Abgang von Hariolf KottmannWie der Retter von Clariant an sich selbst scheiterte
Im Kampf mit dem saudischen Grossaktionär unterliegt der Clariant-Präsident Kottmann. Sein Abgang ist das Ergebnis seiner fehlgeschlagenen Suche nach Grösse.
Der Anruf kam um 8.21 Uhr. «Nein, Herr Kottmann ist nicht zurückgetreten», versucht die Clariant-Sprecherin die aus ihrer Sicht falsche Überschrift der Agenturmeldung über den Abgang des Konzernpräsidenten zu korrigieren. Ein Hariolf Kottmann tritt nicht zurück – er tritt lediglich nicht zur Wiederwahl an.
Die PR-Übung ändert nichts an den Fakten: Hariolf Kottmann war mehr als ein Jahrzehnt die prägende Figur des Chemiekonzerns Clariant. Nun hat der 65-Jährige den Machtkampf mit dem saudischen Grossaktionär Sabic verloren. Ironie der Geschichte: Es war Kottmann selbst, der die Saudis im Sommer 2018 zu Clariant geholt hatte.
Streben nach Grösse
Am Ende ist der promovierte Chemiker an seinem eigenen Ehrgeiz gescheitert: «Kottmann konnte seine Vision einer grösseren Clariant nicht umsetzen», erklärt Philipp Gamper, Chemieanalyst der Zürcher Kantonalbank. «Was bleibt, ist ein kleines, hochwertiges und profitables Chemieunternehmen.» Doch das war Kottmann nie genug.
Doch der Reihe nach: Clariant entstand 1995, als Sandoz ihr Chemiegeschäft in die neue Firma abspaltete. Kottmann stiess 2008 zunächst als Verwaltungsrat zum Muttenzer Chemiekonzern, dessen Produkte unter anderem Bremsflüssigkeit, Farbe für Autoleder oder Inhaltsstoffe für Hautcremes umfassen. Im Nachgang zur Finanzkrise liefen die Geschäfte mies. Da bot der selbstbewusste Kottmann kurzerhand dem Verwaltungsrat an, selbst die operative Leitung zu übernehmen.
Mit harter Hand drückte er die Kosten und steigerte die Gewinne. Sein Gesellenstück war die Übernahme der deutschen Südchemie im Jahr 2011 für 2,5 Milliarden Franken. Kottmann fokussierte Clariant auf die margenstarke Spezialchemie.
Der Anfang vom Ende
Doch immer wieder wurde Clariant als Übernahmekandidat gehandelt. Daher wagt Kottmann den grossen Schritt – und leitet damit den Anfang seines Endes ein.
Am 22. Mai 2017 kündigt Clariant an, mit dem US-Wettbewerber Huntsman fusionieren zu wollen. Gemeinsam wären beide Konzerne auf einen Umsatz von über 13 Milliarden Dollar gekommen – und damit von der Grösse her endlich in der Topliga.
Kottmann war so überzeugt von dem Deal, dass er sich eine peinliche PR-Panne leistete: Schon Tage vor Bekanntwerden der Fusion liess er sich von einem Kamerateam von SRF-«Eco» begleiten, das die geheimen Vorbereitungen filmen durfte. Die Börsenaufsicht verdonnerte Clariant wegen dieses Verstosses gegen die Ad-hoc-Publizität zu einer Busse von 750’000 Franken. «Der wohl teuerste Wirtschaftsbeitrag, den die Schweiz je gesehen hatte», höhnte das Wirtschaftsmagazin «Bilanz».
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Auch die Fusion endete in einem Fiasko. Die Anleger reagierten wenig euphorisch, denn mit Huntsman wurde der Konzern zwar grösser, aber wäre weniger fokussiert und unrentabler geworden.
Das rief die US-Investorengruppe White Tale auf den Plan, die offen opponierte. Die Amerikaner bauten eine Beteiligung von fast 25 Prozent auf und hatten damit am Ende genug Drohpotenzial, die Abstimmung über die Fusion auf der Generalversammlung für sich zu entscheiden. Kottmann blies den Deal vor dem Votum ab, mit dem er seine Karriere hätte krönen wollen.
Stattdessen reaktivierte er Gespräche mit dem saudischen Chemiekonzern Sabic. Erste Kontakte hatte es bereits 2016 gegeben. Sabic kaufte White Tal deren Aktienpaket ab und sollte als «strategischer Investor» helfen, Kottmanns Wachstumspläne umzusetzen. «Gemeinsam mit Sabic werden wir unsere ehrgeizigen Ziele wesentlich schneller und sicherer erreichen können als alleine», sagte Kottmann den Aktionären im Frühjahr 2018.
Streit um den Preis
Doch auch das ging schief: Clariant und Sabic wollten ein Gemeinschaftsunternehmen schaffen, worin die Saudis ihr Polymer-Geschäft hätten einbringen sollen. «Bei der Prüfung der Bücher stellte sich jedoch heraus, dass das Geschäft nicht sehr rentabel war», erinnert sich ein Beteiligter. Doch die Saudis wollten von einer Preissenkung nichts wissen.
Im Sommer 2019 blies Kottmann dann auch diesen Deal ab. Und um das Debakel perfekt zu machen, war ein Tag zuvor auch der neue Clariant-CEO Ernesto Occhiello zurückgetreten, der von Sabic gekommen und weniger als ein Jahr geblieben war.
Das Tischtuch war fortan zerschnitten. Zudem war der Einstieg bei Clariant für Sabic ein teurer Flop: Das erste Paket von 24,9 Prozent hatten sie zu 34 Franken gekauft. Heute ist eine Clariant-Aktie für 19 Franken zu haben.
Kottmann wollte die Saudis wieder loswerden. Und er hatte immer noch nicht von der Idee gelassen, Clariant über eine Fusion in eine neue Grössenordnung zu katapultieren. Beide Fliegen wollte er mit einer Klappe schlagen: Durch eine Fusion sollte der Anteil der Saudis so verwässert werden, dass sie ihr Clariant-Investment nur noch als Finanzbeteiligung sehen – und irgendwann verkaufen.
Doch Sabic schaltete auf Gegenangriff und beantragte kurz vor Weihnachten eine Sonderdividende sowie eine maximale Amtszeit für Verwaltungsräte von 12 Jahren. Das zielte direkt auf Kottmann, der seit 2008 im Board sitzt.
In einer Art Gentlemen’s Agreement willigte er jetzt seinem Rückzug zu. Im Gegenzug lassen die Saudis die Forderung nach einer Sonderdividende fallen, welche Clariant fast eine halbe Milliarde gekostet hätte.
Die Ära Kottmann geht damit zu Ende. Die Trauer hält sich in Grenzen. Analyst Gamper begrüsst den Neuanfang: «Was Sabic aber auf lange Sicht mit der Clariant-Beteiligung vorhat, weiss niemand.»
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