen politischer Tätigkeiten –, kann jederzeit ein Asylgesuch stellen, um den Flüchtlingsstatus zu erlangen. Die Unterbringung erfolgt direkt in den Kantonen. Diese sollen vom Bund mit einer Globalpauschale entschädigt werden. Die Kantone suchen derzeit zusätzliche Unterkünfte, doch ist auch die private Unterbringung möglich. Bereits nach einem Monat sollen die ukrainischen Flüchtlinge einer Erwerbstätigkeit nachgehen können.
Reisen im Schengen-Raum – etwa für Besuche von Verwandten in Nachbarländern – will der Bund grosszügig bewilligen. Damit wären die Ukrainerinnen und Ukrainer mit Schutzstatus S bessergestellt als beispielsweise Syrerinnen und Syrer mit einer vorläufigen Aufnahme. Erst vor kurzem hatte das Parlament das Reiseverbot für vorläufig Aufgenommene gesetzlich verankert. Es droht also eine Rechtsungleichheit. Keller-Sutter sagte dazu, Personen aus der Ukraine könnten im Schengen-Raum ohnehin frei reisen.
«Der Status S ist rückkehrorientiert.»
Hat der Bundesrat den vorübergehenden Schutz nach fünf Jahren noch nicht aufgehoben, so erhalten Schutzbedürftige eine Aufenthaltsbewilligung B. Der Status ist jedoch für vorübergehenden Schutz gedacht: Er sei «rückkehrorientiert», sagte Keller-Sutter. Deshalb seien derzeit auch keine Integrationsmassnahmen angedacht. Dieser Punkt wird in ersten Reaktionen kritisch gesehen.
Umstritten ist ausserdem die Frage, wie die Gruppe definiert werden soll, die unter den Schutzstatus S fällt. Hier geht es um Personen anderer Nationalität, die in der Ukraine lebten. Bereits auf EU-Ebene sorgte der Umgang mit ihnen für Diskussionen. Personen, die als Asylsuchende, Flüchtlinge und Langzeitaufenthalter in der Ukraine lebten und nicht in ihr eigenes Land zurückkehren können, sollen nun ebenfalls kollektiven Schutz erhalten. Kurzaufenthalter müssen dagegen ein Asylgesuch stellen. Für Studierende aus Drittstaaten ist eine Repatriierung vorgesehen.
Gelder für Integration
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) begrüsst die Pläne des Bundesrats, wünscht sich in einzelnen Punkten aber noch Anpassungen. «Es ist erfreulich, dass der Bundesrat den Schutzstatus S flexibel ausgestalten will», sagt SFH-Sprecher Peter Meier. Mögliche Probleme sieht die SFH beim Familiennachzug für Personen anderer Nationalität, die in der Ukraine gelebt haben. Ausserdem brauche es Integrationsbemühungen und die nötigen Mittel dafür.
Die Leiterin des UNHCR-Büros für die Schweiz und Liechtenstein, Anja Klug, begrüsst die Pläne ebenfalls. Wichtig sei dabei, dass die Gruppe der Flüchtlinge, die unter den Schutzstatus S fallen, weit gefasst werde, sagt Klug. Nicht nur Ukrainerinnen und Ukrainer, sondern auch Menschen anderer Nationalität, die in der Ukraine gelebt hätten und nicht in ihre Herkunftsländer zurück könnten, sollten den Schutzstatus S erhalten. Anja Klug würde es ausserdem begrüssen, wenn die Schweizer Regelung auch bei den Integrationsbemühungen möglichst nahe an der EU-Richtlinie wäre. Schliesslich ruft Klug dazu auf, angesichts des Kriegs in der Ukraine die anderen Krisenherde und Flüchtlingssituationen nicht zu vergessen.
Auf Afghanistan angesprochen, stellte Keller-Sutter am Freitag fest, dort herrsche kein Krieg. Eine Rolle spiele aber auch die Nähe der Ukraine zur Schweiz, die zu einer grossen Solidarität in der Bevölkerung führe. Gleichzeitig betonte die Justizministerin, durch die Aktivierung des Schutzstatus S könne das Asylsystem entlastet werden, sodass für die regulären Asylverfahren von Flüchtlingen aus anderen Ländern weiterhin genügend Kapazitäten bereitstünden. Kritisch äusserte sich am Freitag die SVP. Sie fordert, dass ukrainische Flüchtlinge möglichst in den Nachbarstaaten der Ukraine versorgt werden.
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