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Frankreichs Drogenproblem
Im Kampf gegen die Narcos nimmt sich Frankreich jetzt Italien als Vorbild

Französische Zollbeamte zeigen am 7. November 2022 am Flughafen Orly südlich von Paris ein Paket Kokain. Im Bild sind zwei in Plastikfolie verpackte Pakete zu sehen, die von einer behandschuhten Hand gehalten werden.
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Und wieder zerbricht eine Illusion. Lange Zeit dachte man in Frankreich, das Drogenphänomen mit allen seinen Nebenwirkungen, der Sucht und der ganzen Gewalt, beschränke sich auf die grossen Städte, auf Paris, Lyon und, vor allem, Marseille. Nun entdecken die Franzosen, dass die Narcos offenbar überall angekommen sind, auch in mittleren und sogar kleinen Städten im ländlichen Frankreich.

Besançon, Dijon, Grenoble, Poitiers, Nîmes – man braucht nur die düsteren Schlagzeilen zu lesen, sie kommen aus allen Ecken des Landes. Sie handeln von Verdrängungskämpfen unter Clans, von sehr jungen Dealern und sehr jungen Auftragsmördern, von Razzien und von rekordgrossen Mengen beschlagnahmter Drogen.

«Der Dienst ist unterbrochen, wir haben Besuch von der Polizei»

Im Jahr 2023, so ergab es eine Studie der französischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, haben 1,1 Millionen Franzosen mindestens einmal Kokain konsumiert. Die sogenannte Uberisierung des Handels, also die Belieferung durch Kuriere, hat das Beschaffungsprinzip völlig revolutioniert – nicht nur in Frankreich, aber in Frankreich offenbar rasend schnell und massiv.

Die Kunden können ihr Cannabis oder ihr Kokain, die zwei wichtigsten Handelswaren, über Kanäle in den sozialen Medien bestellen, über Snapchat oder Tiktok zum Beispiel. Öffentliche Orte, wo gedealt wird, gibt es kaum noch. Die Kuriere liefern den Stoff, als wäre er eine Pizza.

Polizisten patrouillieren in der Innenstadt von Marseille nahe einem Drogenumschlagplatz, März 2024.

Neulich berichteten die Medien von einem Drogendienst, der sich während einer Razzia bei seiner Kundschaft entschuldigte mit der Nachricht: «Der Dienst ist momentan unterbrochen, wir haben gerade Besuch von der Polizei. Sehr bald sind wir wieder für Sie da.»

Die Logistik bei der Verteilung also hat sich verändert, doch die Banden sind die alten. Die grössten heissen DZ Mafia und Yoda, kommen aus Marseille, ihre Chefs sitzen in Dubai oder Casablanca. Die Kartelle locken junge Leute aus allen Regionen an, als Späher, Läufer, Dealer und Killer, ebenfalls über die sozialen Medien.

Es gibt dafür schnelles Geld. Oder den Tod. In den vergangenen Jahren sind in den Bandenkriegen allein in Marseille Dutzende junge Männer getötet worden. 2023 war ein Rekordjahr: 49.

Frankreichs Innenminister Bruno Retailleau während einer Medaillenverleihung für Polizeikräfte in Marseille, November 2024.

Frankreichs Innenminister, der rechte Politiker Bruno Retailleau, spricht deshalb von einer «Mexikanisierung» des Landes, und das ist bei aller Dramatik der Situation natürlich eine Übertreibung. Doch plakative Rede wirkt, wie die Umfragen zeigen. Retailleau gilt als Mann des Moments, er ist der populärste Minister im Kabinett.

Einen ähnlich harten, fast nur auf Repression ausgelegten Diskurs zur Drogenproblematik führt auch Justizminister Gérald Darmanin, der frühere Innenminister. Und das ist eine bemerkenswerte Konstellation. Selten in der Geschichte Frankreichs waren Innenminister und Justizminister ideologisch so eins wie diese beiden: Sie politisieren am äussersten rechten Rand des bürgerlichen Lagers.

Früher wurde bei der Regierungsbildung jeweils darauf geachtet, dass Innen- und Justizminister miteinander rivalisierten, einander kontrollierten. Der Innenminister gab den lauten Flic, den Bullen, der aufräumt; und der Justizminister erinnerte ihn daran, dass es Rechte und Gesetze gibt. Nun reden beide gleich.

