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Rekordregen-Wochenende in der Schweiz
«Ich habe hier noch nie so viel Wasser auf einmal gesehen»

Hänge rutschten, Strassen mussten wegen der Wassermengen gesperrt werden: Der Wasserfall tobt direkt beim Bahnhof von Biasca im Tessin. 
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368 Millimeter. So viel Regen fiel am Wochenende in Biasca. Auch im Sopraceneri, dort, wo sich an den mächtigen Flanken der Alpen viel heisse Luft staut und es schon immer viel regnete, ist das aussergewöhnlich. Maura Mossi-Nembrini sagt: «Ich habe hier noch nie so viel Wasser auf einmal gesehen.» 

Mossi-Nembrini ist in der Gemeinde Biasca für die technischen Anlagen zuständig. Mit Unwettern kennt sie sich aus. Der Sonntagmorgen sei schon extrem gewesen, sagt sie. Der Santa-Petronilla-Wasserfall, neben dem Bahnhof gelegen, brachte spektakuläre Wassermassen. 

Später musste die Kantonsstrasse zwischen Biasca und Malvaglia gesperrt werden. Und oben in diversen Seitentälern rutschten ganze Hänge. Das Valle Pontirone wurde von der Aussenwelt abgeschnitten, auch das Valle Malvaglia ist bis heute zum Teil nicht mehr erreichbar. Zeitweise fiel dort auch der Strom aus.

Schwarz und reissend: Der Brenno im Kanton Tessin trägt die Wassermassen des Extremwetters.

Mossi-Nembrini sagt: «Wir sind seit Montagmorgen alle im Dauereinsatz und versuchen gerade mit Helikopterspezialisten und Geologen die Situation zu beurteilen. Wir wollen die Strassen möglichst schnell wieder frei machen.»

Das Sopraceneri hatte ereignisreiche Stunden hinter sich. Das extreme Wetter hatte aber auch eines gezeigt: In Biasca hat der Hochwasserschutz, als Folge mehrere Katastrophen in den 90er-Jahren gebaut, gehalten.

Regen wie alle 100 Jahre

Meteo Schweiz, die staatliche Wetteragentur, bestätigt in nüchterner Meteorologensprache, was die Tessiner Augenzeugen berichten: Die 368 Millimeter Regen innerhalb von zwei Tagen in Biasca treten seltener als alle hundert Jahre auf. 

Auch auf der anderen Seite der Alpen, in Nord- und Mittelbünden, regnete es am Wochenende ausserordentlich stark. Die Niederschlagssumme von 237 Millimetern an der Messstation Innerferrera im Avers ist laut Meteo Schweiz ebenfalls seltener als alle hundert Jahre zu erwarten.

Das hatte Folgen. Sie waren am Montag mehr als 80 Kilometer weiter nördlich zu spüren: Im St. Galler Rheintal trat der Rhein aus seinem Flussbett und flutete das Vorland zwischen den Dämmen – ganz wie es in den Hochwasserplänen vorgesehen ist. Die Behörden riefen die Bevölkerung auf, das Gebiet zu meiden. 

Geflutetes Vorland im Rheintal zwischen den Dämmen – ganz wie es in den Hochwasserplänen vorgesehen ist.

Die Spitze der Wassermassen wurde dann bereits am Nachmittag erreicht. Das sagte Ralph Dietsche, Mediensprecher der Internationalen Rheinregulierung, der Nachrichtenagentur SDA. Statt der am frühen Morgen prognostizierten 2400 Kubikmeter Wasser pro Sekunde wurde an der Messstelle in Diepoldsau SG lediglich ein Spitzenwert von 2000 Kubikmeter pro Sekunde gemessen.

Dies entspreche zwar einem Ereignis, wie es nur alle paar Jahre auftrete, sagte Dietsche. Alarmierend sei es aber nicht. Das Fassungsvermögen des Rheins betrage mit dem Rheinvorland zwischen den beiden Aussendämmen 3100 Kubikmeter Wasser pro Sekunde.

Auch an der Thur und der Sitter gab es am Montag Hochwasserwarnungen. Die Warnungen gelten im Thurvorland von Frauenfeld bis Bischofszell. «Gehen Sie nicht in das betroffene Gebiet, und verlassen Sie das betroffene Gebiet sofort», schreibt der Kanton Thurgau. Auch dort kam es aber zu keinen grösseren Überschwemmungen.

«Alles halb so wild»

Auch der Inn im Engadin schwoll am Montag mächtig an. Am Nachmittag kursierten in den Medien Bilder vom Campingplatz Sur En bei Sent im Unterengadin: ein gelber Bus, der tief im Wasser steht. 

