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Nord Stream 2 gestoppt
Wichtige Pipeline Russland–Europa: Scholz legt Gasprojekt auf Eis

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Die deutsche Regierung stoppt vorerst das Genehmigungsverfahren für die umstrittene Pipeline Nord Stream 2. Das sagte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstag in Berlin. Er habe das Wirtschaftsministerium gebeten, den bestehenden Bericht zur Analyse der Versorgungssicherheit zurückzuziehen, sagte Scholz. «Das klingt zwar technisch, ist aber der nötige verwaltungsrechtliche Schritt, damit jetzt keine Zertifizierung der Pipeline erfolgen kann.» Ohne diese Zertifizierung könne Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen, betonte Scholz. «In dieser Phase ist es jetzt wichtig, neben ersten Sanktionen eine weitere Eskalation und damit eine weitere Katastrophe zu verhindern. Darauf zielen alle unsere diplomatischen Anstrengungen.»

Der 1230 Kilometer lange Doppelstrang von Russland durch die Ostsee nach Deutschland ist zwar fertiggestellt, es fliesst bislang aber noch kein Erdgas durch die Pipeline. US-Präsident Joe Biden hatte bei einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz jüngst deutlich gemacht, dass ein russischer Einmarsch in die Ukraine das Aus für die bereits fertiggestellte Leitung bedeuten würde.

Kiew und USA erfreut, Moskau «hat vor nichts Angst»

Russland hat sich unbeeindruckt vom Stopp des Genehmigungsverfahrens sowie von der Androhung neuer Sanktionen des Westens gezeigt. «Moskau hat vor nichts Angst», sagte Vize-Aussenminister Andrej Rudenko am Dienstag in Moskau der Nachrichtenagentur Interfax zufolge.

Auf die Frage eines Journalisten, ob die zugespitzte Lage möglicherweise geplant gewesen sein könnte, um die Inbetriebnahme der Gasleitung durch die Ostsee von Russland nach Deutschland zu verhindern, sagte er: «Es ist schwer zu sagen, ob es einen Zusammenhang gibt oder nicht. Ich will nicht spekulieren.»

Die USA und die Ukraine wollten die Pipeline verhindern und begrüssen nun die Aussetzung. «Dies ist unter den gegenwärtigen Umständen ein moralisch, politisch und praktisch richtiger Schritt», schrieb der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba bei Twitter. «Wahre Führung bedeutet harte Entscheidungen in schwierigen Zeiten. Der Schritt Deutschlands beweist genau das.»

Aus den USA gab es ähnliche Worte. Präsident Joe Biden habe klargemacht, dass die Erdgas-Pipeline bei einem russischen Angriff auf die Ukraine nicht in Betrieb gehen dürfe, erklärte seine Sprecherin Jen Psaki auf Twitter. «Wir haben uns im Lauf der Nacht eng mit Deutschland abgestimmt und begrüssen die Ankündigung», schrieb sie am Dienstagmorgen (Ortszeit) weiter. 

Das Gas-Grossprojekt

Am Anfang war es noch für alle Augen sichtbar, dass Nord Stream ein Unterfangen grosser Mächte und grosser Politik war. 2004 und 2005 trafen sich der damalige deutsche Kanzler Gerhard Schröder und der russische Präsident Wladimir Putin dreimal, um den Bau in Gang zu bringen. Es war die Zeit, als viele in Europa und besonders deutsche Sozialdemokraten noch glaubten, Putins Russland könne und müsse ein strategischer Partner werden. Die Pipelines waren dafür das passende Symbol.

Als Schröder gleich darauf abgewählt wurde und im November 2005 das Kanzleramt der Christdemokratin Angela Merkel übergab, trat er schon zwei Wochen später in Putins Dienste, um Nord Stream zu seinem Projekt zu machen. Als dessen strategischer Freund, als Schattendiplomat und fürstlich bezahlter Verwaltungsrat trieb «Gerdprom» die Pipeline seither voran, bis heute. Ein polnischer Verteidigungsminister verglich die Putin-Schröder-Achse damals mit dem «Hitler-Stalin-Pakt» von 1939. Zusammen mit dem früheren Stasi-Offizier Matthias Warnig brachte Schröder über die Jahre allen führenden Sozialdemokraten den Nutzen der deutsch-russischen Röhren bei. Auch seine Nachfolgerin liess sich einspannen: 2011 eröffnete Merkel die ersten beiden Röhren, Nord Stream 1 genannt, gemeinsam mit dem damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew.

Als 2015 der Bau des zweiten Pipelinestrangs vereinbart wurde, war das Klima zwischen Russland und Europa bereits ins Eisige gekippt, das Verhältnis zwischen Moskau und Berlin zerrüttet. Im Jahr zuvor hatte Putin handstreichartig die ukrainische Krim annektiert und einen separatistischen Krieg im Osten der Ukraine begonnen. Europa antwortete mit harten Sanktionen.

Putins Interesse war immer strategisch

Von Nord Stream 2 hielt die Politik demonstrativ Abstand, wenigstens in der Öffentlichkeit. Den Auftakt im Juni 2015 feierte der vom Kreml kontrollierte Gasriese Gazprom allein mit seinen europäischen Partnerkonzernen. Nord Stream 2 sei ein «rein privatwirtschaftliches Projekt», sagte Merkel und mit ihr die deutsche Politik. Das europäische Sanktionsregime gegen Russland hatte sie zuvor so fein austariert, dass es Putins Russland zwar traf, den Bau der Pipeline aber nicht verhinderte.

