Energie aus dem BodenGülle-Attacke gegen nationales Geothermie-Projekt
Die gesamte Energiebranche blickt derzeit gespannt in den Jura: Dort bohrt eine Firma auf der Suche nach heissem Wasser kilometertief in den Boden. Das ruft Gegner auf den Plan.
Mehr Strom braucht das Land. Strom aus erneuerbaren Energiequellen wie Wasser, Sonne, Wind oder Biomasse. Darin sind sich Bundesrat und Parlament einig. Andreas Züttel, Professor für Physikalische Chemie an der ETH Lausanne, plädiert darüber hinaus dafür, die Stromversorgung so aufzustellen, dass sie zu jeder Jahreszeit autark funktionieren kann. Das Stimmvolk trifft am 9. Juni in der Abstimmung über das Stromgesetz einen ersten, wegweisenden Entscheid.
Die Geothermie gilt als eine solche sichere und autarke Energiequelle. Bei der Geothermie wird Wasser mehrere Kilometer in den Untergrund hinein- und erhitzt an die Oberfläche zurückgepumpt, um Turbinen anzutreiben und Strom zu erzeugen. Die Hoffnungen sind gross, dass der Schweiz dank dem Jura der Geothermie-Durchbruch bevorsteht, obschon Projekte in Basel und St. Gallen wegen Erdbeben gescheitert sind.
Aktuell blickt die gesamte Schweizer Energiebranche gespannt nach Haute-Sorne JU. Dort wird seit letzter Woche gemäss einem Protokoll rund um die Uhr von einem 41 Meter hohen Bohrturm aus in vier Kilometer Tiefe gebohrt. Der Bohrplatz ist eingezäunt und wird von Kameras überwacht. Wissenschaftler überwachen die Arbeiten.
Im September wird Wasser ins Loch gepresst, in der Hoffnung, es erhitzt zurückzugewinnen. Im Januar 2025 dürfte klar sein, ob in Haute-Sorne dereinst Geothermie-Strom fliessen wird, für 6000 Haushalte, so der Plan.
Dieser Plan passt nicht allen. Der Bohrbeginn treibt vor Ort Geothermie-Gegner zusammen, die seit Monaten vor Sachbeschädigungen und Sabotageakten nicht zurückschrecken. Zu den lautesten Kritikern gehört der Verein «Verantwortungsvolle Bürger im Jura». Präsident Jack Aubry sprach am Freitagvormittag vor Journalisten von einem «kriminellen Akt», von «komplett inkompetenten Behörden», «arroganten und unfähigen Regierungsräten» und «schlafenden Parlamentariern». Am Ende seines Rundumschlags wollte Aubry einen kürzlichen Angriff von Geothermie-Gegnern auf den Bohrplatz nicht kommentieren.
Zum Angriff kam es vorige Woche nach einer Kundgebung von hundert Geothermie-Gegnern. Gegenüber dem Bohrplatz geisselte Bäuerin Léa Petitjean-Gisinger das Geothermie-Projekt in einer Rede als «Chantier de la honte» (Baustelle der Schande). Sie kritisierte, seit fünfzig Jahren sei der Kanton Jura unabhängig, werde aber heute vom Bund besetzt.
Scharmützel verhindert
Im Anschluss versuchten Militante, den Schutzzaun rund um den Bohrplatz niederzureissen. Ein Mann drang aufs Gelände vor, bestieg einen mehrere Meter hohen Siloturm und entrollte ein Banner. Derweil zog ein Bauer mit seinem Traktor einen Güllewagen vor den Bohrplatz und spritzte die Gülle in ein für die Bohrarbeiten vorgesehenes Frischwasserbecken. Gegen die Gülleattacke waren zwei anwesende Polizisten und Angestellte eines privaten Sicherheitsunternehmens machtlos.
Die Aktion hat Folgen. Die für das Geothermie-Projekt verantwortliche Firma Geo-Energie Jura SA, die Stromfirmen wie dem Elektrizitätswerk Zürich, der Genossenschaft Elektra Baselland und Energie Wasser Bern gehört, sagte Mitte Woche einen Medienanlass kurzerhand ab, «weil einige militante Gegner diesen Anlass mit illegalen Aktionen stören könnten», so die Begründung.
Die jurassische Regierung sprach von «inakzeptablen Ausschreitungen», nachdem sie den Bohrbeginn mit einem umfangreichen Communiqué angekündigt und dessen Rechtmässigkeit herausgestrichen hatte. Umweltdirektor David Eray stand dieser Redaktion für eine Stellungnahme nicht zur Verfügung. Der Staatsrat weile im Ausland, teilte eine Sprecherin mit. Die Regierung schickte an Erays Stelle ihren Sprecher Julien Hostettler vor. Er sagt: «Wir haben stets umfangreich und transparent über das Projekt informiert und Bürgerinnen und Bürger mit unabhängigen Experten und Vertretern des Geothermie-Unternehmens zum direkten Austausch zusammengebracht.»
Doch ein kleiner Teil der Projektgegner verweigere jeglichen Dialog, man erreiche diese Leute einfach nicht, bedauert Hostettler. Es sei aber auch nicht Aufgabe der Regierung, bei Sabotage- oder Gewaltakten einzugreifen. Die Sicherheit vor Ort sei Sache des Unternehmens, der Justiz und der Polizei, welche die Situation genau im Blick hätten. Das Geothermie-Unternehmen hat Anzeige wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung erstattet.
Die Verantwortlichen von Geo-Energie versprechen derweil, seismische Erschütterungen soll es in Haute-Sorne nicht geben. «Spürbare Beben können während des Bohrens praktisch ausgeschlossen werden», betont Geschäftsführer Peter Meier. «In den USA wurden in den letzten drei Jahren grosse Fortschritte in der Bohrtechnik für das Bohren durch harte Gesteine wie Granit gemacht. Diese Technologieentwicklungen kommen in Haute-Sorne zur Anwendung», so Meier.
«Es wird Erdbeben geben», heisst es hingegen beim jurassischen Bürgerverein. Die Immobilienpreise würden in sich zusammenfallen, Hausbesitzer auf teuren Hypotheken und wertlosen Immobilien sitzen bleiben, weil die Geo-Energie Jura SA nur mit 100 Millionen Franken gegen Schäden versichert sei. Statt einer sicheren und autarken Energiequelle prognostizierten Vereinsmitglieder den kollektiven Untergang.
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