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Korruptionsaffäre überschattet EU-Gipfel
Säcke voller Bargeld, ein belgischer Starermittler und ein Versprechen

Erklärungsbedarf für Roberta Metsola: Die EU-Parlamentspräsidentin (links) am Gipfel mit Kommissionschefin Ursula von der Leyen sowie Sloweniens Premier Robert Golob und der Estin Kaja Kallas.  
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Der Auftritt der Präsidentin des EU-Parlaments ist sonst eher langweiliges Vorprogramm. Doch diesmal hat Roberta Metsola zu Beginn des EU-Gipfels die volle Aufmerksamkeit. Die Staats- und Regierungschefs wollten wissen, ob auch alles unternommen wird, um die Affäre im Haus der Demokratie schnell aufzuklären.

Schliesslich droht der Imageschaden aus der Korruptionsaffäre um die griechische Abgeordnete Eva Kaili auf alle abzufärben. Und der Skandal um Säcke voller Bargeld lenkt ab von dem, worüber man eigentlich reden wollte, etwa von der Winterhilfe für die Ukraine oder dem drohenden Handelskonflikt mit den USA.

Glaubwürdigkeit erschüttert

Sie habe volle Transparenz versprochen, sagte Roberta Metsola im Anschluss an die Aussprache, die länger dauerte als gewöhnlich. Es werde keine Straflosigkeit geben, nichts werde unter den Teppich gekehrt werden. Die Glaubwürdigkeit des EU-Parlaments ist schwer erschüttert, und alle Fragen sind erlaubt.

Wie hat es Roberta Metsola selbst mit Katar, dem Golfstaat, der mutmasslich Abgeordnete kaufen wollte? Sie bestätigt zwei Treffen mit Vertretern des Golfstaates. Einmal sei es um eine Einladung zur Eröffnung der Fussball-WM gegangen und einmal um den Wunsch, im Plenum vor den Abgeordneten reden zu können. Beides habe sie abgelehnt.

Die 43-jährige Malteserin zeigt sich konzentriert und ernst. Auf sie kommt es jetzt an. Alle Dossiers, die Ziel der Einflussnahme hätten sein können, werden vorerst auf Eis gelegt. Konkret ein Abkommen über Visaerleichterungen für Staatsbürger aus Katar und ein Luftverkehrsabkommen. Roberta Metsola verspricht auch, die Transparenzregeln zu verschärfen. Neu sollen etwa auch Treffen mit Diplomaten und anderen ausländischen Akteuren gemeldet werden müssen. Sie werde diese Arbeit persönlich leiten. Korruptionsbekämpfung ist jetzt Chefsache. 

Alle in Verruf

Roberta Metsola beklagt, dass die Affäre alle 705 EU-Abgeordneten in Verruf bringt. Tatsächlich spricht derzeit niemand von den Klimagesetzen oder von den neuen Regeln für die Digitalwirtschaft, Ergebnisse, auf die man im EU-Parlament stolz ist: «Es braucht Jahre, um Vertrauen aufzubauen, und nur einen Moment, um es zu zerstören», beklagt die Präsidentin. Nicht das Parlament ist korrupt, sondern einige wenige Personen mit hoher krimineller Energie, so die Botschaft. Für EU-Gegner ist die Affäre jedenfalls willkommene Munition.

Wie schnell die Aufarbeitung gelingt und das EU-Parlament wieder aus den negativen Schlagzeilen herauskommt, hängt auch von Michel Claise ab, dem Brüsseler Untersuchungsrichter, der die Ermittlungen leitet. Er gilt als scharfer Hund, als Spezialist für Finanzkriminalität. Als die Polizei am Wochenende das Haus des belgischen EU-Abgeordneten Marc Tarabella durchsuchen wollte, musste Roberta Metsola überstürzt aus Malta anreisen und den Untersuchungsrichter begleiten. So wollen es die Regeln in Belgien.

Die belgische Polizei präsentiert die reiche Ausbeute der Razzien im Umfeld des EU-Parlaments, 1,5 Millionen Euro in druckfrischen Noten.  

Michel Claise hat bei einem Dutzend Razzien 1,5 Millionen Euro sichergestellt, Grossteils in druckfrischen Banknoten. In Belgien ist man recht stolz auf den «Sheriff», der jetzt im Brüsseler Europaviertel aufräumt. Der 66-jährige Untersuchungsrichter hat in den letzten Jahren nicht nur in fast allen prominenten Finanzskandalen des Landes ermittelt, sondern nebenbei eine Reihe von Kriminalromanen geschrieben. Auch jetzt wird er versuchen, der Spur des Geldes zu folgen.

In Belgien ist man recht stolz auf den «Sheriff», der jetzt im Brüsseler Europaviertel aufräumt:  Untersuchungsrichter Michel Claise.

Nur langsam gibt es Licht ins Dunkel, noch bleiben mehr Fragen als Antworten. Geht es «nur» um Korruption oder in erster Linie um einen Angriff ausländischer Akteure auf die europäische Demokratie, wie es Roberta Metsola betont? Ob das Narrativ der Parlamentspräsidentin sich durchsetzt, ist noch offen. Jedenfalls spielten Geheimdienste bei der Aufdeckung wohl eine wichtige Rolle. Die konfiszierte Summe wirkt gross für ein paar wohlwollende Statements im EU-Parlament zur Fussball-WM in Katar. Und die Visaerleichterungen hätte der Golfstaat auch ohne Schmiergelder für Abgeordnete bekommen.

Auch Marokko im Visier

Laut belgischen Medienberichten ist neben Katar auch Marokko als weiterer möglicher ausländischer Akteur im Visier der Justiz. Pier Antonio Panzeri scheint dabei als «Kassier» eine wichtige Rolle zu spielen. Der ehemalige EU-Abgeordnete aus Italien soll zusammen mit Ehefrau und Tochter im engen Austausch um Geschenke, Nutzung von Kreditkarten und Ferien im Wert von 100’000 Euro mit Marokkos Botschafter in Polen gestanden haben.

Die griechische EU-Abgeordnete Eva Kaili weist jede Schuld von sich, während ihr Lebensgefährte Francesco Giorgi ein erstes Geständnis abgelegt hat. 

Panzeri ist zusammen mit Eva Kaili und deren Lebensgefährten Francesco Giorgi in Brüssel in Untersuchungshaft. Ein Lobbyist kam unter Auflagen frei und muss eine Fussfessel tragen. Eva Kaili bestreitet bisher, zu wissen, woher das Geld kam. Der Lebensgefährte der griechischen Abgeordneten und bisherigen Vizepräsidentin des EU-Parlaments hat laut Medienberichten ein erstes Geständnis abgelegt. Er sei Mitglied einer kriminellen Vereinigung, die von Katar und Marokko benutzt worden sei, um Einfluss auf europäische Angelegenheiten zu nehmen. Und er sei für die Verwaltung des Bestechungsgeldes zuständig gewesen.