Das Problem mit den Handys im Gefängnis

Darmanin schlägt vor, dass die «hundert grössten Narcos im Land», wie er sie nennt, in ein und derselben Haftanstalt untergebracht und in Einzelhaft verwahrt werden sollten. So soll dem Umstand gewehrt werden, dass die Bosse, wie das bisher oft der Fall ist, ihr Geschäft aus dem Gefängnis weiterführen – mit Handys, die ihnen bestochene Beamte in die Zelle schmuggeln. Sogar Morde geben sie in Auftrag. In der Hochsicherheitsanstalt, die Darmanin vorschwebt, sollen deshalb zur Sicherheit die Mobilfunkwellen gestört werden.

Nur, wie soll das gehen, ohne dass der ganze Betrieb zum Erliegen kommt? Und: Ist es überhaupt gescheit, die Drogenbosse alle an einem Ort zu sammeln? Fördert man damit nicht eher eine Brutstätte der Kategorie, eine sonderbare Art Eliteschmiede?

Der französische Innenminister Gerald Darmanin telefoniert während des Besuchs von Präsident Emmanuel Macron in Marseille, vor einer gestreiften, graffitibedeckten Wand stehend, begleitet von einem Polizisten, am 19. März 2024.

Eigentlich, finden kritische Experten auch, bräuchte es für dieses Projekt eine neue, moderne Haftanstalt. Die bestehenden Häuser sind schon chronisch überbelegt: 17’000 Plätze fehlen im französischen Haftsystem. So ein Neubau dauert aber fünf bis sieben Jahre. Darum will man sich nun auf die Suche eines Gefängnisses machen, das sich mit einigen wenigen Anpassungen eignen würde.

Vier stehen in der engeren Auswahl, im Sommer soll der Austausch der Insassen passieren. Interessant wird sein, was Darmanin genau unter den «hundert grössten Narcos im Land» versteht, wie er Grösse definiert und wie sich diese mit den Gesetzen deuten lässt.

Frankreich lässt sich von Italien im Kampf gegen Drogen inspirieren

Den umfassendsten Ansatz im Kampf gegen das Drogengeschäft versucht nun das Parlament. Es liegt ein Gesetzentwurf vor, der von links und rechts getragen wird, eine wahre Rarität in Frankreich. Inspirieren lassen sich die Franzosen von den Italienern, und auch das ist ein seltenes Ereignis.

Geplant ist, dass Frankreichs Justiz eine zentralisierte Ermittlungsbehörde bekommt, deren Staatsanwälte sich allein mit dem organisierten Verbrechen beschäftigen. PNACO, so das Akronym, steht für «Parquet national anti-criminalité organisée». Der Richterpool ist der italienischen Anti-Mafia-Behörde nachempfunden. In Frankreich gibt es bereits zwei spezialisierte Einheiten: Eine beschäftigt sich ausschliesslich mit dem Kampf gegen den Terrorismus, die andere mit Finanzdelikten.

Bei den Italienern schaut man sich auch die Rolle und den Status der «pentiti» ab, also der mehr oder weniger reumütigen Kronzeugen. Ohne Insiderwissen, das haben nun auch die Franzosen verstanden, kommt der Staat dem organisierten Verbrechen nicht bei.

Vier bis sechs Milliarden Euro im Jahr

Neu soll es auch in Frankreich den Tatbestand «Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation» geben. Den Italienern gelang es damit, auch die sogenannten Weisskragen zu belangen, etwa die Notare und Banker und Politiker, die der Mafia helfen. Und da am Ende immer alles übers Geld und über den Reichtum läuft, soll es auch in Frankreich bald möglich sein, dass der Staat die Güter und Millionen der Banden und ihrer Bosse ohne langwierigen Gang durch die Gerichte beschlagnahmen und einfrieren darf.

Das Geschäft der Narcos in Frankreich wird insgesamt auf vier bis sechs Milliarden Euro Umsatz im Jahr geschätzt. Das ist ein Bruchteil dessen, was die drei grossen italienischen Kartelle in Italien und der Welt umsetzen: die kalabrische ’Ndrangheta, die sizilianische Cosa Nostra und die neapoletanische Camorra. DZ Mafia und Yoda aus Marseille sind im Vergleich kleine Clans. Aber sie wachsen schnell.