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Gewerkschafterin an der WM
«Ich habe eine gute Zeit in Doha mit meinen Freunden»

Viele Tore, gute Stimmung: Die Schweizer Gewerkschafterin Rita Schiavi war am 28. November an der Fussball-WM in Katar mittendrin, als Kamerun gegen Serbien spielte. 
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Korruption, Menschenrechtsverletzungen, Diskriminierung von Bevölkerungsgruppen, verstorbene und ausgebeutete Arbeitende auf WM-Baustellen: Auch in diesen Tagen werden Menschenrechtsorganisationen nicht müde, den Staat Katar und den Weltfussballverband Fifa für die Zustände im Austragungsland der Fussball-WM zu kritisieren. Seitens internationaler Gewerkschaftsführer ist die Kritik hingegen schon vor längerer Zeit abgeflaut. 

Die ehemalige Unia-Spitzengewerkschafterin Rita Schiavi, die laut eigenen Angaben seit 2017 siebenmal katarische Baustellen und Arbeiterunterkünfte inspiziert hatte, sagte im November zur Redaktion von CH Media: «Es hat sich in den letzten Jahren wirklich viel zum Guten verändert.» Zum Guten zählte die 67-Jährige: «Hitzepausen, die Einführung eines Mindestlohns, die Abschaffung des Kafala-Systems», jenes Systems, das Arbeiter zu modernen Leibeigenen macht. Stattdessen übte Gewerkschafterin Schiavi Kritik an der Kritik: «Ein Stück weit verstehe ich die Katarer, die jetzt beleidigt sind, dass man ihre Fortschritte nicht anerkennt.» Die Debatte über die Situation der Arbeiter werde heute «sehr scheinheilig» geführt.

Die ehemalige Unia-Gewerkschafterin Rita Schiavi verbrachte eine gute Zeit in Katar, will sich heute aber weder über den Wüstenstaat noch die Korruptionsaffäre in Brüssel äussern. 

Während also Gewerkschafterinnen wie Rita Schiavi sich heute nicht scheuen, Partei für Katar zu ergreifen, sehen Menschenrechtsorganisationen nach wie vor keinen Grund, von ihrer kritischen Haltung zum WM-Austragungsland und der Fifa abzurücken. Doch nun stehen auch Arbeitnehmervertreter unter verschärfter Beobachtung. Der Grund: Letzte Woche hat die belgische Justiz in Brüssel wegen Korruptionsverdachts nebst EU-Politikern auch NGO-Aktivisten und einen internationalen Spitzengewerkschafter verhaften lassen. Der Vorwurf lautet auf Korruption, Geldwäsche und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Die Justiz hat inzwischen Hunderttausende Euro konfisziert, mutmassliches Schmiergeld. 

«Zu Katar nehme ich nicht mehr Stellung, und zu dem, was in Brüssel geschieht, kann ich nichts sagen.»

Rita Schiavi, ehemalige Unia-Gewerkschafterin

Was sagt Rita Schiavi zum Vorwurf der belgischen Justiz, die Verhafteten hätten Koffer voll mit Bargeld angenommen, um den Golfstaat in einem guten Licht darzustellen? «Zu Katar nehme ich nicht mehr Stellung, und zu dem, was in Brüssel geschieht, kann ich nichts sagen», teilt sie auf Anfrage mit. Gegenüber CH Media betonte sie jüngst, von Katar nie Zuwendungen erhalten, sondern im Gegenteil viel Geld für ihre Reisen ausgegeben zu haben.

Die belgische Justiz ermittelt in der katarischen Korruptionsaffäre gegen sie: die griechische EU-Politikerin Eva Kaili.

Auf eine zweite Anfrage dieser Zeitung reagiert sie nicht mehr. Sie betrifft Rita Schiavi selbst: Offenbar hat sich die Gewerkschafterin an der WM als Zuschauerin vergnügt.