Russlands Interesse an der Ostseeroute war von Anfang an strategisch und politisch. Putin wollte die Ukraine, die sich zunehmend von Russland ab- und dem Westen zuwandte, umgehen und vom traditionellen Transit russischen Gases abschneiden. In den Wintern 2006 und 2009 stritten die Nachbarn so heftig über die Durchleitung, dass die Gashähne nach Westen zeitweilig zugedreht waren. Das von russischem Gas abhängige Europa schreckte auf, Russland trieb alternative Routen voran. Als Konsequenz aus dem militärischen Konflikt mit der Ukraine radikalisierte Russland 2015 das Umgehungsprojekt noch, mit Nord Stream 2.

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Deutschlands Interesse war von Anfang an doppelt gewesen: Die Politik wünschte gute Beziehungen zu Russland und hoffte auf «Wandel durch Handel». Gleichzeitig strebte die deutsche Industrie eine bessere Versorgungssicherheit an. Mit den zusätzlichen Kapazitäten von Nord Stream 2 hätte Deutschland bald Gas in Hülle und Fülle. Es würde zum einen selbst zu einer Transit- und Handelsdrehscheibe für russisches Gas in West- und Osteuropa werden, zum anderen benötigt es davon selbst mehr: Da Deutschland bis 2038 sowohl aus der Atomenergie als auch aus der Kohle aussteigt, braucht es Gas als «Brückentechnologie», bis die Wende zu erneuerbaren Energien geschafft ist. Deutschland, das sich in Europa sonst gerne als «Macht des Zusammenhalts» und als ausgleichender Makler sieht, verfolgte mit Nord Stream von Anfang an resolut sein nationales Interesse. Der Alleingang spaltet Europa seit Jahren.

Auf der einen Seite stehen die westeuropäischen Profiteure, Staaten wie Konzerne: Neben den deutschen Uniper und Wintershall sind an Nord Stream 2 auch die französische Engie, die holländisch-britische Shell und die österreichische OMV beteiligt. Die erbittertsten Gegner kommen aus Osteuropa. Polen und die baltischen Staaten sehen Russland schon lange eher als Bedrohung denn als Partner. Polen möchte zudem gerne selbst eine Drehscheibe für Gas in Europa werden und baut deswegen gerade Terminals für Flüssiggas und eine Pipeline für Lieferungen aus Norwegen.

Ukraine fühlt sich bedroht

Die Ukraine, die von Europa im Konflikt gegen Russland unterstützt wird, fürchtet Nord Stream gar als existenzielle Bedrohung. Sie braucht nicht nur die Milliarden aus dem bisherigen Transitgeschäft dringend, sondern sieht die Röhren auf eigenem Boden auch als Versicherung gegen weitere militärische Angriffe Russlands.

Die EU-Kommission und das europäische Parlament wiederum haben das deutsch-russische Projekt schon früh kritisiert und zuletzt offen zu verhindern versucht. Es passe nicht zur Strategie, die Abhängigkeit von Russland zu verringern, und hintertreibe die angestrebte Klimawende, heisst es in Brüssel.

Der mächtigste Gegner von Nord Stream sind seit 2017 jedoch die USA. Schon Präsident Donald Trump hatte die Erweiterung der Pipeline zu sabotieren versucht. Deutschland finanziere lieber Putin, als für seine Verteidigung durch die USA zu zahlen, schimpfte der US-Präsident. Es solle stattdessen amerikanisches Flüssiggas kaufen. Der Widerstand der USA, die Sanktionen gegen die Pipeline androhten und auch verhängten, verzögerte den Bau, der Ende 2019 hätte beendet werden sollen.

Über Jahre wurden in der Ostsee Röhren verlegt, durch die später einmal Gas fliessen sollte.

Die USA sind auch unter Präsident Joe Biden strikt gegen Nord Stream 2. Biden hat im letzten Frühjahr aber auf weitreichende Sanktionen verzichtet, mit denen die Fertigstellung der Pipeline hätte verhindert werden sollen. Der Demokrat hatte das auch mit Rücksicht auf Deutschland begründet. Deutschland sagte im Juli stärkere Unterstützung der Ukraine zu. In einer gemeinsamen Erklärung mit den USA hiess es aber auch, Deutschland werde handeln, "sollte Russland versuchen, Energie als Waffe einzusetzen, oder weitere aggressive Handlungen gegen die Ukraine begehen".

Vor zwei Wochen drohte die US-Regierung dem Kreml für den Fall einer Invasion der Ukraine mit dem Aus für die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2.

Braucht es Nord Stream 2 überhaupt?

Deutschland bezieht derzeit etwa 40 Prozent seines Erdgases aus Russland, über Nord Stream 1 und die alte Ukraine-Route. Analysten halten die Erweiterung nicht für «existenziell notwendig», um die Versorgung langfristig zu sichern. Über die Frage, wie wichtig und wirtschaftlich Nord Stream 2 überhaupt ist, gehen die Meinungen der Ökonomen ohnehin weit auseinander.

Sicher ist, dass die Quellen in den Niederlanden, Grossbritannien und Norwegen langsam versiegen, der europäische Bedarf aber bis 2030 hoch bleibt, in Deutschland wohl noch länger. Russisches Gas ist zudem erheblich billiger als Flüssiggas aus den USA, Australien oder Katar.

Um Wirtschaft geht es bei Nord Stream aber eben von Anfang an nur nebenbei. Der Historiker Michael Stürmer stichelte, Nord Stream 2 drohe nun geradezu als «Denkmal unpolitischer Politik» in die deutsche Geschichte einzugehen.

SDA/cpm/de.