Reisefotografie: Luigi GhirriIn diesem Italien scheint der Himmel zu kränkeln
Der italienische Fotograf Luigi Ghirri (1943–1992) hat sich intensiv mit dem touristischen Blick befasst. Die Ausstellung «Viaggi» zeigt seine poetisch-subversiven Bilder.
Das Himmelblau des Südens, es wurde verewigt von Adriano Celentano in der Sehnsuchtshymne «Azzurro». Beim italienischen Fotografen Luigi Ghirri dagegen scheint der Himmel zu kränkeln, die Farbe hat sich aus dem Staub gemacht und bloss eine zarte Ahnung von Blau zurückgelassen.
Luigi Ghirri, 1943 in der Emilia-Romagna geboren und 1992 früh gestorben, gilt als einer der wichtigen Fotografen Italiens. Das Masi (Museo d’arte della Svizzera italiana) in Lugano widmet ihm mit «Viaggi» derzeit eine grosse Ausstellung.
Das Reisen war ein Thema, das Ghirri umtrieb, buchstäblich: Er bereiste das ganze Land, zuweilen im Dienst von Fremdenverkehrsämtern. Ghirri war indes nicht nur Fotograf, sondern auch Theoretiker: Er dachte über den touristischen Blick nach, über das Bild vom Reisen, das sich die Menschen machten. Sein Werk entstand zu jener Zeit, als das massenhafte Produzieren von Fotografien gerade aufkam.
Ghirri verstand es, neue Sichtweisen auf bekannte Sujets zu entwickeln. Die berühmten Felsen von Capri etwa sind auf einer Aufnahme von 1981 nur Beigemüse; im Zentrum steht das Münzfernrohr auf der Aussichtsplattform: ein Gerät im Dienste der Tourismusindustrie, welches das Sehen der Besucherinnen und Besucher steuert.
Egal, ob am Meer oder in den Bergen: Die italienischen Sehnsuchtsorte erscheinen durch Ghirris Linse als unwirkliche, verlassene Landschaften. Die Strände sind fast menschenleer, die Sportgeräte und Rutschen unbenutzt. Eine poetische Ruhe liegt über den Szenerien.
Oft spricht auch ein leichtes Amüsement aus den Fotografien, etwa in jener Serie, die Ghirri im Freizeitpark «Italia in Miniatura» bei Rimini aufgenommen hat. Dort sind die Dolomiten oder der Petersdom auf handliche Grösse zusammengeschrumpft. Es ist eine Art verdichtetes Italien, zur leicht konsumierbaren Ware konfektioniert.
Masi Lugano, bis 26. Januar 2025
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