Nationalisten in SchottlandEr soll den Traum von nationaler Unabhängigkeit retten
Nach dem dramatischen Abgang von Humza Yousaf wird ein Veteran der schottischen Politik neuer Regierungschef: John Swinney. Leicht wird es nicht.
Ein Veteran der schottischen Politik soll die Schottische Nationalpartei (SNP) und mit ihr den Traum vieler Schotten von nationaler Unabhängigkeit retten. John Swinney tritt diese Woche erneut den Parteivorsitz an – 20 Jahre nachdem er als Parteichef kapitulieren musste, wegen mangelnden Zuspruchs in der Wählerschaft.
Eigentlich hatte der 60-jährige Politiker letztes Jahr bereits beschlossen, sich aus dem Rampenlicht zurückzuziehen und seiner Familie «mehr Zeit zu widmen». Angesichts des Chaos, in dem sich seine Partei neuerdings befindet, änderte er aber seinen Plan.
Schon als Teenager in der SNP
Nun will ausgerechnet der SNP-Mann, der länger als sonst jemand dem Parlament in Edinburgh angehört hat, der schottischen Regierungspartei zu einem Neustart verhelfen. Swinney soll innere Streitigkeiten schlichten, abtrünnige Wählerinnen und Wähler zurückgewinnen und mit den schottischen Grünen eine neue Zusammenarbeit beginnen. Sein Vorgänger Humza Yousaf hatte die Koalition mit den Grünen auf spektakuläre Weise beendet, worauf er selbst Ende April aus dem Regierungsamt stolperte.
An Erfahrung fehlt es Swinney jedenfalls nicht. Für die SNP hat er sich eingesetzt, seit er 15 war. Schon im Alter von 22 Jahren wurde er ihr Generalsekretär.
Im 1999 neu etablierten schottischen Parlament in Edinburgh sass er von Anfang an, nachdem er zuvor schon als SNP-Abgeordneter dem Unterhaus angehörte. Und von 2000 bis 2004 war er SNP-Vorsitzender und Oppositionsführer in Edinburgh – bis er sich, nach wenig überzeugenden Resultaten bei den damaligen Europa-Wahlen, zum Aufgeben gezwungen sah.
Alex Salmond, der die SNP 2007 in Schottland an die Regierung geführt hatte, übertrug Swinney allerdings umgehend den Posten des schottischen Finanzministers. Und Salmonds Nachfolgerin Nicola Sturgeon machte ihn zum Vizeregierungschef.
Flügelkämpfe in der Nationalpartei
Als Sturgeon voriges Jahr abtrat, mochte auch Swinney dem Kabinett nicht länger angehören. Nach dem plötzlichen Sturz Yousafs, des letzten SNP-Regierungschefs, drängte die Nationalpartei Schottlands Swinney aber zur erneuten Übernahme des Top-Postens. Andere mögliche Anwärter auf das Amt verzichteten auf eine Kandidatur, um den Nachfolgeprozess zu beschleunigen.
Erwartet wird von John Swinney nun, dass er mit einer gemässigt sozialliberalen Linie die beiden oft konträren Flügel der SNP neu zusammenbringt – die auf radikalen gesellschaftlichen Wandel pochenden Nationalisten mit den eher traditionell orientierten Parteigängern, die vor allem bessere öffentliche Dienstleistungen und eine «solide» Wirtschaftspolitik verlangen.
Geschätzt wird Swinney als erfahrener Unterhändler, der sich im Edinburgher Politbetrieb bestens auskennt und über genug diplomatische Fähigkeiten verfügt, um – wie er selbst sagt – «Brücken zu bauen». Insbesondere wird er das angeschlagene Verhältnis mit den Grünen wieder reparieren müssen, da die SNP im Parlament in Edinburgh nicht über eine eigene Mehrheit verfügt.
Dabei verbindet SNP und Grüne, dass beide Parteien für die Unabhängigkeit Schottlands eintreten. Und bemerkenswerterweise scheinen noch immer zwischen 45 und 50 Prozent der Schotten für einen eigenständigen Staat zu sein.
Labour erstarkt auch in Schottland
Dabei hat die SNP, als Hauptträgerin der Hoffnung auf schottische Selbstbestimmung, sich in letzter Zeit so viel Kritik zugezogen, dass sie in Umfragen nur noch auf 29 Prozent kommt. Sie muss nun befürchten, bei den Unterhauswahlen mehr als die Hälfte ihrer Westminster-Sitze zu verlieren. Danach könnte ihre dominierende Stellung in Edinburgh ins Wanken kommen.
Mit Spannung schaut deshalb ganz Grossbritannien darauf, wie Swinney es anstellen will, dem Verlangen weiter Teile seiner Partei nach einem forcierten Unabhängigkeitskurs nachzukommen und gleichzeitig das Ansehen seiner Partei in Schottland neu zu stärken. Erschwert wird Swinneys Aufgabe durch das derzeitige Erstarken der Labour-Partei in ganz Grossbritannien.
Denn solange die Konservativen in London regierten, konnte sich die SNP «droben im Norden» als progressive Alternative präsentieren und für ein Ende des «verhängnisvollen Einflusses der englischen Tory-Rechten» aufs eigene Land werben. Den Brexit zum Beispiel hat die SNP stets vehement abgelehnt.
Die Aussicht auf eine Labour-Regierung in London lässt aber viele der bisherigen SNP-Wählerinnen und -Wähler erwägen, zunächst einmal für einen Labour-Sieg «drunten im Süden» zu sorgen. John Swinney wird alle Hände voll zu tun haben in nächster Zeit.
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