Vernachlässigte Energiequelle in der SchweizWie gross ist das Potenzial von Erdwärme?
Mit Geothermie lassen sich Öl- und Gasheizungen ersetzen. Jetzt fordern Politiker vom Bundesrat eine Roadmap zur Erschliessung der Energiequelle. Doch es gibt Hindernisse bei der Nutzung.
Und wieder blickt die Politik in den Untergrund. Eben erst hat Nationalrat Christian Imark (SVP) eine Debatte über die Förderung von Erdgas in der Schweiz angestossen. Nun ist es GLP-Nationalrätin Katja Christ, die einen neuen Impuls setzen will – mit Geothermie. Aus dem Untergrund lässt sich Wärme gewinnen für Gebäudeheizungen und die Industrie. «Mit einer konsequenten Nutzung der Erdwärme können wir die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern senken», sagt Christ. Sie selber wohnt in Riehen in einem Haus und bezieht dort vorwiegend Erdwärme.
In einem neuen Vorstoss fordert Christ vom Bundesrat einen Bericht, der aufzeigen soll, wie gross das Potenzial der Geothermie zur Wärmegewinnung in der Schweiz ist – und wie es sich ausschöpfen lässt. Christ verlangt zudem einen Fahrplan. Den Vorstoss haben Vertreter aller Parteien unterschrieben, er könnte also mehrheitsfähig sein. Was wissen wir heute?
Enormes Wärmereservoir
«Grundsätzlich ist das Wärmepotenzial in der Schweiz riesig», sagt Peter Meier, Geschäftsführer von Geo-Energie Suisse. Das Unternehmen kämpft seit Jahren im jurassischen Haute-Sorne um die Genehmigung einer Explorationsbohrung in einer Endtiefe von 4000 bis 5000 Metern. Das Ziel ist: Wärme für die Stromproduktion gewinnen.
Christs Postulat zielt jedoch nicht auf diese umstrittene Tiefen-Geothermie, sondern vor allem auf die Wärme aus dem Untergrund: 500 bis 3000 Meter tief. Fachleute sprechen von mitteltiefer Geothermie. Dabei geht es um wasserführende, sprich hydrothermale Gesteinsschichten. Geothermie Schweiz, der Dachverband der Schweizer Geothermie-Akteure, schätzt das wirtschaftlich nutzbare Potenzial auf rund 8 Terawattstunden pro Jahr. Das wären immerhin gut 9 Prozent des Wärmebedarfs für Gebäude und Industrie, das der Dachverband bis 2050 etappenweise erschliessen will – zu «konkurrenzfähigen Preisen für Betreiber und Endkunden». Zu den Abnehmern gehören Quartiere, Stadtareale, Gewerbe, Industrie und Landwirtschaft.
Grenzen der Geothermie
Doch es gibt Bedenken. Roland Wyss hält den Plan von Geothermie Schweiz zumindest vorläufig für «reine Theorie». Der Geologe hat schon einige kantonale Potenzialstudien durchgeführt. Allein aus den Daten seismischer Messungen und den wenigen Probebohrungen in der Schweiz lasse sich kein exaktes Bild über den wasserführenden Untergrund machen. Das heisst: Es braucht – ähnlich wie beim Erdgas – für jedes Projekt Explorations-Bohrungen, um das Förderpotenzial zuverlässig abschätzen zu können. «Da wird Hoffnung geweckt, die man vielleicht gar nicht befriedigen kann.»
Das beste Beispiel ist das Geothermie-Projekt in St.Gallen, wo man nach einer Bohrung – direkt in eine Bruchzone – nicht nur zu wenig Wasser gefunden, sondern auch ein kleines, kurzes Erdbeben ausgelöst hat. Auch eine Bohrung im Triemli-Quartier in Zürich brachte nicht den erhofften Erfolg.
Es gibt aber auch Erfolge: In Kreuzlingen reicht das gefundene warme Wasser aus dem Untergrund, um ein Thermalbad zu beheizen, in Kloten und in Bassersdorf für mehrere Mehrfamilienhäuser. Bemerkenswert ist das Vorhaben eines Gemüsegrossbetriebes im thurgauischen Schlattingen. Hier gibt es ein genügend grosses Warmwasserreservoir, um von fossiler auf erneuerbare Energie umzustellen. Auch im Kanton Waadt und in Genf stehen derzeit Geothermie-Projekte an, die erfolgreich werden könnten.
Trotzdem: Das einzige bisher erfolgreiche Grossprojekt der mitteltiefen Geothermie bleibt Riehen in Basel. Um das Ziel des Geothermie-Verbandes zu erreichen, braucht es allerdings ganz andere Vorhaben. Heute würden erst 0,2 Terawattstunden Wärme pro Jahr genutzt, schreibt der Verband. Es brauche etwa 250 geothermische Anlagen, um das Ziel von 8 Terawattstunden Wärme bis 2050 zu erreichen. «Eine Herkulesaufgabe», sagt Geologe Roland Wyss.
