Ausgesetzte VerträgeDie britische Regierung streicht Waffenlieferungen an Israel
Englands Aussenminister befürchtet, dass Israel die Waffen für die Verletzung von internationalem Recht braucht. In London und Jerusalem reagiert man empört.
Die überraschende Aussetzung einer begrenzten Zahl britischer Waffenlieferungen an Israel hat am Dienstag in London bitteren Streit ausgelöst und in Jerusalem zu scharfen Reaktionen geführt.
Ex-Premierminister Boris Johnson warf der Labour-Regierung Keir Starmers vor, Israel «im Stich zu lassen». Er fragte, ob Starmer denn wolle, «dass die Hamas gewinnt».
Ausgelöst hatte den Streit der von Starmers Aussenminister David Lammy verkündete Beschluss, 30 der 350 Lizenzen für britische Waffenlieferungen nach Israel vorläufig auszusetzen. Die Suspendierung der Verträge begründete Lammy damit, dass «ein echtes Risiko» bestehe, dass die betreffenden Waffen und Waffenteile dazu benutzt würden, in Gaza in grösserem Umfang «internationales Recht zu verletzen».
Die suspendierten Lizenzen machen derweil nur einen kleinen Teil der britischen Waffenexporte nach Israel aus, und Komponenten für den F-35-Fighter-Jet sind von dem Embargo weitgehend ausgenommen. Insgesamt bezieht Israel von Grossbritannien weniger als ein Prozent seiner Waffen – während es zum Beispiel von den USA 69 Prozent erhält.
Grossbritanniens Oberrabiner kritisiert Zeitpunkt
Mit ihrer Entscheidung wich die britische Regierung aber erstmals ab von der bisherigen strikten Koordination ihrer Politik mit derjeniger Washingtons und jener der meisten europäischen Nationen. Entsprechend heftig reagierten Sprecher der jüdischen Bevölkerung in Grossbritannien auf den Beschluss.
Grossbritanniens Oberrabbiner Sir Ephraim Mirvis erklärte, er könne «einfach nicht glauben», dass Keir Starmers Regierung solche Restriktionen verfügt habe «und so unseren gemeinsamen Feind ermutigt». Dies ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, meinte Mirvis, da israelische Familien «sechs von grausamen Terroristen kaltblütig ermordete Geiseln zu Grabe tragen müssen».
Phil Rosenberg, der Präsident des Verbandes britischer Juden, fand, dass Londons Beschluss Israel «in der Stunde seiner Not» eine «ganz, ganz schreckliche Botschaft» sende. Bitter enttäuscht äusserten sich auch Israels Aussenminister Israel Katz und Verteidigungsminister Yoav Gallant.
Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu, der die Londoner Entscheidung schändlich nannte, warf den Briten vor, ihre eigene Geschichte vergessen zu haben. Israel, sagte er, trotze der Hamas und «Irans Terror-Achse» in gleicher Weise, in der Britannien einst seine Zivilisation «heroisch gegen die Nazis» verteidigt habe. Mit oder ohne britische Waffen, fügte er hinzu, gewinne Israel diesen Krieg.
Oxfam fordert komplettes Waffen-Embargo
Unterdessen forderten karitative Verbände und einzelne Westminster-Abgeordnete auf der linken Seite sehr viel weitergehende Massnahmen von der Regierung.
Die Hilfsorganisation ActionAid UK meinte, dies sei «nicht die Zeit für halbe Schritte», wenn London nicht mitschuldig werden wolle «an den abscheulichen Dingen, die täglich in Gaza geschehen». Nunmehr müsse Starmer «maximalen Druck auf die israelische Regierung ausüben, um einen dauerhaften Waffenstillstand zu erzwingen, die Freilassung der Geiseln zu erreichen und diesem Albtraum endlich ein Ende zu setzen».
Der Wohlfahrtsverband Oxfam warnte, solange es kein komplettes Waffenembargo gebe, könne sich Israel weiter jede Menge Waffen für sein Vorgehen in Gaza beschaffen. Die britische Entscheidung sei so «nur Augenwischerei». Von einer «leeren Geste» sprach auch Amnesty International. Mehrere Abgeordnete verlangten ebenfalls wesentlich mehr Druck.
Minister Lammy seinerseits erklärte, dass allein schon die weitflächige Zerstörung von Wohngebieten im Gazastreifen, die Behandlung palästinensischer Gefangener durch die israelische Armee und die Behinderung humanitärer Hilfeleistungen für Gaza die Gefahr der Verletzung internationalen Menschenrechts deutlich machten – worauf London reagieren müsse.
Er betonte allerdings, dass die Suspendierung nur bestimmte Waffensysteme betreffe und nichts Endgültiges sei. Auch Verteidigungsminister John Healey beteuerte, es gehe lediglich um Waffen, die «als Offensivwaffen» in Gaza eingesetzt würden oder werden könnten. Ansonsten spreche London Israel natürlich weiter das Recht zur Selbstverteidigung zu. «Wir sind absolut entschlossen, weiter an der Seite Israels zu stehen», sagte Healey. «Wir bleiben feste Verbündete Israels.»
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