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«Sehr wenige Menschen» auf Lampedusa
Experten werfen Rom Inszenierung von Flüchtlingskrise vor

Chaotische Szenen: Die Auffanglager auf Lampedusa sind überfüllt.
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Die Bilder vollgepferchter Boote und des überfüllten Auffanglagers auf Lampedusa wirken dramatisch, die Neuankömmlinge können nicht mehr hinreichend versorgt werden. Die mehrfache französische Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen von der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National spricht mit Blick auf die nur acht Kilometer lange Insel von einer «Überschwemmung mit Migranten». Seit Jahresbeginn kamen in Italien fast 130'000 Menschen an – und damit bereits jetzt etwa doppelt so viele wie im gesamten Jahr 2022.

Pierre Henry, Vorsitzender des Vereins France fraternités, relativiert diese Zahlen allerdings. Vergangenes Jahr habe Europa innerhalb von drei Monaten vier Millionen Ukrainer aufgenommen, ohne dass jemand eine «Invasion von Migranten» beklagt habe. «Jetzt ist bei ein paar tausend Menschen von ‹Überschwemmung› die Rede – das ist absurd», sagt Henry. Auch mit der Flüchtlingskrise 2015, als 850'000 Menschen, vor allem Syrer, in Griechenland ankamen, sei die derzeitige Situation nicht vergleichbar.

Migranten kommen mit einem Boot auf Lapedusa an.

«Wir sprechen von sehr wenigen Menschen»

«Es gibt keine Überschwemmung mit Migranten», sagt auch die auf Migration spezialisierte Geografin Camille Schmoll. «Wir sprechen von sehr wenigen Menschen, gemessen an den grossen Aufnahmeländern in der Welt.» Allein die Türkei beherbergt 3,6 Millionen Migranten, der Iran mehr als drei Millionen.

«Man konzentriert sich auf Lampedusa, weil die Bilder beeindruckend sind und weil es dort eine überdeutliche Sichtbarkeit gibt – was damit zu tun hat, dass die Insel beengt und das Aufnahmezentrum überfüllt ist», sagt Schmoll. Diese Situation tritt seit 2011 immer wieder auf, als innerhalb weniger Monate 60'000 Menschen auf der Insel landeten.

Der italienischen Regierung macht Schmoll schwere Vorwürfe: Diese führe die permanente Überbelegung «absichtlich» herbei, um daraus eine Krise zu machen, kritisiert die an der französischen Hochschule EHESS tätige Forscherin, die ein Buch über die Migration übers Mittelmeer geschrieben hat. Auch ihr Kollege Henry spricht mit Blick auf die Überbelegung des Zentrums in Lampedusa mit seinen 389 Plätzen von einer Inszenierung der italienischen Behörden.

«Logistisches Problem»

Lampedusa habe eher ein «logistisches Problem», sagt der französische Migrationsforscher Matthieu Tardis. «Wenn diese paar tausend Menschen auf dem italienischen Festland gelandet wären, hätte das keine Polemik ausgelöst. Wir haben es mit einer politischen Instrumentalisierung zu tun», urteilt Tardis.

Die radikale Rechte nutze die Bilder für ihre Propaganda, um Angst zu schüren, sagt Schmoll. Die Migranten liessen sich ihrer Ansicht nach «mit einer besseren Koordination sehr wohl in Europa aufnehmen». Aber die Diskussion über einen europäischen Verteilungsmechanismus ist seit Jahren festgefahren.

Die Debatte werde durch «rassistische Argumente» befeuert, die mit «spektakulären Bildern» einhergingen, aber nicht die Realität der Migrationsbewegungen widerspiegelten, sagt Henry. So sei in erster Linie von Afrikanern aus Ländern südlich der Sahara die Rede. Die Menschen, die in Europa Asyl beantragen, stammen jedoch laut der europäischen Statistik für 2022 hauptsächlich aus Syrien (138'000), Afghanistan (132'000), der Türkei (58'000), Venezuela (51'000) und Kolumbien (43'000).

Hinzu kommt: Wegen seiner geografischen Lage kommen zwar viele Migranten in Italien an. Bei den Asylanträgen steht das Land in Europa aber bei weitem nicht an erster Stelle. Ein Teil der Menschen wird auf andere Staaten verteilt, andere versuchen auf eigene Faust, weiter in den Norden zu gelangen. Von einer Million Asylanträgen, die 2022 in den europäischen Ländern registriert wurden, entfielen 84'000 auf Italien, 156'000 auf Frankreich und 244'000 auf Deutschland.

AFP/pash