Geringe Durchlässigkeit des Gesteins
Das Problem in der Schweiz ist: Viele hydrothermalen Schichten sind meistens nur gering durchlässig. Im Gegensatz zum Raum München, wo seit Jahren erfolgreich warmes Wasser gewonnen wird, sind die Wasserleiter, die sogenannten Aquifere, in der Schweiz wenig porös. Das hat mit der unterschiedlichen geologischen Entwicklung zu tun. Einerseits fehlt vielerorts eine Verkarstung der Schichten, in denen Wasser gut fliessen kann. Andererseits wurde der Untergrund des Schweizer Mittellandes, eingeklemmt zwischen Alpen und Jura, unter dem enormen Druck während der Alpenbildung stark verdichtet. «Bei reiner hydrothermaler Nutzung sind in der Schweiz die Chancen auf grosse Durchlässigkeit bei 30 Prozent», sagt Peter Meier von Geo-Energie-Suisse.
Gestein stimulieren
Die Konsequenz: Trifft die Bohrung auf einen Untergrund mit geringer Durchlässigkeit, braucht es Stimulierungen. Das heisst: Es werden oft säurehaltige Lösungen ins Bohrloch gepresst, um die Durchlässigkeit der Gesteinsumgebung zu erhöhen. «Nur so kann das Wasser fliessen und an die Oberfläche befördert werden», sagt Roland Wyss.
Allerdings: Nach dem Erdbebenereignis von St. Gallen 2013 hat die allgemeine Akzeptanz für solche Stimulierungen gelitten. Geologen dagegen sehen dank moderner Methoden hier kein grosses Risiko. Es gibt auch Beispiele in der Schweiz, die ohne Stimulierung auskommen. Etwa in Genf. «Dort fliesst warmes Wasser von allein an die Erdoberfläche – für 2000 Einwohner», sagt Nathalie Andenmatten. Sie ist Leiterin des Programms «Geothermies» im Kanton Genf und Präsidentin des Dachverbandes Geothermie Schweiz.
Standort bei Fernwärmenetzen
Eine weitere Schwierigkeit: Bohrungen lohnen sich letztlich nur dort, wo auch ein Fern- oder Nahwärmenetz vorhanden ist, um die Wärme aus dem Untergrund zu verteilen. Swisspower, die Allianz Schweizer Stadtwerke, erweitert bereits heute thermische Netze – und will den Ausbau beschleunigen. Dabei soll auch Geothermie zum Zug kommen. «Dafür brauchen wir aber zusätzlich eine direkte Finanzierung des Bundes», sagt CEO Ronny Kaufmann.
Forderung nach Risikogarantie
Stadtwerke wollen nun laut Kaufmann mit konkreten Geothermie-Projekten vorangehen. Doch sie könnten die damit verbundenen Risiken nicht tragen, weil der Investor erst nach langen Bohrungen weiss, ob er an diesem Standort genügend Wärme produzieren kann.
Das Problem ist bekannt. Heute übernimmt der Bund 60 Prozent der Investitionen für die Erkundung des Untergrundes und Explorationsbohrungen. «Jede Bohrung ist immer noch ein finanzielles Abenteuer», sagt Natalie Andenmatten von Geothermie Schweiz. Die Verfahren seien viel zu lang, es fehle an Normen, Standards und Erfahrung. Anders in Frankreich: Dort ist jede Bohrung durch eine Risikogarantie vollständig gedeckt, Projekte werden innert 3 bis 5 Jahren von der Idee bis zur Ausführung realisiert. In Paris gibt es 60 geothermische Anlagen, die etwa eine Million Menschen mit Wärme versorgen – aus Wasserreservoirs in einer Tiefe von 1000 bis 2500 Metern.
Wärmespeicher für den Winter
Die mitteltiefe Geothermie hat den Vorteil, über das ganze Jahr hindurch Wärme zu liefern. Allerdings wird sie im Sommer nicht in allen Fällen genutzt. Es braucht deshalb Wärmespeicher im Untergrund, um die Wärme für den Winter zu speichern. Damit würde eine weitere Option geschaffen, um die Stromnachfrage in der kalten Jahreszeit zu senken und so das Risiko einer Strommangellage zu reduzieren – ein erklärtes Ziel der Politik.
Gewässerschutz anpassen
Weiter oben im Boden geht es schneller voran: Heute fliesst aus Schichten der ersten hundert Meter vor allem über Erdsonden etwa 4 Terawattstunden pro Jahr. Ein Mehrfaches sei möglich, schätzt Geothermie Suisse. Zusammen mit der Energie aus den Mitteltiefen geht der Verband von einem Wärmepotenzial von insgesamt 17 Terawattstunden aus. Damit könne 2050 rund ein Viertel des Wärmebedarfs gedeckt werden.
Allerdings gibt es auch hier eine Hürde: den Gewässerschutz. FDP-Nationalrat Matthias Jauslin will deshalb den tiefen Untergrund für Wärmenutzung und Wärmespeicherung besser nutzbar machen, ebenso das Grundwasser. In einer Motion, die er letzte Woche eingereicht hat, verlangt er eine Anpassung der Gewässerschutzverordnung. Diese sieht vor, dass sich ein Gewässer gegenüber dem «unbeeinflussten Zustand» höchstens um 3 Grad Celsius erwärmen darf.
Die Wärmespeicherung sei aber sehr schwierig, wenn nur solch kleine Temperaturdifferenzen im Grundwasser erlaubt seien, sagt Jauslin, der im Vorstand von Geothermie Schweiz sitzt. Der Bundesrat solle hier mehr Spielraum schaffen – ohne aber den Schutz des Trinkwassers oder der Lebensräume, die vom Grundwasser abhängen, negativ zu beeinträchtigen. Ob das möglich ist? Auch das ist eine der vielen Fragen, die noch offen sind.
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