Aber Wolfgang Bosshardt, der Chef des Campingplatzes, winkt ab: «Alles halb so wild.» Ja, der Inn sei tatsächlich über die Ufer getreten. Doch nein, das sei keine Seltenheit. Und: «Nur ein kleiner Teil des Campings steht unter Wasser.» 

Doch dann sagt Bosshardt noch: «So hoch stand der Inn hier noch nie.» Und Wolfgang Bosshardt hat sein ganzes Leben am Inn verbracht.

«Auch ab rund 2500 Metern können gebietsweise 50 Zentimeter oder sogar noch etwas mehr Schnee liegen bleiben.»

Meteo Schweiz

Nach den heissen Tagen kam aber nicht nur der grosse Regen. Das Thermometer fiel von bis zu 37 Grad auf unter 16 Grad. Und ja: Es schneite bis auf 2000 Meter hinunter, in den engen Alpentälern sogar bis auf 1600 Meter. 

Gemäss Meteo News gab es oberhalb von etwa 3000 Metern mehr als einen Meter Neuschnee. «Aber auch ab rund 2500 Metern können gebietsweise 50 Zentimeter oder sogar noch etwas mehr liegen bleiben», schreibt der private Wetterdienst.

«So etwas habe ich noch nie gesehen, ganz ehrlich.»

Stefano Winteler, Garagist aus Giubiasco

Aufgrund des Schneefalls schlossen die Behörden am Montag die Alpenpässe Furka, Susten, Grimsel, Gotthard, Simplon und Nufenen. Die Behörden wollen am Dienstag die Lage neu beurteilen.

Totalschaden wegen Hagel

Begonnen hatte das Rekordregen-Wochenende mit einem Hagelsturm. Am Freitagabend zog eine grosse Hagelzelle über das Centovalli Richtung Maggiatal und die Leventina. Golfballgrosse Hagelkörner prasselten nieder, dazu gab es heftige Sturmböen. In Locarno massen die Wetterdienste einen Spitzenwert von 88 Kilometern pro Stunde. 

Was so ein Unwetter anrichten kann, lässt sich in der Garage von Stefano Winteler begutachten. Fünfzig Autos stehen seit Samstag beim Garagisten. Alle kaputt. Heck- und Frontscheiben weggesprengt, Dächer eingeschlagen, zerbeult und zerschlagen. Für manche Gefährte gilt gar: Totalschaden. Winteler von der gleichnamigen Garage in Giubiasco sagt: «So etwas habe ich noch nie gesehen, ganz ehrlich.» 

Die Autos bekamen einiges ab. Ein Hagelsturm zog letzten Freitag über die Region Locarno. 

Dabei ist der Garagist schon lange dabei, führt den gleichnamigen Betrieb bereits in zweiter Generation. Stefan Winteler wusste am Freitagabend sofort, dass viel Arbeit auf ihn zukommen würde. Das freie Wochenende war gestrichen. Richtig grosse Körner seien das gewesen, sagt er. Sieben Zentimeter gross. Genug, um viele Autos aus dem Verkehr zu ziehen.

Der Hagel vom Freitag und der Starkregen vom Wochenende sind laut Patrick Stierli von Meteo Schweiz auf zwei verschiedene Wetterlagen zurückzuführen. 

Faustgrosse Hagelkörner gingen im Tessin runter.

Am Freitag befand sich die Schweiz noch auf der Vorderseite einer Tiefdruckzone über Nordwesteuropa. Mit einer südwestlichen Strömung wurde feuchtwarme und instabile Luft zur Schweiz geführt, die besonders auf der Alpensüdseite heftige Gewitter mit sich brachte. Am Samstag erreichte eine Kaltfront die Alpennordseite, während auf der Alpensüdseite eine Staulage einsetzte.

In der Nacht auf morgen Dienstag verlagert sich das Unwettergeschehen laut dem Meteorologen Stierli erneut: Eine sogenannten Gegenstromlage führt dazu, dass bis Dienstag zunehmend die Regionen vom Berner Oberland über die Innerschweiz bis zum Säntis betroffen sein werden. 

«Wir rechnen aber nicht mit so grossen Mengen wie zuletzt im Tessin», sagt Patrick Stierli, «sondern mit insgesamt rund 150 Millimetern bis zum Dienstagmittag. Wobei davon bereits 60 bis 100 Millimeter gefallen sind.»

Anders ausgedrückt: Das Extremwochenende weicht langsam, aber sicher dem regnerischen Normalzustand.