Gastkommentar zum SexualstrafrechtSo wird die Unschuldsvermutung aufgeweicht
Die vorgeschlagene Zustimmungslösung beim Schuldbeweis für Sexualstraftaten stellt einen wichtigen Rechtsgrundsatz infrage.
Dass es die Aufgabe der Strafverfolger ist, die strafrechtliche Schuld eines Angeschuldigten zu beweisen, ist eine fundamentale rechtsstaatliche Errungenschaft. Dazu sollten wir Sorge tragen, und zwar ganz entschieden – gerade angesichts der Aushöhlung des Rechtsstaats in zahlreichen autoritären Regimes.
Amnesty International ist dafür bekannt, sich weltweit für die Verteidigung rechtsstaatlicher Grundsätze einzusetzen. Umso befremdlicher scheint mir, dass sich ausgerechnet diese Organisation beim Sexualstrafrecht für die sogenannte Zustimmungslösung ausspricht. Dieses Modell aus Schweden wirft die Notwendigkeit des Schuldbeweises durch den Staat faktisch über Bord, auch wenn es sie formal beibehält.
Es wäre die Aufgabe der Staatsanwaltschaft, dieses «Nicht-Ja» zu beweisen.
Lassen Sie mich erklären: Bei der Zustimmungslösung würde die Strafbarkeit einer sexuellen Handlung nicht bei der Missachtung eines verbalen oder aus den Verhaltensumständen hervorgehenden «Neins» einsetzen. Vielmehr wäre schon die fehlende Zustimmung das relevante Kriterium. Damit wäre es die Aufgabe der Staatsanwaltschaft, dieses «Nicht-Ja» zu beweisen.
Eine «Nicht-Tatsache» kann aber schon von der Logik her nicht «bewiesen» werden. Damit wird die Beweislast automatisch dem Angeschuldigten zugeschoben. Er muss nun versuchen, zu beweisen, dass es doch in irgendeiner Form eine Zustimmung gegeben hat. Wenn ihm dieser Beweis nicht gelingt, hat er mit einem Schuldspruch zu rechnen.
Im Falle eines einvernehmlichen Sexualkontakts könnte somit bei der Zustimmungslösung eine Person A in einem späteren Beziehungskonflikt behaupten, die Person B habe seinerzeit ohne ihre Zustimmung eine sexuelle Handlung an ihr vollzogen.
Manche Exponentinnen und Exponenten der Zustimmungslösung schrecken zu Recht davor zurück, das Prinzip der Unschuldsvermutung preiszugeben.
Wenn die Person B die seinerzeitige Zustimmung von A nicht beweisen kann, läuft sie Gefahr, zu Unrecht wegen eines sexuellen Übergriffs verurteilt zu werden. Im Falle der Nein-Lösung hätte die zu Unrecht beschuldigte Person in einem Prozess immerhin noch den Schutz, dass die Anklagebehörde das «Nein» beweisen müsste.
Manche Exponentinnen und Exponenten der Zustimmungslösung schrecken zu Recht davor zurück, das Prinzip der Unschuldsvermutung preiszugeben. Wenn es um einen konkreten Schuldbeweis geht, stellen sie darum dann doch nicht einfach nur auf die Frage ab, ob eine «Zustimmung» vorlag oder nicht. Dafür verweisen sie auf den Gesamtkontext des Geschehens. Dort geht es letztlich immer darum, ob ein (wie auch immer geartetes) «Nein» missachtet wurde.
Auch die Präsidentin der FDP-Frauen, Susanne Vincenz-Stauffacher, eine Verfechterin der Zustimmungslösung, erklärt, es sei weiterhin die Strafbehörde, die beweisen müsse, dass der Wille des Opfers übergangen wurde.
Dies kann aber nur auf einen Beweis der Missachtung eines «Neins» hinauslaufen. Wenn es im konkreten Gesamtkontext dann doch immer wieder auf die Nichtrespektierung eines «Neins» ankommt, dann ist niemandem damit gedient, dies nach aussen hin als «Zustimmungslösung» zu propagieren. In diesem Sinne ist auch eine Schockstarre des Opfers als Ausdruck eines «Neins» zu verstehen.
Diese rechtsstaatlich fragwürdige Wirkung kann nun aber auch von den meisten Befürwortern der Zustimmungslösung nicht wirklich gewollt sein.
Im Übrigen müssen auch überzeugte Anhängerinnen und Anhänger der Zustimmungslösung dann auf die Nein-Lösung zurückgreifen, wenn im Laufe eines sexuellen Kontakts plötzlich ein Wechsel vom Ja zum Nein erfolgt. Ganz abgesehen davon dürfte ein konsequent durchgeführtes Zustimmungsprinzip längerfristig zum Problem führen, dass sich ins menschliche Sexualverhalten eine gegenseitige Absicherungstendenz einschleicht.
Eine konsequent ausgestaltete Zustimmungslösung würde also dazu führen, dass der Schuldbeweis nur noch formal beim Staat liegt. Faktisch würde er aber als Unschuldsbeweis dem Angeschuldigten zugeschoben. Diese rechtsstaatlich fragwürdige Wirkung kann nun aber auch von den meisten Befürwortern der Zustimmungslösung nicht wirklich gewollt sein. Deshalb nähern sie sich selbst den praktischen Beweiserfordernissen der «Nein-Lösung» an, ohne sich dessen wohl gänzlich bewusst zu sein.
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