Kampf gegen FinanzkriminalitätSchweiz und EU streiten über verwehrte Rechtshilfe
Die neu geschaffene EU-Staatsanwaltschaft bekommt auf der Jagd nach Wirtschaftskriminellen keine Unterstützung aus der Schweiz – und ärgert sich darüber. Nun will der Bundesrat handeln.
Die Operation hiess «Admiral» und dauerte 18 Monate lang. Im Visier: ein Betrügernetzwerk, verteilt über ganz Europa. 600 Verdächtige. Der Schaden: 2,2 Milliarden Euro.
Anfang Dezember hat die Europäische Staatsanwaltschaft (EUSta) über den grössten bisher aufgedeckten europäischen Mehrwertsteuerbetrug informiert. Die Operation «Admiral» zeige die Vorteile einer länderübergreifenden Staatsanwaltschaft, sagte Laura Kövesi, die Chefin der Behörde. Laut der EUSta gab es Spuren in viele Länder – auch in die Schweiz.
Doch die Schweiz arbeitet nicht mit der neuen EU-Behörde zusammen.
Die Europäische Staatsanwaltschaft jagt seit Sommer 2021 Verbrecherinnen und Verbrecher. Zuständig ist sie für Fälle von Finanzkriminalität, durch die dem EU-Haushalt finanzieller Schaden entsteht. Vergangene Woche hat sie sich in die Ermittlungen zum Korruptionsskandal im Europaparlament eingeschaltet.
An einer Zusammenarbeit mit der Schweiz hat die Behörde wegen der Bedeutung des hiesigen Finanzplatzes grosses Interesse: Sie schickte von Beginn weg Rechtshilfeersuchen nach Bern, wie das Bundesamt für Justiz auf Anfrage bestätigt. Die Schweiz lehnte die Zusammenarbeit jedoch bisher ab. Der Grund: Es fehlt die Rechtsgrundlage dafür.
Streit blieb unter dem Radar
In den letzten zwei Jahren hat das zu einem Streit zwischen der Schweiz und der EU geführt, von dem – anders als bei anderen Streitigkeiten – nichts an die Öffentlichkeit gelangte. Laut involvierten Personen verhärteten sich die Fronten nach dem Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen 2021.
Dabei versicherte die Schweiz stets, sie unterstütze die Verfolgung der Finanzdelikte und wolle einen Weg zur Zusammenarbeit finden. Die EU dagegen warf der Schweiz vor, mit spitzfindigen Argumenten die Verfolgung von Finanzdelikten zu behindern.
Aus Sicht der EU und ihrer Mitgliedsstaaten ist die EUSta eine Justizbehörde im Sinne des Europäischen Rechtshilfeabkommens – ein Abkommen des Europarats, das auch die Schweiz ratifiziert hat. Die Schweiz habe also eine Grundlage, um mit der Behörde zusammenzuarbeiten, argumentierte die EU – wie jene EU-Staaten, die der EUSta nicht angehören. Es handelt sich um Polen, Ungarn, Irland, Schweden und Dänemark.
Die Schweiz sah das anders. Sie erklärte, eine Zusammenarbeit mit der EUSta sei nicht mit ihrer Auslegung des Europäischen Rechtshilfeabkommens vereinbar. Ihr würden neue, nicht völkerrechtskonforme Verpflichtungen aufgezwungen. Denn die Europäische Staatsanwaltschaft sei zwar dezentral organisiert, aber eine supranationale Behörde. Sie sei der EU zuzurechnen, und die EU sei nicht Mitglied des Europäischen Rechtshilfeabkommens.
Die Lösung sucht die Schweiz im Europarat: Sie setzt sich dafür ein, dass dort eine saubere Rechtsgrundlage geschaffen wird, wie das Bundesamt für Justiz in seinem Jahresbericht schreibt. Bloss: Bisher ist das nicht gelungen. Und der Druck aus der EU nimmt zu.
Lösung per Verordnung
Deshalb will der Bundesrat nun eine Lösung auf Basis von Schweizer Recht schaffen. Ohne ausdrücklichen Parlamentsbeschluss. Dem Vernehmen nach hat Justizministerin Karin Keller-Sutter aber die zuständigen Parlamentskommissionen konsultiert. Konkret will der Bundesrat eine Verordnung erlassen, welche die Zusammenarbeit mit der Europäischen Staatsanwaltschaft ermöglichen würde.
Die Basis dafür bildet ein erst vor kurzem revidierter Artikel im Rechtshilfegesetz. Mit der Revision ermöglichte das Parlament der Schweiz, internationalen Strafinstitutionen Rechtshilfe zu leisten. Im Blick hatte es dabei internationale Straftribunale wie etwa das UNO-Sondertribunal für die Aufklärung des Mordes am ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri.
Doch der Artikel ermöglicht dem Bundesrat auch, die Zusammenarbeit per Verordnung auf weitere Strafinstitutionen auszudehnen. In der Vernehmlassung war kritisiert worden, damit erhalte der Bundesrat eine erhebliche Kompetenz. Diese nutzt er nun.
Mehrere Gesuche pro Monat
Die geplante Lösung ermöglicht der Schweiz umfassende Rechtshilfe an die EUSta, verpflichtet sie aber nicht dazu. Das würde sich ändern, wenn doch noch eine Einigung im Europarat gefunden würde. Dann entstünde eine beidseitige Verpflichtung.
So oder so ist zu erwarten, dass die Europäische Staatsanwaltschaft nun viele Rechtshilfeersuchen an die Schweiz richten wird: Fachleute rechnen mit zwei bis drei Ersuchen pro Monat. Schickt die Schweiz via EUSta Beweismittel in ein EU-Land, können diese an ein anderes EU-Land weitergegeben werden.
Neben Mehrwertsteuer- und Subventionsbetrug mit Verbindung zu Schweizer Bankkonten könnten die Gesuche zum Beispiel den Korruptionsskandal im Europaparlament betreffen – oder die Ermittlungen gegen den tschechischen Ex-Regierungschef Babis, dessen Sohn Verbindungen in die Schweiz hat. Auch die Schweiz kann künftig Ersuchen an die EUSta richten, wenn der Bundesrat die Verordnung beschliesst und in Kraft setzt. Entscheiden wird er voraussichtlich an einer seiner nächsten Sitzungen.
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