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Marc Rich, Ivan Glasenberg und Co.
Die besondere Rolle der Schweiz im Rohstoff-Business

Verkehrte mit den Mächtigen: Rohstoffhändler Marc Rich. 
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Es geht um gerissene Händler, skrupellose Despoten und Behörden, die erst nach Jahrzehnten merken, wie lukrativ und oft auch korrupt das Geschäft mit den Rohstoffen eigentlich ist. Das Buch «The World for Sale» der beiden Bloomberg-Journalisten Javier Blas und Jack Farchy bietet Einblicke in die verschwiegene Branche der Rohstoffhändler. Die Autoren begleiten sie seit Jahren und haben für ihr Werk Dutzende aktuelle und ehemalige Entscheidungsträger aus dem internationalen Rohstoffhandel interviewt, im auf Englisch erhältlichen Buch lassen sich aber nur wenige namentlich zitieren.

Die Schweiz spielt im Rohstoffhandel und damit auch im Buch eine besondere Rolle. Tiefe Steuern, die zentrale Lage in Europa, der Zugang zum internationalen Finanzsystem und die schwache Regulierung boten ihr in den letzten Jahrzehnten den idealen Nährboden für das Geschäft mit Kohle, Öl oder Gold. In der Schweiz sind gegen 500 Unternehmen mit rund 10’000 Mitarbeitenden in der Rohstoffbranche tätig. Auch wenn meist kein Gramm dieser Waren jemals Schweizer Boden berührt.

Der Vater des Schweizer Rohstoffhandels

Gewerkschafter aus den USA und der Schweiz vor einem Plakat mit dem flüchtigen Marc Rich.

Ein Mann hat daran einen grossen Anteil: Marc Rich. Der in Belgien geborene US-Geschäftsmann sorgte dafür, dass der Rohstoffhandel in der Schweiz bedeutend wurde. Er prägte eine ganze Branche, denn seine Deals wurden später oft kopiert. Indem er Jamaika zu Beginn der Achtzigerjahre mit einer Öllieferung auf eigene Kosten vor der Staatspleite bewahrte, erschloss er sich den Zugang zu wertvollen Aluminiumvorkommen. Seine Öldeals mit dem Iran und Südafrika, bei denen er internationale Sanktionen umging, machten ihn zum Urtyp des skrupellosen Rohstoffhändlers. Kein Wunder, soll der Hollywoodschauspieler Matt Damon einen Film über ihn planen, basierend auf dem Buch «King of Oil» des Schweizer Journalisten Daniel Ammann. Die Geschäfte von Rich brachten ihm nicht nur ein Vermögen ein, sondern brachten ihn auch auf die Liste der meistgesuchten Verbrecher der USA. US-Präsident Bill Clinton begnadigte Rich 2001.

«The World for Sale» beschreibt nicht nur seinen Aufstieg, sondern auch seinen Abstieg. Denn seine Firma war in den Neunzigerjahren schwer angeschlagen, und er konnte sich nicht von ihr lösen. Laut dem Buch wurde auch Martin Ebner als einer der Retter von Marc Richs Firma gehandelt. Da er aber bei der Ausrichtung des Unternehmens mitreden wollte, suchten Richs Nachfolger um Willy Strothotte einen anderen Partner. Diesen fanden sie im Pharmakonzern Roche. Der suchte eine Möglichkeit, um seine grossen Bargeldreserven sinnvoll anzulegen. Aus Richs Firma entstand so später Glencore, zahlreiche Ex-Mitarbeiter hatten sich schon vorher selbstständig gemacht und mit Trafigura einen zweiten Schweizer Händler gegründet.

Die Erben von Rich

Glencore-Chef Ivan Glasenberg im Jahr 2012.

Der heutige Glencore-Chef Ivan Glasenberg hat viel von Rich gelernt. Eigentlich hoffte er 1984 als Geher an den Olympischen Spielen in Los Angeles teilzunehmen. Aber Athleten aus Südafrika blieben wegen der Apartheid gesperrt. Im gleichen Jahr heuerte er bei Marc Rich an. Und arbeitete zunächst im Büro in Johannesburg. Also dort, wo Rich dafür sorgte, dass Südafrika trotz des UNO-Embargos Öl erhielt. Glasenberg war aber nicht im Ölbusiness, sondern in der Kohleabteilung. Dort glänzte er und wechselte schon bald in die Zentrale nach Zug. «Marc (Rich) hat mir immer gesagt, Glasenberg sei der Typ, der Glencore auf die nächste Stufe führen wird», so Josef Bermann, der ehemalige Aluminium-Chef von Glencore.

Mit «Good Afternoon» begrüsste Ivan Glasenberg Mitarbeiter, wenn sie bei Glencore nach 8.30 Uhr im Büro erschienen.

