Rekordverluste an den MärktenEs gibt keinen Geldsegen mehr von der Nationalbank
Im laufenden Jahr hat die Schweizerische Nationalbank bereits 142 Milliarden Franken verloren. Das dürfte für die Kantone und auch für den Bund spürbare Folgen haben.
Die Schweizerische Nationalbank hat im bisherigen Jahresverlauf ein grosses Minus eingefahren. Konkret weist sie für die Periode von Januar bis September einen Verlust von 142,4 Milliarden Franken aus, wie sie am Montag mitteilte. Nach einem Minus von 32,8 Milliarden im ersten und 62,4 Milliarden im zweiten Quartal kamen somit im dritten Jahresviertel nochmals 47,2 Milliarden dazu.
Es handelt sich um den grössten Verlust der Nationalbank in ihrer über 100-jährigen Geschichte. Ganz überraschend sind die Zahlen allerdings nicht – das Halbjahresminus war schon bekannt, und mit einem weiteren hohen Verlust im dritten Quartal war angesichts der Turbulenzen an den Finanzmärkten vor allem im September gerechnet worden.
Das dicke Minus für die ersten drei Quartale ist eine schlechte Nachricht für Bund und Kantone. Sie konnten in den vergangenen Jahren regelmässig mit hohen Gewinnausschüttungen der Nationalbank rechnen – im letzten Jahr waren es 6 Milliarden Franken. Viele Kantone haben die Nationalbankgelder für die nächsten Jahre schon eingeplant.
Zwar beläuft sich die für die Zahlungen relevante Ausschüttungsreserve nach dem Jahresergebnis 2021 auf hohe 102 Milliarden Franken. Da die Nationalbank gemäss Schätzungen der Grossbank UBS auch dieses Jahr zusätzliche Rückstellungen von gegen 10 Milliarden tätigen dürfte, müsste sie aber bereits bei einem Jahresverlust von etwa 93 Milliarden Franken auf Ausschüttungen an Bund und Kantone verzichten.
Auch wenn sich die Märkte in den vergangenen Wochen etwas erholt haben – der Franken hat sich zu Euro und Dollar etwas abgeschwächt, und die Börsen legten wieder zu –, dürfte es schwierig werden. Die übliche Gewinnausschüttung an Bund und Kantone ist gefährdet.
Dies dürfte in manchen Kantonen ein Loch ins Budget reissen. In den letzten zwei Jahren machten die Nationalbankmilliarden je nach Kanton zwischen zwei und sechs Prozent des Gesamtertrags aus. Bei einem Wegfall könnte dies das kantonale Finanzergebnis ins Defizit ziehen, warnte die UBS jüngst. Und: Wenn die Konjunktur einbricht und in der Folge die Steuereinnahmen zurückgehen, verschärft sich die Lage zusätzlich.
Zum Ende des Corona-Jahres 2021 schüttete die Nationalbank noch den Höchstbetrag von 6 Milliarden Franken an Bund und Kantone aus. Auch deshalb konnten die Kantone bessere Rechnungsabschlüsse als erwartet präsentieren.
Um Nullrunden für die Kantone in Zukunft zu vermeiden, forderte Gerhard Andrey, Nationalrat der Grünen, jüngst mit einer Motion vom Bundesrat, die Modalitäten der Gewinnausschüttungen mit der Nationalbank neu zu verhandeln. Das Ziel: Die starken Schwankungen sollen geglättet werden und weniger abhängig sein von sehr guten oder sehr schlechten Jahresergebnissen.
Dass der Geldsegen der Nationalbank für die Kantone nicht in Stein gemeisselt ist, das erkennen die Finanzdirektoren durchaus. Denn die Lage hat sich mit dem Ukraine-Krieg verschärft. «Es ist klar, dass keine Garantie auf Gewinnausschüttungen besteht», hiess es bereits Mitte Juli aus der Zürcher Finanzdirektion. «Wir beobachten die Entwicklung aufmerksam.»
Genaue Zahlen werde es erst zum Jahresende geben, betonte das Luzerner Finanzdepartement auch bereits im Sommer: «Abgerechnet wird am 31. Dezember 2022.»
Kritik an Nationalbank-Führung
Das riesige Minus setzt auch die Spitze der Nationalbank unter Druck. Sie muss die Zahlen erklären. Immer mal wieder gerät die Nationalbankführung in Kritik. Jüngst kamen drei Experten zum Schluss, dass die Schweizer Nationalbank von Insidern geführt wird. Auch bezüglich Transparenz komme die Institution schlecht weg.
«Uns ist keine andere Zentralbank bekannt, deren oberste Führungsebene so stark von Insidern geprägt ist», sagte Yvan Lengwiler, Wirtschaftsprofessor an der Universität Basel, dazu. Er hatte den Bericht zusammen mit Charles Wyplosz, Professor am Graduate Institute in Genf, und Stefan Gerlach, ehemaliger Vizepräsident der irischen Notenbank und heute Chefökonom der Bank EFG, verfasst. Die drei betreiben das Projekt «SNB Observatory», mit dem Ziel, die Politik der Schweizerischen Nationalbank mit kritischen Diskussionsbeiträgen zu hinterfragen. (Lesen Sie hier den Kommentar zur Kritik.)
Hohe Schwankungen wegen gigantischer Bilanz
Zum heutigen Rekordminus betont die Nationalbank wie üblich, dass ihr Ergebnis überwiegend von der Entwicklung der Gold-, Devisen- und Kapitalmärkte abhängig sei. Starke Schwankungen seien deshalb die Regel – und Rückschlüsse vom Zwischenergebnis auf das Jahresergebnis nur bedingt möglich.
Nicht nur die Aktienmärkte entwickelten sich von Januar bis September wegen des Ukraine-Krieges, der stark gestiegenen Inflation und vermehrt auch Rezessionsängsten stark rückläufig. Die fast weltweit steigenden Zinsen führten auch zu hohen Bewertungsverlusten auf den Anleihenmärkten, dazu kam noch die Währungsentwicklung.
Auf den hohen Devisenreserven der Nationalbank führen bereits kleinste Bewegungen zu hohen Gewinnen oder Verlusten. Zwar ist ihre Bilanz aufgrund der Kursverluste deutlich kleiner geworden; diese ist mit Aktiven von knapp 900 Milliarden Franken aber noch immer sehr hoch.
Im Gesamtjahr 2021 etwa erzielte die Nationalbank zum Schluss einen Gewinn von mehr als 26 Milliarden Franken, wobei das erste und das zweite Quartal positiv und das dritte und vierte Quartal negativ ausfielen. Im Jahr davor betrug der Gewinn gut 20 Milliarden. Es gibt aber auch Jahre mit hohen Verlusten, was jeweils vor allem mit einer schwachen Börsenentwicklung oder einem sehr starken Franken zu tun hat. 2018 oder 2015 etwa waren solche Jahre: Da mussten die hiesigen Währungshüter Verluste von knapp 15 Milliarden beziehungsweise von über 23 Milliarden ausweisen.
Mit Material der Agentur sda
Fehler gefunden?Jetzt melden.