Verschärfung der Sanktionen geplantRussischen Rohstoffhändlern in der Schweiz droht das Aus
Noch sind Öl und Gas nicht von den westlichen Sanktionen betroffen. Doch europäische Länder drohen damit. Und der Bundesrat würde sich wohl anschliessen.
Im unscheinbaren Bürogebäude an der Baarerstrasse 52 in Zug gehen die Lichter aus: Die dort ansässige Nord Stream 2 AG, eine hundertprozentige Tochtergesellschaft des russischen Gasriesen Gazprom, ist wegen der gegen Russland ergriffenen Sanktionen pleite. Und sie hat eine Massenkündigung durchgeführt. 140 Personen hätten ihre Arbeit verloren, erklärte Bundesrat Guy Parmelin am Montagabend im Westschweizer Fernsehen.
Gemäss dem Wirtschaftsminister sind die Entlassungen eine Folge des Entscheids Deutschlands, das Projekt Nord Stream 2 auf Eis zu legen. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hatte vor einer Woche das Genehmigungsverfahren für die bereits gebaute, 1230 Kilometer lange umstrittene Pipeline in der Ostsee gestoppt. Kurz danach hatte US-Präsident Joe Biden Sanktionen gegen das Zuger Unternehmen verhängt.
Europa will Sanktionen auf weitere Firmen ausdehnen
Mit der Massenentlassung hat der Krieg in der Ukraine erste drastische wirtschaftliche Folgen in der Schweiz. Dabei dürfte es nicht bleiben. Denn die europäischen Regierungen haben angekündigt, ihre Sanktionen gegen Russland zu verschärfen.
Allen voran Grossbritannien. Aussenministerin Liz Truss gab gestern im Parlament in London bekannt, dass ihre konservative Regierung die Vermögenswerte aller russischen Banken in den nächsten Tagen vollständig einfrieren, russischen Unternehmen den Zugang zu den Kapitalmärkten verwehren und russische Banken vom weltweiten Zahlungsabwicklungssystem Swift ausschliessen werde.
Selbst die deutsche Regierung, die aufgrund der hohen Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas defensiver unterwegs ist als Grossbritannien, hat am Sonntag im deutschen Parlament angedroht, die von der EU beschlossenen Sanktionen seien wohl nur der erste Schritt hin zu weit umfassenderen Massnahmen.
Ganzer Rohstoffhandel mit Russland wäre betroffen
Für Gazprom, die in der Schweiz ein Geflecht von wichtigen Tochtergesellschaften unterhält, und etliche andere Rohstoffhändler in Zug, Zürich, Genf und Lugano verheisst das nichts Gutes. Denn Truss sagte, sie beabsichtige «ein vollständiges Verbot» des Swift-Systems für alle russischen Banken. «Wir werden uns dabei mit unseren Verbündeten abstimmen.»
Bisher hatten die EU-Staaten, die USA, Kanada, Grossbritannien und Japan erst fünf russische Banken mit dem Ausschluss von Swift belegt. Und sie nahmen den gesamten Öl- und Gashandel von ihren übrigen Sanktionen aus. Der Grund ist klar: Etliche Staaten in der EU sind auf Energielieferungen aus Russland angewiesen.
Weil die EU-Sanktionen nur punktuell wirken, hat auch deren Übernahme durch den Bundesrat nur eine begrenzte Wirkung.
Doch das könnte sich rasch ändern. Setzt sich Grossbritannien mit der gewünschten Verschärfung durch, würde dies einen radikalen Schritt für die gesamte Volkswirtschaft Russlands bedeuten – und Schockwellen in den Rohstoffhandelsplatz Schweiz senden.
Denn gemäss einem Bericht des Bundes werden rund 80 Prozent des russischen Rohstoffhandels in Genf, Zug, Lugano und Zürich abgewickelt. Zug ist das Zentrum des Gashandels, vor allem mit Gazprom. In Genf wickeln Rohstoffhändler wie Gunvor und Trafigura einen grossen Teil des Handels mit russischem Öl ab. Sollten die russischen Banken tatsächlich von Swift ausgeschlossen werden, fällt der ganze Rohstoffhandel mit Russland zusammen, weil Zahlungen stark erschwert würden.
Gazprom ist besonders verwundbar
Denkbar sind auch Sanktionen gegen weitere einzelne Firmen, vom Einfrieren ihrer Vermögenswerte bis hin zum Verbot ihrer Geschäftstätigkeit. Welch drastische Folgen dies haben kann, zeigt der Fall der Nord Stream 2 AG.
In der Schweiz ist besonders Gazprom, die mehrheitlich im Besitz des russischen Staates ist, verwundbar. Mit mehreren Tochterfirmen kontrolliert sie von Zug aus die Gasbeschaffung in Zentralasien und im Kaukasus, den Verkauf dieses Gases und den gesamten Gashandel mit Westeuropa.
Sanktionen drohen auch der Gazprombank und ihrer Tochtergesellschaft Gazprombank Schweiz AG in Zürich. Die USA und mehrere europäische Länder haben bereits Vermögenswerte russischer Banken eingefroren. Die Gazprombank wurde davon bisher verschont – wohl aus Rücksicht auf Deutschland, Tschechien, Ungarn, Rumänien und Bulgarien, die von russischem Gas hochgradig abhängig sind.
Bundesrat schafft einen Hebel für neue Sanktionen
Am Montag hat der Bundesrat bekannt gegeben, dass er die EU-Sanktionen vollständig übernimmt. Bundespräsident Ignazio Cassis begründete dies unter anderem so: «Andere Demokratien sollen sich auf die Schweiz verlassen können. Staaten, die für Völkerrecht einstehen, sollen sich auf die Schweiz verlassen können. Staaten, die Menschenrechte hochhalten, sollen sich auf die Schweiz verlassen können.»
Falls nun die EU ihre Sanktionen verschärft und ausdehnt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Bundesrat diese erneut übernimmt. Formell wird der Bundesrat autonom entscheiden, ob er dies tut. Doch mit seiner Argumentation hat er einen Hebel für weitere Sanktionen gegen russische Firmen in der Schweiz geschaffen.
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