Serbischer KriegsverbrecherNach 26 Jahren in Haft veröffentlicht der Ex-General einen spektakulären Brief
Radislav Krstic wurde wegen Völkermords in Srebrenica verurteilt. Jetzt zeigt er Reue: «Ich habe ein unvorstellbares und unverzeihliches Verbrechen begangen.»

- Radislav Krstic gesteht seine Rolle im Völkermord von Srebrenica ein.
- In einem Brief bittet er um Haftentlassung aus gesundheitlichen Gründen.
- Krstic hofft, dass seine Worte viele Menschen erreichen und bewegen.
- Die Leitung der Srebrenica-Gedenkstätte begrüsst das Geständnis, bleibt jedoch skeptisch.
Die Richter des UNO-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag für das ehemalige Jugoslawien hatten keine Zweifel. Einstimmig befanden sie 2001 den bosnisch-serbischen General Radislav Krstic für schuldig, Tausende bosnische Muslime rund um die Kleinstadt Srebrenica ermordet zu haben.
Ein aus Portugal stammender Richter wandte sich damals an den Angeklagten mit folgenden Worten: «General Krstic, im Juli 1995 haben Sie dem Bösen zugestimmt. Aus diesem Grund verurteilt Sie die Kammer heute und verhängt eine Freiheitsstrafe von 46 Jahren.» In letzter Instanz wurde die Strafe schliesslich auf 35 Jahre reduziert.
Ein Mann, der seine Seele verloren hat
Krstic hat bislang in vier europäischen Ländern und sieben Gefängnissen 26 Jahre hinter Gittern verbracht. «Sein Prozess zeugte vom Niedergang einer Gesellschaft, die ihre Werte, einer Armee, die ihre Ehre, und eines Mannes, der seine Seele verloren hatte, als er sich (...) auf das Böse einliess», schreibt die kroatische Schriftstellerin Slavenka Drakulic in ihrem Buch «Keiner war dabei. Kriegsverbrechen auf dem Balkan vor Gericht».

In einem spektakulären Brief, der diese Woche von seinem Anwalt veröffentlicht wurde, räumt Krstic endlich ein, den Völkermord in Srebrenica gefördert und unterstützt zu haben. Damit ist er der erste bosnisch-serbische Ex-Offizier, der das schwerste aller Gräueltaten – den Genozid – eingesteht. Im Gegensatz zu ihm leugnen die politischen Führer in Serbien und im serbisch kontrollierten Teil Bosniens offen den Völkermord von Srebrenica.
«Ich habe ein unvorstellbares und unverzeihliches Verbrechen begangen», schreibt der 76-Jährige. Er denke «jeden Moment, jeden Tag» an die Opfer des Genozids. Es sei ihm jedoch klar, dass die Mütter und Schwestern der Opfer «nicht glauben werden, dass diese Worte aufrichtig sind; ich weiss auch, dass meine Worte den Schmerz oder das Leid, das niemals verschwinden wird, nicht lindern können».
Die rechte Hand Ratko Mladics
Krstic gilt als Drahtzieher des Massenmordes an etwa 8000 bosnisch-muslimischen Männern und Knaben in Srebrenica. Er stand unter dem Befehl des Militärführers Ratko Mladic, der vom Haager Tribunal zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.
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In seinem Reuebrief äussert Krstic die Hoffnung, dass seine Worte so viele Menschen wie möglich in seiner Heimat erreichen und diese über die schrecklichen Kriegsverbrechen nachdenken werden: «Kein Krieg mehr, kein Tod mehr, weil jemand einer anderen Religion oder Nation angehört oder andere Überzeugungen hat, kein Völkermord mehr.» Der Ex-General der bosnisch-serbischen Armee verbüsste mehrere Jahre seiner Gefängnisstrafe in Polen. Derzeit befindet er sich in Den Haag.
Mit seinem Brief wendet sich Krstic nicht nur an die serbische Öffentlichkeit, sondern auch an die Nachfolgeorganisation des Haager Tribunals für das ehemalige Jugoslawien mit der Bitte, ihm die verbleibende Strafe zu erlassen, damit er den Rest seines Lebens in Freiheit verbringen kann. Er erwähnt zudem seinen schlechten Gesundheitszustand, sein Alter und die Gewalt, die er während seiner Zeit im Gefängnis erlitten hat.
In seiner Zelle verprügelt
Nach seiner Verurteilung wurde Krstic in die englische Haftanstalt Wakefield gebracht, damit er seine Strafe verbüsst. Im Mai 2010 drangen drei Gefangene – ein zum Islam konvertierter Brite, ein Albaner und ein Nigerianer – in Krstics Zelle ein und fügten ihm mit einer Klinge schwere Verletzungen zu.
Als Tatmotiv nannten die Angreifer, die alle zuvor lebenslänglich wegen Mordes verurteilt worden waren, Krstics Rolle in Srebrenica. Von einem englischen Gericht erhielt der Kriegsverbrecher eine Entschädigung von umgerechnet knapp 60’000 Franken. Da seine Sicherheit auch in anderen britischen Gefängnissen nicht gewährleistet war, wurde Krstic in eine Strafanstalt in Polen verlegt.
Mehrere Gnadengesuche abgelehnt
Krstic beantragt nicht zum ersten Mal seine Freilassung. In früheren Schreiben äusserte er Bedauern über die Kriegsverbrechen, jedoch nicht über den von seinen Soldaten verübten Genozid. In den letzten Jahren wurden mehrere seiner Gnadengesuche abgelehnt.
Diesmal könnte er möglicherweise Erfolg haben, da er zwei Drittel seiner Haftstrafe verbüsst hat. In seinem Brief schreibt Krstic, dass er im Fall einer vorzeitigen Freilassung das Gedenkzentrum des Massakers von Srebrenica besuchen werde, um den Opfern seine Ehre zu erweisen und um Vergebung zu bitten.

Bis jetzt wurden in Potocari, einem Vorort von Srebrenica, die sterblichen Überreste von 6765 Opfern beigesetzt. Ihre Leichen wurden an 570 verschiedenen Orten vor allem in Ostbosnien nahe der Grenze zu Serbien entdeckt.
7626 vermisste Personen
Eine Sprecherin der Srebrenica-Gedenkstätte begrüsste das Schuldbekenntnis Krstics, mahnte jedoch zur Vorsicht. Verurteilte Kriegsverbrecher würden manchmal die Gräueltaten anerkennen, nur um die Freiheit zu erlangen. Danach änderten sie ihre Haltung.
Das Gedenkzentrum erwartet, dass Radislav Krstic mit der bosnischen Justiz zusammenarbeitet und alle Informationen teilt über Orte, an denen die Kriegsopfer begraben sind. Laut Behörden in der Hauptstadt Sarajevo wird in Bosnien-Herzegowina fast drei Jahrzehnte nach dem Krieg immer noch nach 7626 vermissten Personen gesucht.
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