Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Strom aus dem Untergrund
Beim Schweizer Geothermie-Projekt geht es jetzt um alles oder nichts

Der Bohrturm auf der Geothermie Baustelle, am Mittwoch, 15. Mai 2024 in Glovelier in der Gemeinde Haute-Sorne im Kanton Jura. Die ersten Testbohrungen sind fuer die kommende Woche vorgesehen. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Wenn Peter Meier von Nevada und Utah erzählt, spürt man förmlich seine Begeisterung. Der Chef von Geo-Energie-Suisse ist fast etwas neidisch auf das Start-up-Unternehmen Fervo Energy. Das amerikanische Pendant zu seiner Firma hat bereits innert kürzester Zeit verwirklicht, was Geo-Energie Suisse seit bald zehn Jahren im kleinen Dorf Haute-Sorne plant: Ein Geothermie-Kraftwerk, das mithilfe von Wärme aus dem tiefen Untergrund Strom produziert.

Einsprachen, gerichtliche Verfahren und eine verunsicherte jurassische Regierung haben das Projekt immer wieder verzögert. Doch nun, seit dem 21. Mai, bohrt Geo-Energie Suisse in Haute-Sorne. Nicht reibungslos – noch immer versuchen Geothermie-Gegner, das Bohrprojekt zu sabotieren –, aber mit viel Optimismus.

Strom für Google

Seit dem Abbruch des Geothermieprojekts 2006 in Basel ist die Bevölkerung verunsichert. So versucht Peter Meier an einer Medienkonferenz Ende Mai zu beruhigen: «Spürbare Beben können während des Bohrens in Haute-Sorne praktisch ausgeschlossen werden.»

Von wo nimmt der Geschäftsführer von Geo-Energie Suisse diese Zuversicht? Die Antwort findet man in Nevada. Dort produziert nach dreijähriger Bauzeit  ein Geothermie-Kraftwerk seit November des letzten Jahres Strom für das amerikanische Technologieunternehmen Google. Dessen Ziel ist es, alle Rechenzentren weltweit bis 2030 mit CO2-freiem Strom zu versorgen. Dabei spielt neben der Sonnen- und Windenergie auch die Geothermie eine grosse Rolle. 

So beauftragte Google das Start-up Fervo, eine Geothermiezentrale im Norden Nevadas zu bauen. Das Verfahren entspricht grundsätzlich jenem, das Geo-Energie Suisse in Haute-Sorne anwendet und zuvor in kleinem Massstab in einem Versuchsstollen der ETH Zürich im Bedrettotal getestet hat. 

Für das Schweizer Unternehmen ist Fervo ein Glücksfall, weil es in einer Partnerschaft das amerikanische Pilotprojekt begleiten konnte. So bohrte die US-Firma zwei vertikale Löcher bis in eine Tiefe von etwa 2100 Metern, wo die Bohrungen seitwärts abgelenkt wurden, um horizontal um weitere gut 1000 Meter vorzudringen.

In dieser Tiefe herrscht eine Temperatur von etwa 190 bis 200 Grad. Der Untergrund besteht aus kristallinem Grundgebirge und ist mit den Verhältnissen im Jura vergleichbar.  Die beiden Bohrungen mussten nun über ein Risssystem zu einem Wärmereservoir verbunden werden, damit im Betrieb kaltes Wasser in die eine Bohrung gepumpt werden kann. Das wird dann in der Tiefe im Risssystem aufgewärmt, fliesst zur zweiten Parallelbohrung, um dann wieder an die Oberfläche zu gelangen. Dort wird die aufgeheizte Wärme für die Dampferzeugung und anschliessende Stromproduktion entzogen. 

Geringe Erschütterungen

Die grosse Herausforderung ist jeweils, dieses Risssystem im harten und zerfurchten Felsen zu stimulieren. Fervo hat sich für die Methode entschieden, die Geo-Energie Suisse für die Schweiz patentieren liess: eine Stimulation, bei der in mehreren Schritten mit Wasserdruck der Untergrund aufgebrochen werden soll, um die beiden Röhren zu verbinden. Diese Methode soll das Risiko eines Erdbebens verringern.

Das gelang in Nevada – ohne grosse Erschütterung. Wie erwartet, haben die Ingenieure nur geringe seismische Energie gemessen, maximal 1.8 in der Richterskala. Seit November liefert das Pilotkraftwerk 3 Megawatt Leistung rund um die Uhr. Das ist nicht viel. Doch bereits 2028 soll dann in grossem Massstab Strom produziert werden. Fervo will in Beaver County in Utah ein Geothermie-Kraftwerk bauen, das 400 Megawatt Leistung erbringt, so viel wie im Vergleich einer der Reaktoren des Atomkraftwerks Beznau. «Dafür werden 100 Bohrungen gemacht», sagt Peter Meier von Geo-Energie Suisse.  

