Sandalen an der WallstreetBirkenstock humpelt an die Börse
Der Hype um den deutschen Sandalenhersteller wird von Anlegern nicht geteilt.
Birkenstock, der 249 Jahre alte Hersteller von biederen Gesundheitssandalen, wurde gestern mit allen Mitteln der Finanzakrobatik an die Börse gestossen. Die Nachfrage nach dem Unternehmen an der Wallstreet war schwach. Der Marktwert musste nach unten korrigiert werden. Der Handel endete mit einem unerwarteten Preisabschlag von zwölf Prozent – rund eine Milliarde Dollar tiefer als erwartet.
Finanzanalysten hatten zum Voraus gewarnt, dass die Börse zu instabil sei und keine zu hohe Bewertung wie im Fall von Birkenstock ertrage. Sie verwiesen auf vergleichbare, enttäuschende Börsengänge der letzten Monate. Der Hunger nach neuen Unternehmen, so die Mehrheitsmeinung, werde wohl erst 2024 zurückkehren, wenn auch klar sei, ob die US-Notenbank keine weiteren Zinserhöhungen plane.
Sie führen aber auch die Geldgier der Eigentümer ins Feld, allen voran Bernard Arnault, Milliardär und Chef des französischen Luxusgüterkonzerns LVMH. Über eine Beteiligungsgesellschaft hatte er vor zwei Jahren für unter fünf Milliarden Dollar eine Mehrheit erworben und auf diese Weise drei Birkenstock-Erben – Ururururenkel des Dorfschuhmachers Johann Adam Birkenstock – zu Milliardären gemacht.
In den USA erst gross geworden
Dass Birkenstock in New York und nicht in Frankfurt an die Börse gegangen ist, ist folgerichtig. Denn mehr noch als eine deutsche ist Birkenstock eine amerikanische Erfolgsgeschichte. Heute werden mehr als die Hälfte der 30 Millionen Schuhpaare jährlich in den USA abgesetzt; und der Trend zeigt steil nach oben. Dank Nordamerika hat sich der Umsatz in zehn Jahren um das Vierfache auf 1,3 Milliarden Dollar erhöht. Drei Viertel der Käufer sind Frauen, und die Mehrheit ist unter 35 Jahre alt.
Dabei gelang es seit 60 Jahren, immer wieder auf den neusten Mode- und Gesellschaftstrends mitzureiten. «In den 1960er- und 1970er-Jahren adoptierten die weltweite Friedensbewegung und die Hippies Birkenstock als Teil ihres Verlangens nach Freiheit und Freigeistigkeit», rühmt sich das Unternehmen. Nach den Beatniks kamen die Umweltschützer: «In den 1980er-Jahren übernahm die Umweltbewegung Birkenstock wegen unserer ethischen Anforderungen an Produktion und Konsum.» Und die Feministinnen: «In den 1990er-Jahren, inspiriert von der Feminismusbewegung, trugen mehr Frauen Birkenstock, um sich von den Modevorschriften zu befreien, die das Tragen schmerzhafter High Heels verlangten.»
Als die sehr junge Kate Moss vor 30 Jahren die Sandalen für ein Titelbild trug, wurden die Schuhe erst recht zu einer angesagten Marke, besonders auf Universitäten und im Silicon Valley. Apple-Gründer Steve Jobs war auch hier Trendsetter. Sein abgetragenes braunes Paar Sandalen wurde letztes Jahr für 218’750 Dollar versteigert.
Hype mit allen Mitteln
Mit einer Bewertung von über acht Milliarden Dollar ist Birkenstock auf einen Schlag unter die fünf Grössten der Branche vorgestossen. Dies verdankt das Unternehmen einer aggressiven Strategie von Unternehmenschef Oliver Reichert. Der 52-Jährige führt die Firma seit 2013, besitzt nach seinen Angaben über 500 Paar Latschen und hat die Sandalen zu einem Luxusobjekt gemacht.
Modehäuser von Jil Sander bis Dior führen ihre eigenen Modelle im Angebot und verlangen bis zu 1300 Dollar pro Paar. Es gehört heute zum akzeptierten Ton, glitzernde Birkenstocks zum Galadiner zu tragen. Geschickt platzierte das Unternehmen dieses Jahr auch ein Paar ausgelatschte Birkenstock-Sandalen im Hollywoodhit «Barbie».
Der Hype passt in ein müdes Börsenjahr, in dem etablierte Marken wie Disney und Nike stark unter Druck gekommen sind. 249 Jahre nach Dorfschuhmacher Johann Adam Birkenstock werden die Latschen als frische Alternative zu den immer gleichen Produkten der etablierten Anbieter der Unterhaltungs- und Konsumgüterindustrie gesehen.
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