Reform des House of LordsKeir Starmer nimmt Adligen jahrhundertealtes Privileg
Die Labour-Regierung will Mitglieder des Erbadels nicht länger im britischen Oberhaus dulden. Konservative wittern einen «Rachefeldzug».
Für Herzöge, Grafen und Barone auf den Britischen Inseln wird im nächsten Jahr eine lange Geschichte zu Ende gehen. Die Labour-Regierung von Sir Keir Starmer brachte diesen Donnerstag im Unterhaus eine Gesetzesvorlage ein, die den letzten im Oberhaus sitzenden Mitgliedern des Erbadels den Zutritt zur zweiten Kammer des Parlaments verwehren will. Das sogenannte House of Lords kann zwar keine Gesetze verabschieden, diese jedoch unter anderem prüfen und aufschieben.
Die bereits in Labours Wahlprogramm angekündigte Initiative stellt die radikalste Verfassungsreform seit 25 Jahren dar. 1999 hatte der damalige Labour-Premier Tony Blair das angestammte Recht der Angehörigen des Erbadels auf einen Oberhaus-Sitz aufgehoben. Nur 92 Erbadelige wurden – in einer ausgehandelten «Übergangslösung» – weiter geduldet im House of Lords.
Eine 700-jährige Tradition endet
Nun aber sollen auch diese letzten Statthalter des Hochadels ihr bisheriges Privileg, im britischen Parlament mitzureden und mitzustimmen, verlieren. Damit endet eine rund 700-jährige Geschichte im Vereinigten Königreich. Einige der Adeligen, die ihre Titel allesamt von ihren Vätern erbten, sind auf eine «blaublütige» Abstammungslinie über viele Generationen hin stolz.
Der Herzog von Wellington etwa, Arthur Charles Wellesley, ist ein Urururenkel des Feldmarschalls und ersten Lord Wellington, der bei der Schlacht von Waterloo im Jahr 1815 Napoleon besiegte und später Tory-Premierminister wurde. Edward William Fitzalan-Howard, der 18. Herzog von Norfolk, stammt von König Edward I. ab und lebt auf Schloss Arundel in Sussex, dessen Ursprung sich bis ins 11. Jahrhundert zurückverfolgen lässt.
Kein Wunder, dass viele der Betroffenen höchst empört sind – und einige sich im nächsten Jahr wehren wollen, wenn die Gesetzesvorlage ins Oberhaus kommt. Aber der für Verfassungsfragen zuständige Labour-Minister Nick Thomas-Symonds, dessen Vater Arbeiter in einem Stahlwerk war, ist zuversichtlich, dass die Regierung die Reform durchdrücken kann.
Neu nur noch Lords auf Lebzeiten und Bischöfe im Oberhaus
Viel zu lange habe man den völlig undemokratischen Einfluss des Erbadels auf die Gesetzgebung im Lande zugelassen, meinte Thomas-Symonds anlässlich der Vorlage des neuen Gesetzes. Man könne nicht Personen, «die zufälligerweise in eine Adelsfamilie geboren wurden», erlauben, aus diesem Grund allein die britische Politik mitzugestalten. Das gehe nicht länger an.
Damit würde das Oberhaus künftig nur noch aus «Adeligen auf Lebenszeit» bestehen, die für besondere Verdienste oder Fachkenntnisse jeweils von Premierministern zu Lords und Ladies ernannt werden (die ihre Erhebung in den Adelsstand oft aber auch irgendwelchen Beziehungen oder Vergünstigungen verdanken). Dazu kommen 26 Erzbischöfe und Bischöfe der Kirche von England, der anglikanischen Staatskirche, die traditionell über eine feste Zahl an Plätzen verfügt im Oberhaus.
Längerfristig würde Labour das Oberhaus gern von Grund auf reformieren und die zweite Kammer Westminsters möglicherweise in eine Regionalvertretung umgestalten. Aber das ist ein Plan für die Zukunft, der erst einmal erörtert werden muss.
Mitglieder des House of Lords nicken regelmässig ein
Dagegen soll schon in nächster Zeit eine Altersgrenze für Oberhäusler, voraussichtlich bei 80 Jahren, festgesetzt werden. Allzu viele betagte House-of-Lords-Parlamentarier, die Westminster als eine Art feudalen Altenclub betrachten, nicken auf den roten Bänken bei abendlichen Debatten sehr leicht ein.
Insgesamt hofft die Regierung das Oberhauses von derzeit etwa 800 Mitgliedern auf höchstens 650 Parlamentarier – den Umfang des Unterhauses – zu reduzieren. Tatsächlich hat nur Chinas Nationaler Volkskongress mehr Parlamentarier als das House of Lords.
Die Tory-Opposition in London wittert freilich auch parteipolitische Gründe hinter der nun geplanten «Entmachtung» des Erbadels durch Labour. Von den 92 Vertretern dieser Gruppe gehört nämlich fast die Hälfte zur konservativen Fraktion, während nur zwei sich zu Labour bekennen. «Politischer Vandalismus» sei das, der reinste «Rachefeldzug», haben einzelne Tory-Politiker gewettert. Sie wollen, dass stattdessen alles beim Alten bleibt.
Die betreffenden beiden Angehörigen des Erbadels dürfen weiter ihre Rolle im Parlament spielen, im Auftrag des Monarchen. Ihren Sitz und ihre Stimme im Oberhaus sind aber auch sie bald schon los.
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