Feiern und helfen in Katar

Dieser Redaktion liegt ein Facebook-Eintrag samt Foto vor, den sie am 28. November um 11.14 Uhr veröffentlichte und mit Freunden teilte. Das Foto gibt den Blick frei auf Zuschauer in einem Stadion. «Ich habe eine gute Zeit in Doha mit meinen Freunden», heisst es im Eintrag. Und in einem zweiten Satz: «Heute konnte ich zwei Nähmaschinen kaufen für die Schneiderinnenkurse, die von Gemeinschaften hier in Katar organisiert werden.» 

Am 28. November um 11.14 Uhr katarischer Ortszeit spielen gerade Serbien und Kamerun im Al-Janoub-Stadion gegeneinander. Sollte Gewerkschafterin Rita Schiavi im WM-Stadion gewesen sein, worauf der Facebook-Eintrag hindeutet, ist das einigermassen erstaunlich. Auf die Frage von CH Media, «Haben Sie eigentlich etwas am Hut mit Fussball?», antwortete Schiavi jüngst: «Nein, überhaupt nicht. Ich habe noch nie ein Fussballspiel im Stadion angeschaut!» Dennoch kündigte sie bereits im Interview an, selbst an die WM zu fahren und sich ein Spiel anzuschauen, «auf eigene Kosten – und das wird ganz schön teuer».

Fragen wie, «Warum haben Sie einen WM-Match besucht, obwohl Ihnen der Fussball angeblich nichts bedeutet?», und: «Waren Sie als Gewerkschaftsvertreterin in Doha, und falls ja, mit welchem Auftrag?» bleiben unbeantwortet. Aufgrund ihrer bisherigen Angaben ist immerhin davon auszugehen, dass sie alle Aufwände selbst getragen hat, sodass ihr kein Fehlverhalten vorgeworfen werden kann.

«Die Arbeit des Internationalen Gewerkschaftsbundes in Bezug auf Katar beruhte von Anfang an ausschliesslich auf einer objektiven Analyse und Bewertung der Fakten.»

Aus einer Pressemitteilung des Internationalen Gewerkschaftsbundes

Gegen andere Gewerkschafter wird zurzeit ermittelt. Bekannt wurde die kürzliche Verhaftung von Schiavis italienischem Gewerkschaftskollegen Luca Visentini in Brüssel. Visentini ist im November in Melbourne eben erst zum Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) gewählt worden, dem weltweit höchsten Gewerkschaftsgremium überhaupt, das auch in Genf ein wichtiges Büro betreibt.

Auch Luca Visentini, seit November Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes, ist im Fokus der belgischen Strafjustiz.  

Zudem war Visentini für den Schweizer Gewerkschaftsbund während Jahren ein wichtiger Ansprechpartner rund um die Verhandlungen um ein bilaterales Abkommen zwischen der Schweiz und der EU. Visentinis Gewerkschaft informierte inzwischen in einer Medienmitteilung über die Verhaftung. Darin heisst es als Erstes, die belgische Justiz habe den Generalsekretär am Sonntag nach Befragungen aus der Untersuchungshaft entlassen.

Bei seiner Befragung sei es um Korruptionsvorwürfe in Bezug auf Mitglieder des EU-Parlaments und mit ihnen in Verbindung stehende Personen gegangen, so der IGB. Hingegen hätten die Behörden zu keinem Zeitpunkt angedeutet, dass sie gegen den Internationalen Gewerkschaftsbund ermitteln oder Visentini selbst unter Verdacht steht.

Aus der Medienmitteilung geht jedoch auch hervor, dass sich der IGB sehr wohl bewusst ist, warum die Justiz eingriff: «Die Arbeit des IGB in Bezug auf Katar beruhte von Anfang an ausschliesslich auf einer objektiven Analyse und Bewertung der Fakten, und jede Andeutung, dass irgendeine andere Stelle, sei es in Katar oder anderswo, die Position des IGB beeinflusst hat, ist völlig falsch.» Jedoch anerkenne man, dass die Umsetzung und Durchsetzung der Reform des katarischen Arbeitsrechts «unzureichend» seien.