Seit Juni 2023 hat Fervo bereits zehn Bohrungen mit je 4500 Meter Länge ausgeführt. Die Kosten liegen derzeit mit 5 Millionen Dollar pro Bohrung mindestens 5-mal tiefer als derzeit in der Schweiz. Das US-Departement für Energie hat schon mehr als 220 Millionen in diese Technologieentwicklung investiert.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Auch Geo-Energie Suisse ist wieder dabei. Das Unternehmen konnte sein Messsystem mit Glasfasertechnik testen, um während der Bohrung das Verhalten des Untergrundes zu jedem Zeitpunkt verfolgen zu können. Diese innovative Messtechnik kommt nun auch im Jura zum Einsatz. 

60 Millionen Liter Wasser

Dort wurde der Untergrund vor Bohrbeginn mehrfach seismisch untersucht. Der Schweizerische Erdbebendienst beobachtet während der Bohrung die Aktivität im Fels. «Es gibt Zonen, die seismisch aktiv sind, ich denke aber, wir haben heute ein viel besseres Verständnis», sagt Meier.  Wie es aber tatsächlich im Untergrund aussehe, sei erst nach der Bohrung gewiss.

Die Ingenieure rechnen für die 4000 Meter mit einer Bohrzeit von vier Monaten. Die Sedimentschicht aus Kalk, Mergel und Salz ist bereits durchbohrt. «Wir erreichen nun den harten Granit oder Gneis», sagt Meier. Die Schweiz profitiert von den Erfahrungen in Nevada und Utah auch beim Bohren. «Die Effizienz konnte bis zu einem Faktor 6 erhöht werden.»

Die Teststimulation wird voraussichtlich im ersten Quartal des nächsten Jahres gemacht. «Wir werden mit weniger Wasservolumen als in den USA arbeiten, um möglichst kein Erdbeben auszulösen», sagt Peter Meier. Wenn alles gut geht, wird dann die zweite Röhre gebohrt.

In Utah waren die Stimulationen aggressiv. Fervo pumpte 60 Millionen Liter Wasser während einer Woche in 26 Schritten in den Fels. Im Jura will Geo-Energie Suisse für die Teststimulation nur 500’000 bis eine Million Liter einsetzen. 

Haute-Sorne wäre erst der Anfang

Für das Schweizer Unternehmen ist das Projekt Haute-Sorne vermutlich die letzte Chance, in der Schweiz die Möglichkeiten der Tiefengeothermie zu demonstrieren. Ein Misserfolg dürfte das Ende dieser Technologie in unserem Land bedeuten. Das Interesse in der Stromindustrie sei wieder grösser geworden, sagt Meier. Auch politisch scheint Geothermie wieder mehr im Fokus zu sein. So hat der Nationalrat letzte Woche ein Postulat der GLP-Nationalrätin Katja Christ angenommen, das den Bundesrat beauftragt, das Wärmepotenzial – allerdings in mittleren Tiefen – zu prüfen und eine Roadmap zu entwickeln.

Der Bund rechnet in seiner Energiestrategie, bis 2050 durch Tiefengeothermie Strom von rund 2 Terawattstunden zu produzieren. Das entspricht zwei Drittel des AKW Mühleberg, das 2019 vom Netz ging. 

Haute-Sorne wäre erst ein Anfang. Das geplante Kraftwerk könnte mit einer Leistung von 5 Megawatt dereinst Strom für rund 6000 Haushalte produzieren. Geo-Energie Schweiz rechnet dafür mit Gesamtkosten von 130 Millionen Franken.

Finanziell gut aufgestellt

Das Unternehmen ist inzwischen gut aufgestellt. Investoren haben, so Meier, das Projekt kapitalisiert. Zu ihnen gehören neben der Geo-Energie Suisse die Energieversorger «Energie Wasser Bern» und die Genossenschaft Elektra Baselland. Die Stadt Zürich zahlt 9 Millionen an das Projekt. Der Bund unterstützt es mit einem Erkundungsbeitrag von 90 Millionen Franken. 

Die Schweiz wird auch in den nächsten Jahren von den Erfahrungen der Amerikaner profitieren. «Mit jedem neuen Bohrloch können die Kosten optimiert werden», sagt Peter Meier. Die Gestehungskosten werden aber auch in Zukunft hoch bleiben. «Deshalb müssen wir nicht nur Strom, sondern auch Wärme produzieren, damit die Kosten insgesamt runtergehen», erklärt Meier. Dafür braucht es aber grosse Abnehmer, sprich, die Industrie. «Gelingt Haute-Sorne, können wir es wieder wagen, weitere Geothermie-Kraftwerke näher bei Städten zu planen», sagt Meier.