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Superfood Blütenpollen
So fleissig sind die Bienen

Abgestreifte Pollenhöschen. Die verschiedenen Farben bedeuten, dass die Bienen auf unterschiedlichen Pflanzen gesammelt haben.
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Das Glas sieht aus wie Harry Potters Vorrat an Zauberbohnen. Darin leuchten Körner in Dutzenden Farben, die gelben stammen vom Mais, weisse von der Pfefferminze, orange von der Margerite. Es sind Blütenpollen, genauer: Pollenhöschen, die Bienen nach Hause gebracht haben. Jo Roth, Imker im Nebenamt, Reisebegleiter im Hauptjob, schraubt gerade nicht nur ein Glas voller Pollen auf, sondern eröffnet damit eine Welt abseits von Bienenstockromantik und Honigbroten. Roth selbst weiss viel über das Bienenuniversum, was ihm nicht gerade in den Sinn kommt, schaut er nach. Er ist einer von nur ein paar Dutzend Pollensammlerinnen und -sammlern in der Schweiz.

Für 100 Gramm Pollen, also ein Glas voll, haben fleissige Bienen 14’000 Flüge absolviert. Auf denen sie auch schon mal hungrig werden und sich der Bordverpflegung widmen: Nektar – oder eben Pollen.

Blütenpollen sind aber nicht nur Superfood für Bienen, sondern auch für Menschen. Weil sie voller hoch konzentrierter Vitalstoffe sind, die, glaubt man einschlägigen Berichten, gegen ungefähr jedes Wehwehchen helfen. Sicher ist, Pollen werten ein Müesli auf, sowohl farblich als auch geschmacklich – und auch da gibt es grosse Unterschiede. Sie schmecken mal zauberhaft, mal ziemlich herb. Blütenpollen zum Beispiel, die Bienen vom Salbei gesammelt haben, sind zuckersüss, die von Rosskastanien bitter, und obwohl die vom Natterkopf schön blau leuchten: Sie schaden der Niere.

Imker Jo Roth liefert alles per Velo aus. Fleissig wie seine Bienen.

In Jo Roths Umgebung gibt es keinen Natternkopf. Der Imker lebt in Bremgarten bei Bern, am Haus hängt das Bio-Suisse-Schild. Daneben steht eines seiner Bienenhäuschen, am Rande des Gartens. Ein paar Meter weiter fliesst die Aare, Hühner gackern und wühlen die Wiese auf. Es ist eine Bilderbuchlandschaft und mittendrin Roth. Wenn die Sonne scheint, tanzen Staubkörner um seinen Kopf, Blütenstaub, Bienen schwirren um ihn herum, bevor sie in den farbigen Eingängen des Bienenstocks verschwinden – ein bisschen romantisch sieht es eben schon aus. Selbst wenn man es mit Hochleistungssportlerinnen zu tun hat: Sechs Bienenvölker «arbeiten» hier für Jo Roth, er vertreibt auch ihren Honig, aber eben auch: Blütenpollen.

Nicht so ein gutes Jahr

Um als Mensch an diese Pollen zu kommen, muss Roth seine Bienen ein wenig veräppeln, «verarschen», sagt Jo Roth. Im Sinne von: Er muss sie glauben machen, dass sie immer mehr Pollen anschaffen müssen (für den Nachwuchs). Pollen gewinnt man nämlich so: Kehren Bienen in ihren Stock zurück, kriechen sie durch ein Gitter, so bleiben ihre Pollenhöschen hängen. Man nennt das Pollenfalle, es gibt verschiedene, das Prinzip bleibt sich jedoch immer gleich. Jeden Abend leert Roth die Schublade, wo sich die Pollen gesammelt haben, wäscht und desinfiziert die Gitter und legt sie anderntags wieder ein. Die Pollen wandern sofort in den Tiefkühler, um nicht zu verderben. Und die Bienen schwärmen wieder aus, um mehr Futter heimzubringen.

