Streit um PräventionRauchen kostet jedes Jahr 9500 Menschen das Leben und die Kassen Milliarden
In der Schweiz rauchen im europäischen Vergleich sehr viele Menschen, die meisten beginnen damit im Jugendalter. Die Politik ringt um Werbeverbote. Was bringen die?
Am Donnerstag debattiert der Nationalrat über das Tabakproduktegesetz, das seit Jahren in Arbeit ist. Ein wichtiger Streitpunkt sind Werbeverbote und der Schutz von Minderjährigen. Die meisten beginnen im Jugendalter zu rauchen, deshalb gilt die Prävention für diese Altersgruppe als entscheidend. Wer erst einmal süchtig ist, tut sich als Erwachsener schwer damit, vom Rauchen loszukommen. «Wenn Jugendliche nicht mit dem Rauchen beginnen, rauchen sie mit grosser Wahrscheinlichkeit ihr Leben lang nie», schreibt der Ärzteverband FMH in einer Stellungnahme zur Debatte.
Die Schweiz steht in Sachen Tabakprävention schlecht da. Laut dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) rauchen 27 Prozent der Menschen über 15 Jahre. Und im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern ist die Zahl der Raucher und Raucherinnen in den letzten zehn Jahren nicht gesunken. Dafür zahlen wir einen hohen Preis.
Jedes Jahr sterben hierzulande rund 9500 Menschen wegen ihres Tabakkonsums. Die Gesundheitskosten allein für Behandlungen der Folgen belaufen sich pro Jahr auf drei Milliarden Franken. Rechnet man die Arbeitsausfälle hinzu, sind es knapp vier Milliarden. Die Schweiz ist eines von nur sechs Ländern weltweit, die das Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs noch nicht ratifiziert haben. Dabei geht es beispielsweise um Einschränkungen für die Werbung. Doch wie wirkungsvoll sind solche Werbeverbote?
Dass Massnahmen tatsächlich einen Effekt haben, zeigt das Beispiel Grossbritanniens. Dort gelang es in den vergangenen 20 Jahren, den Anteil der Rauchenden von 30 auf 15 Prozent zu senken. Dabei waren nicht nur Werbeverbote wirksam, sondern auch ein sehr hoher Preis für die Zigaretten.
Junge reagieren stark auf Werbung
Im aktuellen Schweizer Gesetzesentwurf dagegen soll Werbung im Internet und der Presse bei Inhalten erlaubt sein, die sich nicht an Minderjährige richten. Im Kino und im öffentlichen Raum soll sie verboten werden. Gesundheitsexperten sind sich jedoch einig, dass nur ein vollständiges Werbeverbot junge Menschen tatsächlich vor Tabakwerbung schützen könnte.
«Der aktuelle Entwurf verunmöglicht einen wirksamen Jugendschutz und bringt keine bedeutende Verbesserung für die Tabakprävention», sagt Matthias Weishaupt, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Fragen zu Sucht und Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (EKSN). So zeigte beispielsweise eine Studie der Fachhochschule Westschweiz vor einigen Jahren, dass Kinder und Jugendliche, wenn sie einen Kiosk betreten, stark auf Tabakwerbung reagierten.
«Jugendliche fangen nicht an zu rauchen, weil sie den Geschmack von Zigaretten besonders mögen», sagt Valéry Bezençon, Professor für Marketing an der Universität Neuenburg. Viel entscheidender seien die Botschaften, die die Werbung für den Tabak transportiere. Solange es der Tabakwerbung gelinge, in den Köpfen junger Menschen das Bild zu etablieren, dass Rauchen etwas Cooles sei, so lange hätten es Präventionsbemühungen in dieser Altersgruppe schwer.
«Mit dem Argument der gesundheitlichen Risiken kommt man bei Jugendlichen, die das Risiko suchen, nicht weit», sagt Bezençon. Ändern müsse man die Erzählungen über das Rauchen. Auch eine US-Studie, die 2018 im Fachmagazin «Jama Pediatrics» erschien, kam zum Schluss, dass «die Empfänglichkeit für Tabakwerbung» das Rauchen bei Heranwachsenden eindeutig fördere.
Eine andere Sicht auf ein Werbeverbot hat die Vereinigung des Schweizer Tabakwarenhandels. Ihr Präsident Gregor Rutz sitzt für die SVP im Nationalrat. Zwar schreibt die Vereinigung auf ihrer Website, man wolle auf Werbung verzichten, die «sich speziell an Minderjährige» richte. Ein generelles Werbeverbot lehnt die Vereinigung jedoch ab, denn «Tabakwerbung vermag keine Nichtraucher zum Rauchen zu bewegen. Sie hilft vielmehr den Rauchern in ihrer Kaufentscheidung.»
Nicht einverstanden mit dieser Argumentation ist Jean-François Etter, Professor am Institute of Global Health an der Universität Genf. Auswertungen zeigten, dass bestehende Raucher nur sehr selten die Marke wechselten. «Die meiste Werbung für Tabakprodukte richtet sich vielmehr an ein junges Zielpublikum, das als neue Kunden und Kundinnen gewonnen werden soll.»
Genauso sehen es auch die Präventionsexperten des BAG. Sie schreiben: «Die freiwilligen Selbstbeschränkungen der Tabakindustrie reichen nicht aus. In der Phase der Identitätsbildung sind Jugendliche auch für Werbung, die sich vordergründig an Erwachsene richtet, sehr empfänglich.»
«Die Tabakindustrie verhindert durch die systematische Abschwächung der vorgeschlagenen Gesetzesartikel eine kohärente Gesundheitspolitik.»
Der Einfluss der Tabakindustrie auf die Schweizer Politik gibt seit Jahren zu reden. Drei grosse internationale Tabakkonzerne sind in der Schweiz ansässig: Philip Morris International, British American Tobacco und Japan Tobacco International. Laut einer Auswertung der KPMG aus dem Jahr 2017 bietet dieser Industriezweig 11’500 Arbeitsplätze, was 0,2 Prozent der Erwerbsbevölkerung ausmacht. 75 Prozent der in der Schweiz hergestellten Zigaretten gehen allerdings ins Ausland. Sie haben einen so hohen Nikotingehalt, dass sie auf dem europäischen Markt verboten sind.
«Dieser Gesetzesentwurf widerspricht dem Interesse der Schweizer Bevölkerung», sagt Gesundheitsexperte Etter. Zudem ergab eine Umfrage des Suchtmonitorings Schweiz, dass eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung ein allgemeines Werbeverbot begrüssen würde. Die Eidgenössische Kommission für Tabakprävention (EKTP) schreibt zum Einfluss der Tabakindustrie auf die Schweizer Politik: «Die Verbündeten der Tabakindustrie verhindern durch die systematische Abschwächung der vorgeschlagenen Gesetzesartikel eine kohärente Gesundheitspolitik.»
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