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Mamablog: Sexualerziehung als Mission
Sie schrieb ihrem Vergewaltiger einen Brief

«Nein heisst Nein – egal, ob jemand vorher geflirtet hat»: Cindy Kronenberg kennt die falschen Schuldzuweisungen.
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«Lange habe ich überlegt, ob ich diese Zeilen auf den Sozialen Medien veröffentlichen soll oder nicht. Ich habe mich dazu entschieden, dass ich nicht länger zu dem Tabuthema «Sexuelle Gewalt» schweigen möchte.» Mit diesen Worten beginnt Cindy Kronenbergs Brief an ihren Vergewaltiger, den sie öffentlich auf Facebook gepostet hat. «Dieser Schritt hat mich enorm viel Mut gekostet. Ich habe mich dadurch sehr verletzlich gemacht», sagt die 28-Jährige. Doch sie habe ein dringendes Bedürfnis verspürt, etwas zu verändern, «und dieses Bedürfnis war stärker als meine Angst.»

Etwas verändern. Diese beiden Worte fallen immer wieder in unserem Gespräch. Die Art und Weise, wie unsere Gesellschaft mit dem Thema sexuelle Gewalt umgeht, will sie verändern. Zu oft werde das Problem ignoriert oder kleingeredet, zu häufig würden die Betroffenen mit Schuldzuweisungen eingedeckt – manchmal sogar ohne böse Absicht. Letzteres hat sie selber erlebt. «Gerade die indirekten Schuldzuweisungen gehen mir grauenhaft auf die Nerven», sagt sie. Einige Freunde hätten sie gefragt, warum sie denn nicht geschrien habe oder weshalb sie überhaupt ein Glas Alkohol getrunken habe an jenem Abend. «Solche Gedanken will ich wegbringen aus den Köpfen der Leute. Nein heisst Nein – egal, ob jemand angetrunken ist oder vorher geflirtet hat.»

Bei den Kindern ansetzen

Damit die kommende Generation dies von Beginn weg versteht, will Cindy Kronenberg auch die Sexualerziehung in der Schule verändern oder zumindest ergänzen. Die ausgebildete Kinder- und Jugendarbeiterin erarbeitet zurzeit gemeinsam mit einer Psychiaterin ein Unterrichtskonzept für Oberstufenschüler, welches später auf jüngere Kinder ausgeweitet werden soll. «Es geht nicht in erster Linie darum, über sexuelle Gewalt zu reden mit den Jugendlichen, sondern vielmehr um die Förderung von Resilienz und Selbstwertgefühl», erklärt Kronenberg. So würde etwa thematisiert, dass man immer Nein sagen darf, was es mit den Geschlechterrollen auf sich hat und wie man sich im Notfall verteidigt.

Würde sie den Jugendlichen denn auch ihre eigene Geschichte erzählen? «Das habe ich mich auch schon gefragt», sagt Kronenberg nachdenklich, «bei den Oberstufenschülern würde ich es womöglich kurz erwähnen, damit sie verstehen, dass so etwas jedem passieren kann.» Zudem habe es in der Regel mindestens ein Kind im Raum, das selber von sexueller Gewalt betroffen sei. «Solche Kinder vertrauen sich mir eher an, wenn sie hören, dass ich Ähnliches erlebt habe.»

Jedes 5. Kind betroffen

Tatsächlich haben Schätzungen zufolge 20 bis 30 Prozent der Kinder schon mindestens einmal sexuelle Gewalt erlebt. «Und das Durchschnittsalter der Betroffenen liegt bei 9,1 Jahren», sagt Kronenberg. Als sie das erfahren habe, war für sie klar: Man muss schon bei den Jüngsten ansetzen. Und am besten in der Schule, weil man nur dort alle Kinder erreichen kann, völlig unabhängig von ihrem Hintergrund. «Natürlich muss die Aufklärung stets altersgerecht durchgeführt werden. Aber Themen wie Neinsagen oder Berührungen einordnen kann man eigentlich schon im Kindergarten besprechen.»

Viele Eltern sehen das freilich anders: Wann immer es ums Thema Sexualkunde geht, gehen etliche Mütter und Väter auf die Barrikaden. Wie will Kronenberg diesem Widerstand begegnen? «Mich nähme zuerst wunder, was denn genau ihre Angst ist», sagt Kronenberg. Das Thema zu negieren, könne auf jeden Fall nicht die Lösung sein. «Sexuelle Gewalt existiert, das ist leider ein Fakt. Und ein selbstbewusstes Kind hat eher eine Chance, sich zu wehren oder jemandem davon zu erzählen.»

Neben ihrem Schulprojekt investiert Cindy Kronenberg auch in ihre Website vergewaltigt.ch und den Aufbau eines Austauschcafés für Betroffene viel Energie. Sie arbeitet nur noch sechzig Prozent in ihrem Beruf, um sich den Rest der Zeit diesen Projekten zu widmen. Ist das Ganze auch ein wenig Selbsttherapie? «Auf jeden Fall», sagt sie. Es sei zwar immer wieder schockierend zu hören, wie unglaublich viele Betroffene es gebe. «Aber dieses Gefühl, dass jemand anderes mich wirklich versteht, wenn ich über die Vergewaltigung spreche, das hilft mir ungemein. Genau dieses Gefühl will ich wiederum auch anderen Betroffenen vermitteln.»

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