Weil das sowohl für die Tiere als auch für den Imker ermüdend ist, gibt es Pausen, Roth entfernt manchmal eine Falle, dieses Jahr etwa legt er nur jeweils zwei von dreien ein, und nach maximal zwei Monaten ist sowieso Schluss: Pollenblüten sammelt man nur innerhalb eines eher kleinen Zeitfensters – vom Blühen des Löwenzahns bis zur Maisblüte. Letztes Jahr sei das Wetter «bombastisch» gewesen, «das ging ab wie Sau». Jo Roth hörte nach sechs Wochen auf zu sammeln, sonst hätten die Bienen ein Burn-out gehabt. Zwei Kilogramm Pollen «erntete» er pro Tag. Dieses Jahr sind es noch knapp mehr als ein halbes Kilo, das Wetter ist nicht mehr so gut.

Noch ein, zwei Wochen setzt er die Fallen ein. Dann ist Schluss, und die Bienen können sich erholen und auch wieder Honig produzieren, weil sie nicht mehr so viele Pollen heimschleppen müssen. So ein Pollenhöschen wiegt immerhin ungefähr fünf Milligramm.

Nach dem Einflug müssen die Bienen die weisse Pollenfalle passieren. 

Der Imker holt zur Anschauung eine Falle aus dem Häuschen. Die Löcher sind so zugeschnitten, dass Bienen ohne Probleme durchschlüpfen können, dabei aber Pollen liegen lassen. «Ältere checken das und nehmen die Beine zusammen», sagt Roth trocken.

Er spricht von den Bienen wie von Menschen. Manchmal gebe es Zickenkrieg, sagt er, oder «die Drohnen sünnelen vor dem Eingang, während die Ladys ausschwärmen». Letztere, erklärt er, hätten es in der Stadt ja eigentlich besser, weil dort ein Shoppingparadies sei. In seiner Stadt, Bern, auf der Dachterrasse des Hotels Schweizerhof, betreut er ebenfalls ein paar Völker. Dort gibt es «Alleen von blühenden Bäumen ohne Pestizide», zurzeit zum Beispiel Akazien, und die «Einkaufswege» – sprich Pollenbeschaffungswege – sind kurz. Ein bisschen so wie in einem Menschenleben: Auf dem Land gibt es eine Landi und einen Volg, in der Stadt alles. Was das Leben doch ein wenig bequemer macht.

35 Völker an verschiedenen Standorten

Jo Roth hat früh für Citizen Bees gearbeitet, eine Organisation, die sich für Bienenstöcke auf urbanen Dächern einsetzt. Er hat meist um die 35 Völker an verschiedenen Standorten, allerdings hat er 17 verloren über den Winter. Ah, Bienensterben. Ja, natürlich, das sei ein Thema, sagt Roth. Doch so viele Faktoren seien für den Bienenschwund verantwortlich, die eingeschleppte Varroamilbe, Pestizide und so weiter. Selbst wenn die Probleme menschengemacht sind – Roth sieht es als naturgegeben, dass die Starken überleben. Auch wenn er grosse Einbussen hat.

Blütenpollen sammelt er nur neben seinem Haus. Zu gross wäre der Aufwand, wenn er jeden Abend noch in die Stadt schwirren müsste, um Schubladen zu wechseln. Ungefähr 20 bis 30 Kilogramm Blütenpollen kommen so pro Jahr zusammen. Die packt er in eine Kühltasche und fährt damit nach Wila ZH, wo die Pollen gereinigt und getrocknet werden. Im Zug – sonst mache er «alles mit dem Transportvelo», er sei «Bio aus Überzeugung».

Ein Gläschen kostet um die 15 Franken, viel ist das nicht, wenn man an die Arbeit denkt, die dahintersteckt. Jene des Menschen und jene der Bienen. Doch: Mehr als zwei Teelöffel pro Tag sollte man sowieso nicht zu sich nehmen, Allergikerinnen sogar noch weniger – man muss es vorsichtig ausprobieren. Ein bisschen wie mit Zauberbohnen.

Für 200 Gramm Blütenpollen (links) waren 28’000 Bienenflüge notwendig.