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Lohngleichheit in der Schweiz
Keine Zeit, keine Verpflichtung, kein Anlass: Firmen schwänzen obligatorische Lohnanalyse

Menschen demonstrieren in Bern mit Plakaten für gleiche Bezahlung, darunter ein Schild mit der Aufschrift ’Egal ob Luis oder Luisa, gleicher Lohn!’
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In Kürze:
  • Unternehmen mit mehr als 100 Angestellten müssen Lohngleichheitsanalysen machen.
  • Rund die Hälfte der Firmen macht das nicht.
  • Die Mehrheit glaubt an Einhaltung der Lohngleichheit ohne eine Analyse – andere wussten nichts von der Pflicht.
  • SP-Politikerin Tamara Funiciello fordert Sanktionen für die fehlbaren Firmen.

Es ist ein klarer Auftrag. Unternehmen mit 100 oder mehr Angestellten müssen seit dem 1. Juli 2020 Lohngleichheitsanalysen durchführen. Nur machen das rund die Hälfte der Firmen nicht. Zu diesem Schluss kommt ein Bericht, der im Auftrag des Bundesamts für Justiz erstellt wurde. Befürchten müssen die Firmen aber nichts. Für diejenigen, die keine Analyse durchführen, sind keine Strafen vorgesehen. 

Der Bericht wurde von der Berner Fachhochschule erstellt. Er zeigt, weshalb so viele Unternehmen dem Auftrag des Bundes nicht folgen. Rund die Hälfte der Arbeitgebenden, die keine Analyse durchführen, gehen offenbar davon aus, dass sie die Lohngleichheit einhalten. Sie glauben daher, dass sie gar nichts unternehmen müssen.

Hinzu kommen weitere Gründe. Einzelne Unternehmen geben etwa an, keine Zeit dafür zu haben (4,5 Prozent) oder nichts von der Pflicht gewusst zu haben (2,4 Prozent).

Für ihren Bericht haben die Forscher alle gut 6000 Firmen und öffentlichen Arbeitgeber, die eine Analyse durchführen müssen, angefragt. Rund 40 Prozent haben an der Umfrage teilgenommen. 

In einer Firma wurde die Kontrolle vom Chef verboten

Der Bericht der Berner Fachhochschule listet erstaunliche Begründungen auf, weshalb einzelne Firmen nicht mitgemacht haben. Ein Personalverantwortlicher berichtet anonym, dass er in seiner Firma eine Lohngleichheitsanalyse habe durchführen wollen. «Mein Vorgesetzter hat mir das jedoch verboten.» Er habe die Analyse dann trotzdem gemacht. «Das Ergebnis war ein sehr deutlicher Lohnunterschied zuungunsten sämtlicher Frauen im Betrieb.» Später habe er die Firma verlassen. 

Andere äussern sich pragmatischer. «Bei jeder Neuanstellung wird die Lohngleichheit überprüft. Eine systematische gesamthafte Überprüfung ist mangels Ressourcen nicht erfolgt.» Oder einfach: «Das habe ich nicht gewusst, dass eine solche Pflicht besteht. Wir gehen dem aber jetzt mal nach.»

Arbeiterin im Logistikzentrum Wohlen verpackt Waren für Digitec Galaxus Onlinehandel, 08.11.2021.

Der Bundesrat will dem Problem ebenfalls nachgehen. Ein Bericht zur Wirksamkeit der neuen Vorschrift soll bereits 2027 vorliegen und nicht erst 2029. 

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund kritisiert die lange Frist. Die Bilanz des heute veröffentlichten Zwischenbewertungsberichts sei klar genug, um die sofortige Einführung verbindlicherer Massnahmen für die Unternehmen zu rechtfertigen.

Tamara Funiciello, Co-Präsidentin der SP-Frauen, sieht ebenfalls Handlungsbedarf. «Lohngleichheit ist eine gesetzliche Pflicht. Die Schweiz ist ein Rechtsstaat, wir halten uns an Gesetze. Es ist skandalös, dass grosse Teile der Wirtschaft das Gefühl haben, sie könnten dies einfach ignorieren.» Unternehmen, die sich nicht an die gesetzliche Pflicht halten, müssten sanktioniert werden, so ihre Forderung. 

Kleinere Unterschiede als angenommen

Der Gewerbeverband lehnt jegliche Verschärfungen in der Lohngleichheitsanalyse ab. «Statt Unternehmen unter Generalverdacht zu stellen, muss vielmehr gefragt werden, ob die erst seit 2020 in Kraft stehende Regelung wirklich tauglich ist, die Lohngleichheit in den Unternehmen zu fördern.»

Die Berner Analyse zeigt einen weiteren interessanten Punkt. Gemäss den Antworten der Arbeitgebenden, die an der Umfrage teilgenommen haben, liegt die durchschnittliche Lohndifferenz zwischen Mann und Frau bei 11,2 Prozent. Die durchschnittliche unerklärte Lohndifferenz, also der Lohnunterschied von Männern und Frauen mit vergleichbarer Ausgangslage, lag bei 3,3 Prozent.  

Das ist deutlich weniger als in den offiziellen Zahlen. Laut dem Bundesamt für Statistik verdienten 2022 Frauen in der Schweiz im Schnitt 16 Prozent weniger als Männer, rund die Hälfte davon ist unerklärbar.