UNO-Resolution zu SrebrenicaSerbien will keine Lehren aus dem Völkermord ziehen
Serbische Führer laufen Sturm gegen einen weltweiten Gedenktag für die Opfer des Genozids im bosnischen Srebrenica – mit Verschwörungstheorien.
So beginnen Dolchstosslegenden. «Wir haben nicht erwartet, dass einige Staaten uns das Messer in den Rücken stossen.» Mit diesen dramatischen Worten wandte sich Aleksandar Vucic aus New York an das einheimische Publikum. Der serbische Präsident ist empört, weil die UNO-Vollversammlung heute Donnerstag über eine Resolution zum Völkermord in Srebrenica beraten und abstimmen will.
Eingebracht wurde sie von Deutschland und Ruanda, zu den Unterstützern gehören auch mehrere EU-Länder, die USA und fast alle Nachbarstaaten Serbiens. Wie die Schweiz abstimmen will, wollte das Aussendepartement auf Anfrage nicht erklären. Bundesrat Ignazio Cassis wird am Freitag zu Gesprächen in Belgrad erwartet.
Mit dem Segen des Patriarchen
Vor seiner Abreise nach New York holte Vucic in der Morgendämmerung den Segen des serbisch-orthdoxen Patriarchen, um gegen alle Staaten ins Feld zu ziehen, die sich angeblich gegen Serbien verschworen haben. In den Propagandamedien des Regimes läuft seit Wochen eine Schmutzkampagne gegen den vermeintlich bösen Westen und vor allem gegen Deutschland.
«Die deutsche Politik ist in der Geschichte immer antiserbisch gewesen», behauptete faktenfrei der bosnische Serbenführer Milorad Dodik, der regelmässig im Kreml empfangen wird. Serbiens Premierminister Milos Vucevic sagte, man könne den Menschen nicht erklären, dass Deutschland hinter der Resolution stehe, schliesslich habe das Land in zwei Weltkriegen schlimmste Untaten begangen. Zuvor hatten Belgrader Krawallmedien die deutsche Aussenministerin als «Prostituierte» beschimpft.
Die Parole der Regierungspropaganda lautet: «Wir sind kein Volk, das einen Genozid begeht.» Dabei wird in der UNO-Resolution weder das serbische Volk noch Serbien oder der bosnisch-serbisch Landesteil erwähnt. Ziel der Initiative ist es, den 11. Juli zum weltweiten Gedenktag für die Opfer des Genozids in der ostbosnischen Kleinstadt Srebrenica zu machen. Ausserdem verurteilt die UNO-Resolution jede Leugnung des Genozids.
Völkermord, und der Westen versagte auf ganzer Linie
Im Juli 1995 hatte die bosnisch-serbische Armee unter dem Kommando von Ratko Mladic etwa 8000 muslimische Bosniaken unter den Augen der machtlosen UNO-Schutztruppen niedergemetzelt. Die UNO-Gesandten und die Westmächte versagten auf ganzer Linie: Sie überliessen die ostbosnische Enklave ihrem Schicksal.
Das Massenverbrechen in Srebrenica wurde logistisch und propagandistisch von Serbien unterstützt. Der heutige Staatschef Aleksandar Vucic war damals einer der übelsten Hetzer. Im serbischen Parlament warnte er 1995 den Westen vor einer Intervention gegen serbische Truppen: «Für jeden getöteten Serben werden wir 100 Muslime umbringen.» Die Auslieferung von Kriegsverbrechern an das UNO-Tribunal in Den Haag lehnte der Ultranationalist ab und bot dem inzwischen zu lebenslanger Haft verurteilten Kriegsverbrecher Mladic sogar Zuflucht an: «Jedes Haus der gesamten Familie Vucic, und wir sind keine kleine Familie, wird eine offene Tür für den General haben.»
Vucics Serbien ist eine Ein-Mann-Autokratie
Die wichtigsten juristischen Instanzen der UNO, darunter auch der Internationale Gerichtshof (IGH), haben das Massaker von Srebrenica als Völkermord eingestuft. 2010 entschuldigte sich selbst das serbische Parlament für die Ermordung Tausender Muslime, umging aber den Begriff «Genozid». Kurz danach übernahm der angeblich geläuterte Aleksandar Vucic die Macht. Westliche Politiker liessen sich fortan vom neuen starken Mann in Belgrad blenden.
Vucic hat Serbien inzwischen in eine Ein-Mann-Autokratie verwandelt, in der auch Ratko Mladic öffentlich als Held glorifiziert wird. Nebojsa Pavkovic, ein anderer Kriegsverbrecher, meldete sich vor einem Jahr über Zoom aus seiner Gefängniszelle in Finnland und berichtete den Schülern einer serbischen Provinzstadt über die «Grosstaten» serbischer Soldaten. So werden Kriegsverbrechen verharmlost, der Genozid in Srebrenica negiert. Ein bosnisch-serbischer Politiker durfte diese Woche zur besten Sendezeit in einem Belgrader Fernsehen geschmacklose Witze über die Opfer des Massakers von Srebrenica erzählen.
China, Russland und Ungarn unterstützen Serbien
Mit der Kampagne gegen die UNO-Resolution verfolgt Vucic mindestens drei Ziele: Vor den Lokalwahlen am 2. Juni will er die nationalistische Klientel mobilisieren, die Wahrheit über die grossserbische Eroberungspolitik in den 1990er-Jahren verzerren und schliesslich verhindern, dass die Kriegsopfer eventuell auf Reparationen dringen.
In der UNO-Vollversammlung wird der serbische Präsident von China, Russland und Ungarn unterstützt. Moskau hatte bereits 2015 per Veto eine Resolution des Sicherheitsrats zu Srebrenica verhindert. In der UNO-Vollversammlung bedarf es einer einfachen Mehrheit. Westliche Diplomaten rechnen mit einer Annahme der Initiative.
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