Rich-Nachfolger Strothotte und Glasenberg werden im Buch als völlig unterschiedliche Persönlichkeiten beschrieben. Strothotte als ein polyglotter Geschäftsmann, der auch an einem Werktag alle Glencore-Kader zu einem Ausflug in den Golfclub Schönenberg mitnahm. Glasenberg als sparsamer Manager, der auch am Wochenende Sitzungen abhielt. Wer nach 8.30 Uhr im Büro auftauchte, wurde mit einem «Good Afternoon» begrüsst – so wie das auch Rich zu tun pflegte. Persönliche Kontakte sollen ihm wenig bedeutet haben. «Nachdem ich meinen Abschied bekannt gegeben hatte, sprach Ivan nicht mehr mit mir», so ein Ex-Glencore-Mitarbeiter.

Als Glasenberg 2002 bei Glencore übernahm, formte er die Firma zum grössten Rohstoffkonzern der Welt. Nun tritt er ab. Spannend wird sein, wie sich die Firma unter Glasenbergs Nachfolger Gary Nagle entwickelt.

Der Aufstieg von Genf

Genf ist heute ein Zentrum des internationalen Rohstoffhandels.

Von Rich inspiriert, gingen auch andere Rohstoffhändler Tauschdeals mit Staaten ein. So lieferte Vitol dem Inselstaat Kuba Öl und nahm Zucker als Gegenleistung. Als Kuba in den Neunzigern nicht mehr zahlen konnte, gestand Fidel Castro der Firma als Gegenleistung zu, in Havanna ein Luxushotel zu betreiben. Der ehemalige Vitol-Chef Ian Taylor traf sich dort ab und zu mit Fidel Castro auf eine Zigarre. Später entwickelten sich die ehemaligen Sowjetrepubliken zum Eldorado der Branche. Da liess sich viel Geld verdienen, weil die Rohstoffe deutlich unter dem Weltmarktpreis zu haben waren. Wer sich aber mit den falschen Leuten anlegte, wurde erschossen oder verschwand einfach.

Als der Oligarch Chodorkowski von Putin gestürzt wurde, ergab sich für die Schweizer Händler eine einmalige Chance.

Die Genfer Rohstoffkonzerne Mercuria und Gunvor waren zur richtigen Zeit am rechten Ort. Sie erhielten Anfang der Nullerjahre die Lizenz dafür, Öl aus Russland zu exportieren. Mercuria brachte den Rohstoff nach China, dem damals verheissungsvollsten Markt. Gunvor profitierte davon, als der russische Präsident Wladimir Putin Hilfe brauchte, um das Öl des in Ungnade gefallenen Oligarchen Michail Chodorkowski zu verkaufen. Gunvor-Chef Torbjörn Törnqvist sei gewarnt worden, dass der damals reichste Mann Russlands von Putin bald fallen gelassen werde: «Ich sah darin eine einmalige Chance.»

Leichen im Keller

Zug ist mit der Anwesenheit von Glencore in den Fokus der Weltöffentlichkeit geraten. 

Doch die goldenen Zeiten gehen vorbei. Ein profaner Entscheid aus dem Jahr 2014 markiert die Zäsur: Die französische Bank BNP Paribas gewährt Trafigura keine Kredite mehr. Weil die Bank von den USA wegen der Umgehung von US-Sanktionen mit einer 9 Milliarden Dollar schweren Busse bestraft wurde.

«Es gibt viele Leichen, und viele, wahrscheinlich die meisten, werden nie an die Oberfläche kommen.»

Torbjörn Törnqvist, Gunvor-Chef

Danach änderten sich die Regeln des Geschäfts, in dem Bestechung und Korruption jahrzehntelang dazugehörten. Gunvor-Chef Torbjörn Törnqvist sagt im Buch: «Es gibt viele Leichen, und viele, wahrscheinlich die meisten, werden nie an die Oberfläche kommen.» Doch es handelt sich dabei nicht nur um alte Geschichten, immer wieder tauchen neue Fälle auf, die kein gutes Licht auf die Branche werfen.

Der düstere Ausblick für die Händler

«The World for Sale» zeigt eindrücklich, wie die Rohstoffhändler ihre Deals mit Oligarchen, Despoten und Diktatoren aushecken. Ganz nach dem Motto: Je kniffliger das Land, desto mehr Möglichkeiten gibt es. Sachkundig werden dabei das Geschäft und sein Wandel erklärt. Doch das Buch hat eine Schwäche: Die Auswirkungen der Entscheide von rohstoffreichen Staaten auf die Bevölkerung werden kaum gezeigt, die Opfer der zahlreichen Skandale bleiben eine Randnotiz.

Das Fazit des Buchs ist dennoch relevant. Die besten Zeiten könnten für die Schweizer Rohstoffhändler vorbei sein, so der Schluss der Buchautoren Blas und Farchy. China, der beste Kunde der letzten Jahre, deckt sich zunehmend selber ein. Chinesische Unternehmer müssen sich auch nicht vor dem langen Arm der US-Behörden fürchten. Rohstoffe, auf denen der Erfolg der Händler basierte, wie etwa Öl und Kohle, werden an Bedeutung verlieren. Nur langsam beginnt sich die Branche davon zu verabschieden.

«The World for Sale» von Javier Blas und Jack Farchy. Erschienen bei Random House Business. Ab März erhältlich. 27 Franken.