Katars AussenpolitikHat das Emirat auch Gewerkschafter bestochen?
Positive Einschätzungen Katars durch den Internationalen Gewerkschaftsbund haben das Image des Landes deutlich aufpoliert. Zuerst wurde die «moderne Sklaverei» angeprangert, dann sprach man von echten Reformen.
Als die Panzer des irakischen Diktators Saddam Hussein im August 1990 durch Kuwait walzten, war das für Katar so etwas wie die Zeitenwende. Das Land liegt auf einer Halbinsel, im Persischen Golf eingeklemmt zwischen den verfeindeten grossen Nachbarn Saudiarabien und Iran. Immer wieder haben diese auf den Schatz geschielt, der Katars Reichtum begründet: das grösste Gasfeld der Welt.
Emir Hamad bin Khalifa Al Thani setzte deshalb nach seiner Machtübernahme im Jahr 1995 auf eine neue Strategie: Er suchte militärisch das Bündnis mit den USA und ging – anders als noch sein Vater – auf Distanz zu Saudiarabien. Sichtbarstes Zeichen dafür ist der Luftwaffenstützpunkt al-Udeid, bis heute der wichtigste der Amerikaner im Nahen Osten. Politisch positionierte Bin Khalifa sein Land als diplomatischen Mittler, der nach allen Seiten hin Kontakt hielt und sich mit seinen Diensten unentbehrlich zu machen suchte.
2,5 Millionen Wanderarbeiter
Auf überproportionale öffentliche Sichtbarkeit und Bekanntheit des kleinen Staates, der heute etwa 300’000 Bürger zählt, zielte die Gründung des Fernsehsenders al-Jazeera ebenso wie die systematischen Bewerbungen um Sportveranstaltungen. Die Fussball-Weltmeisterschaft ist die Krönung dieser Bemühungen, bei denen Geld nie ein limitierender Faktor war. Das Herrscherhaus, in dem der Emir 2013 den Thron an seinen Sohn Tamim bin Hamad Al Thani übergab, durfte sich spätestens im Sommer 2017 bestätigt sehen.
Saudiarabien und die Vereinigten Arabischen Emirate verhängten eine Blockade gegen den unbotmässigen Nachbarn und liebäugelten mit einer Militärinvasion, die wohl vor allem der Druck aus Washington vereitelte. Der Bau der WM-Stadien war da längst im Gang, und mehr noch: Im ganzen Land lancierte die Regierung für Abermilliarden gigantische Infrastrukturprojekte, den Bau einer U-Bahn in Doha etwa. Gewaltige Privatinvestitionen kamen dazu.
Das lenkte die internationale Aufmerksamkeit auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der mehr als 2,5 Millionen Wanderarbeiter vor allem aus Südasien. Menschenrechtler und internationale Gewerkschaften brandmarkten, dass diese auf den Baustellen in der glühenden Sommerhitze schuften mussten und oft unter menschenunwürdigen Bedingungen in Massenunterkünften eingepfercht waren. Besonders scharf kritisierte die Generalsekretärin des Internationalen Gewerkschaftsbundes ITUC, Sharan Burrow, die «moderne Sklaverei», wie sie das in Katar inzwischen offiziell abgeschaffte Kafala-System nannte.
Emir Tamim Al Thani sagte im Oktober, sein Land sei einer «beispiellosen Kampagne» ausgesetzt.
Dabei war der Arbeitgeber Bürge für den Wanderarbeiter – und dieser weitgehend abhängig. Das Aufenthaltsrecht war daran geknüpft, ein Wechsel des Arbeitgebers nicht ohne dessen Zustimmung möglich. Oft nahmen die katarischen Firmen den Arbeitern ihre Pässe ab, behielten Lohn widerrechtlich ein. Ende 2014 kündigte Emir Tamim bin Hamad Al Thani dann grundlegende Reformen an.
Das liess die Kritik zunächst nicht abflauen, eine Art Wende trat erst im Oktober 2017 ein. Katar sagte einen einheitlichen Mindestlohn zu, auch würden Arbeitgeber Beschäftigte nicht länger hindern können, den Job zu wechseln oder das Land zu verlassen. Burrow würdigte das als den «Beginn echter Reformen». Sie habe die Zusagen persönlich mit dem Emir und dem Arbeitsminister ausgehandelt. Eine Untersuchung bei der UNO-Arbeitsorganisation ILO wurde eingestellt. Amnesty International oder Human Rights Watch allerdings blieben skeptischer.
In Katar fühlt man sich bis heute verkannt. Emir Tamim Al Thani sagte in einer Fernsehansprache im Oktober, obwohl man manche Kritik positiv aufgenommen habe, sei sein Land einer «beispiellosen Kampagne» ausgesetzt, was sich auch auf Kritik am Umgang mit Homosexuellen bezog.
Der festgenommene Gewerkschafter
Nun allerdings besteht der Verdacht, dass Katar mit illegalen Methoden versucht hat, sein Image zu polieren. Und die Glaubwürdigkeit des Internationalen Gewerkschaftsbundes könnte dadurch schwer in Mitleidenschaft gezogen werden: Der im November als Nachfolger von Burrow gewählte neue Generalsekretär, der Italiener Luca Visentini, gehört gemäss belgischen Medienberichten zu den Verdächtigen in der Korruptionsaffäre rund um das Europaparlament. Die Polizei nahm den Gewerkschafter fest, er kam am Sonntag unter Auflagen frei. Noch jüngst hatte er im Interview mit der Nachrichtenagentur AFP die Verbesserungen in Katar als «Erfolgsgeschichte» gelobt.
Weder Burrow noch Visentini oder der Gewerkschaftsbund reagierten am Sonntag auf Anfragen. Der Internationale Gewerkschaftsbund teilte auf seiner Internetseite mit, man habe Kenntnis von Medienberichten zu Vorwürfen, die Personen beträfen, die mit dem Europäischen Parlament in Verbindung stünden. Man warte auf Informationen und könne derzeit nicht Stellung nehmen.
Reformen auf dem Papier
Der deutsche Gewerkschafter Dietmar Schäfers, Vizepräsident des globalen Baugewerkschaftsbundes, sagte, er halte an seiner «differenzierten Haltung zu Katar» fest. Es habe auf den WM-Baustellen unter Regie des Organisationskomitees von 2016 an «erhebliche Fortschritte» bei den Arbeitsbedingungen gegeben. Zugleich existiere ein Teil der Reformen für den Rest von Katar vor allem auf dem Papier. Es gebe erheblichen Nachholbedarf bei der Umsetzung. Er hoffe, dass die internationalen Gewerkschaften weiter wie bisher in Katar tätig sein könnten.
Versuche Katars, auf seine Aktivitäten Einfluss zu nehmen, habe es nicht gegeben. Er habe sich im Land «weitgehend frei bewegen können», auch habe Katar nie angeboten, Kosten für Flüge oder Unterbringung zu übernehmen oder anderweitig die Mission finanziell zu unterstützen. Schäfers forderte eine «schonungslose Aufklärung» aller Vorwürfe, die nun im Raum stünden. Dies sei sowohl mit Blick auf die Glaubwürdigkeit des Europaparlaments als auch des Internationalen Gewerkschaftsbunds unerlässlich.
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