Absurder Bilanzskandal in BaselSie rechneten ihre eigenen Leistungen schlecht, um dem Chef zu gefallen
Die Beteiligten einer grossen, absurd anmutenden Manipulation wollten weder den eigenen Bonus steigern noch die Firma besser dastehen lassen. Jetzt liegen die Untersuchungsergebnisse dazu vor.
Der Fall von Bilanzmanipulationen beim Basler Chemiekonzern Clariant dürfte als einer der bizarrsten in die Wirtschaftsgeschichte eingehen. Denn die Beteiligten haben mit den Manipulationen weder die Firma besser aussehen lassen, noch haben sie versucht, mit den Tricksereien ihren Bonus zu steigern. «Ein Stück weit bleibt das Ganze im Nebel», sagte Finanzchef Stephan Lynen am Mittwochmorgen anlässlich einer Telefonkonferenz, bei der die Ergebnisse der Sonderprüfung der Vorgänge vorgestellt wurden.
Was war geschehen? Mitte Februar schockierte Clariant mit der Nachricht, dass die Vorstellung der Jahreszahlen verschoben werden muss. Der Grund: Zwei interne Tippgeber hatten Bilanzmanipulationen gemeldet.
Die Aktie rasselte um über 20 Prozent in den Keller, die Clariant-Führung um CEO Conrad Keijzer ordnete eine externe Untersuchung an. Nun haben die Spezialisten des Beratungsunternehmens Deloitte und der Kanzlei Gibson, Dunn & Crutcher die Ergebnisse vorgelegt.
Echte Zahlen sind besser als die manipulierten
Und die geben zunächst weitere Rätsel auf: So ist der Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (Ebitda) nach der Sonderprüfung für das Jahr 2020 sogar höher als ursprünglich vermeldet: 597 Millionen Franken statt 578 Millionen Franken. Auch die Ebitda-Marge, bei Clariant eine Schlüsselkennzahl, fiel nach der Prüfung des Zahlenwerks mit 15,5 Prozent um 0,5 Prozentpunkte höher aus als bei der manipulierten Bilanz.
Laut Clariant-Chef Keijzer habe eine «einstellige Zahl an Mitarbeitern» an bestimmten Buchungsposten herumgeschraubt. So seien zum Beispiel Rückstellungen für Restrukturierungen falsch verbucht worden, «um interne und externe Ziele» einzuhalten.
«Niemand hat sich dabei bereichert», betonte Keijzer. Die Betroffenen seien suspendiert worden, heisst es offiziell. Sie dürften wohl eher gefeuert worden sein, das Management scheute aber klare Aussagen dazu.
Zahlen sollten Ziele exakt treffen
Aber was trieb die Beteiligten an? Konzernkreise erklären sich das Handeln mit der alten Firmenkultur des früheren Clariant-Chefs Hariolf Kottmann. Dieser galt als Perfektionist und Alleinherrscher.
Offenbar ging es seinen Untergebenen darum, seine Zielvorgaben auf das Komma genau zu erfüllen. Die Zahlen sollten die Analystenschätzungen so nah wie möglich treffen. Daher, so die Erklärung, hätten die Beteiligten mit ihren Falschbuchungen bestimmte Bilanzwerte geglättet. Und dabei auch mal die Zahlen etwas schlechter aussehen lassen. Hauptsache, sie erfüllten möglichst genau die Ziele.
Wären die Zahlen zum Beispiel für das Jahr 2020 zu gut gewesen, hätte das möglicherweise dazu geführt, dass Analysten ihre Erwartungen hochschrauben. Stapelt man in einer Rechnungsperiode dagegen etwas zu tief, haben die Bilanztrickser quasi Luft eingebaut, um auch in der Folgeperiode die Chefvorgaben wieder punktgenau zu treffen.
Clariant-Chef Keijzer, der das Unternehmen seit Anfang 2021 führt, fordert nun eine offenere Firmenkultur. Dass diese nun bei Clariant Einzug gehalten habe, sieht er darin, dass zwei interne Tippgeber es gewagt haben, die Tricksereien zu melden.
Am Ende der Episode gibt es vor allem Verlierer, allen voran die Clariant-Aktionäre. Der Kurs hat sich zwar am Mittwoch erholt, weil Clariant für 2021 eine Ebitda-Marge von 16,2 Prozent vermeldete und damit die Schätzungen übertraf. Dennoch notiert die Aktie weiterhin rund 20 Prozent unterhalb des Niveaus von vor dem Skandal.
Verlierer ist auch Finanzchef Stephan Lynen. Der langjährige Clariant-Manager trägt zwar keine persönliche Schuld am Skandal. Dennoch übernimmt er die Verantwortung dafür und verlässt den Konzern.
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