Revision des SexualstrafrechtsSex nur dann, wenn beide wollen – die Politik denkt um
Alle sexuellen Handlungen ohne Einwilligung sollen bestraft werden können – auch wenn keine Gewalt angewendet wurde. Die Forderung bekommt jetzt Support von unerwarteter Seite.
Sexuelle Handlungen sollen nur stattfinden, wenn die Beteiligten einverstanden sind. Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. Zumindest gemäss dem heute in der Schweiz geltenden Strafgesetzbuch und der Rechtsprechung. Für eine Verurteilung wegen sexueller Nötigung oder Vergewaltigung reicht ein blosses «Nein» nicht aus. Das Opfer muss sich mit Händen und Füssen gewehrt haben, oder es muss psychisch unter Druck gesetzt worden sein. Das geht auf die Moralvorstellungen um die vorletzte Jahrhundertwende zurück: Geschlechtsverkehr ausserhalb der Ehe war strafbar. Eine Frau musste beweisen, dass ihr Gewalt angetan wurde. Sonst musste sie mit einer Strafe rechnen.
Heute geht es nicht mehr um Ehre, sondern um sexuelle Selbstbestimmung. Anlässlich des Frauenstreiks, der sich zum ersten Mal jährt, hat Amnesty International einen «Appell für ein zeitgemässes Sexualstrafrecht» lanciert, den rund 160 Personen aus Justiz, Politik und Kultur unterzeichnet haben, sowie ein paar Dutzend Parteien und Organisationen. Es soll jetzt vorwärtsgehen. Die sexuelle Selbstbestimmung, für die am 14. Juni 2019 eine halbe Million Menschen auf die Strasse gingen, müsse auch im Strafgesetzbuch abgebildet sein, so ihre Forderung.
Bisher waren viele Politiker skeptisch. Es war die Rede von «bürokratisiertem Sex», man müsse künftig den Rechtsanwalt mitnehmen zu einem romantischen Treffen, ätzten manche. Zudem wurde befürchtet, dass die Unschuldsvermutung ausgehebelt und die Beweislast umgekehrt würden.
In Schweden gilt: Nur Ja heisst Ja
Doch nun bekommt die Reform auch im Parlament immer mehr Zuspruch. SP-Ständerat Daniel Jositsch hatte sich vor einem Jahr noch skeptisch geäussert – er bezog sich dabei aber auf die in Schweden geltende Variante.
Sowohl Deutschland als auch Schweden hatten kurz davor ihre Gesetze angepasst. In Deutschland gilt seither das «Nein»-Modell: Bestraft wird, wer sich über das Nein oder den erkennbaren Willen des Gegenübers hinwegsetzt. Das schwedische Modell geht weiter: Es braucht eine Zustimmung für legale sexuelle Handlungen, verbal oder nonverbal. Will heissen: Nur Ja heisst Ja. Im Sommer 2019 wurde in Schweden erstmals ein Mann wegen «unachtsamer Vergewaltigung» zu einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt.
Er habe immer den Standpunkt vertreten, dass ein Missstand behoben werden müsse, sofern es einen gebe, sagt Jositsch. Und dies sei offensichtlich der Fall. Nach seiner Ansicht wäre eine angemessene Bestrafung sexueller Handlungen wider Willen in der Schweiz zwar theoretisch schon heute möglich. Die Gerichtspraxis sei offenbar eine andere. Deshalb brauche es nun eine Neuformulierung im Strafgesetz – nach deutschem Vorbild.
Auch Bundesrat dafür
Jositsch bildet mit Andrea Caroni (FDP) und Beat Rieder (CVP) die Subkommission, die sich mit diesem Teil der Strafgesetzrevision befasst. Auch Caroni war zunächst skeptisch. Er will verhindern, dass alle Formen der sexuellen Übertretungen in einen Topf («Vergewaltigung!») geworfen werden. Deshalb schlägt er ein dreistufiges Strafenmodell und die Einführung des neuen Tatbestands vor: Fälle mit Zwangsanwendung blieben sexuelle Nötigung beziehungsweise Vergewaltigung. Leichte Fälle ohne Zwang blieben sexuelle Belästigung. Dazwischen – für schwere Übergriffe ohne Zwang – gäbe es den neuen Tatbestand des sexuellen Übergriffs. «Damit könnte dem Grundsatz ‹Nein ist Nein› konsequenter nachgelebt werden», sagt der Ausserrhoder Caroni.
Support gibt es mittlerweile auch vom Bundesrat. Noch im vergangenen Herbst hatte sich die Landesregierung gegen eine Anpassung der beiden Strafgesetzartikel ausgesprochen. Es sollten lediglich die Mindeststrafen erhöht und der Vergewaltigungs-Tatbestand geschlechtsneutral formuliert werden.
Doch nun hat der Bundesrat seine Meinung offenbar geändert. Justizministerin Karin Keller-Sutter signalisierte während einer Sitzung der ständerätlichen Rechtskommission Anfang dieses Jahres Zustimmung zum Anliegen. Die Verwaltung erarbeitet nun einen Vorschlag, der nach den Sommerferien vorliegen soll. Dann geht er zuerst in die Vernehmlassung, dann ins Parlament.
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