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Halbjahresergebnis der Nationalbank
Zentralbanken liefern jahrelang keine Gewinne mehr an den Staat

Nichts mehr zu verteilen: Thomas Jordan, Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank.
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Die Schweizerische Nationalbank weist für das zweite Quartal einen Verlust von 13,2 Milliarden Franken aus. Für die ersten sechs Monate des laufenden Jahres ist es ein Gewinn von 13,7 Milliarden Franken. Nach dem ersten Quartal waren es noch plus 27 Milliarden gewesen. Zwar haben die Aktienmärkte seit April weiter zugelegt, aber die Aufwertung des Frankens und die höheren Zinsen haben zu grösseren Verlusten geführt.

Damit im nächsten Jahr eine Ausschüttung an Bund und Kantone erfolgen kann, müsste die Nationalbank im ganzen Jahr einen Gewinn von mindestens 45 bis 50 Milliarden Franken erwirtschaften, schätzen die Ökonomen der UBS, Alessandro Bee und Florian Germanier, in einer Analyse zum Nationalbank-Gewinn. Das ist nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich. Gewinnausschüttungen rücken damit in weite Ferne.

Im vergangenen Jahr hatte die Nationalbank einen Rekordverlust von 132 Milliarden Franken erzielt. Der Bankrat entschied deshalb auf Antrag des Direktoriums, keine Dividende an die Aktionärinnen und Aktionäre und keine Ausschüttung an Bund und Kantone vorzunehmen.

Wegen der enorm grossen Bilanz von zurzeit rund 886 Milliarden Franken – das ist mehr als das Bruttoinlandprodukt der Schweiz – wirken sich Bewegungen an den Finanzmärkten extrem auf das Jahresergebnis aus.

So führt eine Aufwertung des Frankens gegenüber den wichtigsten Währungen um 1 Prozent bei der aktuellen Höhe der Devisenanlagen zu einem Verlust von 7 bis 8 Milliarden Franken. Ein ähnlich hoher Verlust ergibt sich, wenn die Aktienkurse an den Börsen um 4 Prozent oder die Anleihekurse um 1,4 Prozent fallen.

Notenmonopol garantiert auf lange Frist Gewinne

Verluste vermindern das Eigenkapital. Dieses ist mit rund 9 Prozent der Bilanzsumme im historischen Vergleich sehr niedrig. Es deckt nur noch 11 Prozent der Devisenanlagen. Würde die Nationalbank auf ihren Devisenanlagen also 11 Prozent verlieren, wäre das Eigenkapital weg. Das Risiko wäre dann gross, dass die Nationalbank früher oder später durch den Staat neu kapitalisiert werden müsste.

Theoretisch kann eine Zentralbank allerdings auch ohne Eigenkapital funktionieren. Ihr Fremdkapital besteht nicht aus Krediten und Anleihen wie bei einer Geschäftsbank, sondern in erster Linie aus im Verkehr befindlichen Banknoten und aus Sichtguthaben, die die Geschäftsbanken bei der Zentralbank halten. Zu einer Kapitalflucht der Fremdkapitalgeber kann es also nicht kommen.

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Die Nationalbank besitzt das sogenannte Notenmonopol, sie kann sich also billig finanzieren, während sie gleichzeitig auf der Aktivseite ihrer Bilanz zum Beispiel mit Devisenanlagen Gewinne erzielen kann. Das Notenmonopol verleiht der Zentralbank damit ein Geschäftsmodell, das auf lange Frist Gewinne garantiert.

Ein vorübergehend negatives Eigenkapital kann deshalb mit einbehaltenen Gewinnen wieder aufgefüllt werden. Anders als bei einem normalen Unternehmen besteht für die Nationalbank von Gesetzes wegen auch keine Pflicht zu Sanierungsmassnahmen, wenn das Eigenkapital aufgezehrt ist.

Zentralbanken ohne Eigenkapital werden abhängig von der Politik

Mehrere Zentralbanken wiesen in der Vergangenheit ein negatives Eigenkapital auf, erfüllten aber ihre Aufgabe dennoch, so die Zentralbanken Chiles, der Tschechischen Republik, Israels und Mexikos. 

Ein negatives Eigenkapital einer Zentralbank stelle deshalb «kein Problem dar, da es ihre allgemeine Fähigkeit zur Durchführung der Geldpolitik nicht beeinträchtigt», halten zwei Ökonominnen der Deutschen Bundesbank und ein Ökonom der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder in einer kürzlich veröffentlichten Analyse zum letztjährigen Verlust der Nationalbank fest.

Eine Zentralbank ohne Eigenkapital würde aber abhängig von der Politik und könnte ihre Glaubwürdigkeit an den Märkten verlieren. Denn wenn sie möglicherweise jahrelang keine Gewinne an den Staat abliefern kann, weil sie zuerst das Eigenkapital auffüllen muss, dürfte der Druck aus der Politik stark zunehmen und ihre politische Unabhängigkeit infrage gestellt werden.

Während über die Verluste der Nationalbank in der Schweiz seit längerem ausgiebig debattiert wird, ist das Thema in anderen Ländern noch kaum in der Bevölkerung angekommen. Das dürfte sich bald ändern.

Denn die steigenden Zinsen wirken sich sowohl auf der Aktiv- wie auf der Passivseite der Zentralbank-Bilanz negativ aus. Auf der Aktivseite verlieren die Staatsanleihen, der grösste Aktivposten, an Wert. Auf der Passivseite stehen die enorm gestiegenen Sichtguthaben der Geschäftsbanken, welche die Zentralbank nun zu den höheren Leitzinsen verzinst. Damit fliessen Milliarden zu den Banken, was zwar zur Durchsetzung der Geldpolitik nötig ist, aber von der Bevölkerung kaum verstanden wird.

Deutsche Bundesbank kann voraussichtlich elf Jahre lang keine Gewinne mehr abliefern

Die Europäische Zentralbank und ihre Ländernotenbanken steuern deshalb auf hohe Verluste zu. Gemäss den Projektionen in einem neuen Arbeitspapier des Internationalen Währungsfonds werden die Notenbanken des Eurosystems in den Jahren 2023 und 2024 kumulierte Verluste in Höhe von etwa 55 Milliarden Euro schreiben. Das entspricht etwa einem halben Prozent des Bruttoinlandprodukts der Eurozone.

Von den fünf grössten Notenbanken des Eurosystems wird die deutsche Bundesbank wahrscheinlich die grössten und dauerhaftesten Verluste verzeichnen. Sie werden fast 1,2 Prozent des Bruttinlandprodukts erreichen, bei der Banque de France voraussichtlich 0,7 Prozent.

Die Verluste werden Rückstellungen und Eigenkapital komplett aufzehren. Beide Zentralbanken werden ein negatives Eigenkapital aufweisen, die Banque de France vier, die Bundesbank gar sieben Jahre lang. In ungünstigeren Szenarien könnten weitere Notenbanken des Eurosystems in eine solche Situation geraten, schreiben die Autoren des Berichts.

Politisch brisant sind die zu erwartenden Auswirkungen auf die Gewinnausschüttungen. Es ist damit zu rechnen, dass die betroffenen Zentralbanken jahrelang keine Gelder mehr an ihre Staaten werden abliefern können – in Deutschland voraussichtlich elf, in den Niederlanden vier, in Frankreich drei und in Spanien zwei Jahre lang.