Kolumne von Michael HermannScholz und das sozialdemokratische Comeback
Der trockene SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz könnte in einer sich nach Ruhe und Stabilität sehnenden Zeit eine alte und zugleich neue sozialdemokratische Tradition begründen.
Die Chancen stehen gut, dass die SPD am kommenden Sonntag das erste Mal seit zwei Jahrzehnten zur stärksten Kraft in Deutschland wird. Gemessen an der Vielzahl von Nachrufen auf die Sozialdemokratie grenzt allein schon diese Möglichkeit an ein Wunder. Natürlich ist die Stärke der SPD auch Ausdruck der Schwäche und der Fehler der Konkurrenz, doch ist sie weit mehr als das.
Kommt Olaf Scholz mit seiner Partei als Erster ins Ziel, dann wird dies zu einem Impuls für die Sozialdemokratie weit über Deutschland hinaus. Pragmatiker Scholz steht für einen neuen und zugleich alten sozialdemokratischen Typus. Es ist noch nicht einmal zwei Jahre her, da brachte ihm genau dies beim Basisvotum um den Parteivorsitz eine grosse Niederlage ein. Er repräsentierte als Finanzminister und Vizekanzler die bei der Parteilinken verhasste Grosse Koalition mit der CDU.
Und noch fast schlimmer: Als Generalsekretär unter Gerhard Schröder war er einst Teil des dritten Wegs und der sogenannten «Neuen Mitte». Diese «Neue Mitte» ist der Schlüssel, ohne den die sozialdemokratischen Dramen der letzten Jahre nicht zu verstehen sind. Der Ansatz geht auf das Ende des Kalten Kriegs und die beschleunigte Globalisierung zurück. Durch die Auslagerung der Industrieproduktion in die Schwellenländer verloren die sozialdemokratischen Parteien damals immer grössere Teile ihrer ohnehin schon geschrumpften Basis. Mit der Öffnung der ehemaligen Arbeiterparteien zur gesellschaftlichen Mitte gelang es vielen von ihnen jedoch, sehr erfolgreich zurückzukommen: Gegen Ende des 20. Jahrhunderts standen sozialdemokratische Parteien in grossen Teilen der westlichen Welt in der Regierungsverantwortung.
Olaf Scholz, der so belächelt wurde, hat nun die besten Chancen, der Partei ihren Stolz zurückzubringen.
Der Triumph des westlich-liberalen Modells über den real existierenden Sozialismus schuf damals allerdings zugleich einen von neoliberalen Weissbüchern, New Public Management und Bankenderegulierung geprägten Zeitgeist. Dieser neoliberale Zeitgeist war keine sozialdemokratische Erfindung, er erfasste das gesamte politische Spektrum. Seine wichtigsten Erfüllungsgehilfen waren jedoch ausgerechnet Figuren der sozialdemokratischen Parteienfamilie: Tony Blair, Bill Clinton und Gerd Schröder. Der Grund ist einfach: Sie standen damals in Macht und Verantwortung. Die Macht dieser drei Herren jedoch verglühte und der neoliberale Zeitgeist ebenso.
Doch während sich die bürgerlichen Parteien weitgehend geräuschlos von der Epoche der Deregulierung verabschiedeten, blieb diese für die Linke auf Jahre hinaus traumatisch. Es folgte ein langer sozialdemokratischer Marsch nach links, auf dem fortan alles, was nach Mass und Mitte schmeckte, sogleich mit der schröder-blairschen Erbsünde in Verbindung gebracht wurde. Als Olaf Schulz vor zwei Jahren der Parteivorsitz verwehrt blieb, markierte dies zugleich den Höhe- und den Schlusspunkt dieser Entwicklung. Mit Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans bestimmte nun der linke Flügel die Programmatik der SPD, und es wurde zunehmend schwierig, die anhaltenden Niederlagen Schröders drittem Weg anzulasten, an den sich ohnehin nur noch die älteren Semester blass erinnerten.
Genau diese Ernüchterung war die Basis der Kanzlerkandidatur des bis auf die Knochen gemässigten Pragmatikers Scholz. Er, der so belächelt wurde, hat nun die besten Chancen, der Partei ihren Stolz zurückzubringen. Wichtig ist dabei: Scholz ist kein Wiedergänger Schröders. Von einer neoliberalen Reformrhetorik ist bei ihm nichts zu hören. Mit seinen Appellen an Respekt und Verantwortung erinnert er vielmehr an den trockenen Helmut Schmidt. Der vorletzte SPD-Kanzler stand damals in den von Hippies geprägten 1970er-Jahren komplett neben dem Zeitgeist. Der ebenso trockene Scholz könnte in unserer sich nach Ruhe und Stabilität sehnenden Zeit jedoch eine alte und zugleich neue sozialdemokratische Tradition begründen.
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