Monopol von Spacex bei RaumflügenRückstau an der Startrampe – droht jetzt eine Raketenkrise?
Die Probleme beim Start einer Falcon 9 in der vergangenen Woche haben womöglich ein längeres Flugverbot für Spacex zur Folge. Auch die europäische Raumfahrt könnte dadurch in Bedrängnis geraten.
Vor zehn Tagen hat die europäische Raumfahrtbranche mit dem ersten Flug der neuen ESA-Rakete Ariane 6 noch das Ende der Raketenkrise gefeiert, nun erwischt es sie von gänzlich unerwarteter Seite. Nachdem es bei einer Falcon 9 des US-Herstellers Spacex am 11. Juli Probleme mit der zweiten Raketenstufe gegeben hat, untersucht die US-Luftfahrtbehörde FAA (Federal Aviation Administration) den Vorfall, weitere Flüge hat sie vorläufig untersagt. Von dem Startverbot sind bereits jetzt mindestens zwei europäische Missionen betroffen, die am vergangenen Donnerstag vom kalifornischen Startplatz Vandenberg hätten abheben sollen.
So wollte die Raumfahrtagentur ESA den Arctic Weather Satellite per Falcon 9 auf 600 Kilometern Höhe im Erdorbit platzieren. Gebaut von der Raumfahrtfirma OHB, soll der 125 Kilogramm schwere Satellit die Wettervorhersage in den Polarregionen verbessern. Er soll mit dem Transporter 11 von Spacex mitfliegen, der so heisst, weil er viele kleinere Satelliten an Bord hat. Darunter ist auch der QUBE-Kleinstsatellit des Zentrums für Telematik im deutschen Würzburg. Professor Klaus Schilling und sein Team möchten damit Technologien zur Quantenschlüsselverteilung im All testen. «Bisher wurde der Start zunächst nur bis zum 1. August offiziell verschoben, aber ich befürchte, das wird nicht das letzte Wort bleiben», sagt er. Ferner sollte demnächst auch ein norwegischer Kommunikationssatellit für kommerzielle und militärische Zwecke mit der Falcon 9 starten.
Auch prominentere europäische Missionen wären wohl betroffen, sollte die US-Rakete länger ausfallen und sich bei einer mehrwöchigen Zwangspause ein Rückstau an der Startrampe bilden: Zwei Galileo-Navigationssatelliten der Europäischen Kommission sollen im September mit einer Falcon 9 starten und die ESA-Asteroidensonde Hera im Oktober. Für beide Missionen hatte die ESA eigens Plätze bei Spacex gebucht, weil sie mangels europäischer Raketen keine eigenen Startmöglichkeiten dafür hat.
Hintergrund des Startverbots für die Falcon 9 ist eine Panne bei einem Start von 20 Satelliten für die hauseigene Breitbandkonstellation Starlink. Nach Angaben von Spacex hat die zweite Raketenstufe nach dem Start in Vandenberg normal gezündet. Wegen eines Treibstofflecks beim flüssigen Sauerstoff habe jedoch die Wiederzündung nicht geklappt, sodass die Satelliten in einer zu niedrigen Umlaufbahn von 135 Kilometern Höhe ausgesetzt worden seien. Dies sei weniger als die Hälfte der geplanten Orbithöhe. «Bei diesem Luftwiderstand ist es unwahrscheinlich, dass unser maximal verfügbarer Schub ausreicht, um die Satelliten erfolgreich anzuheben», so das Unternehmen. Sie verglühen nun in der Erdatmosphäre.
Spacex muss womöglich eine neue Startgenehmigung beantragen
Fast schon kurios dabei ist, dass nach der europäischen nun auch eine amerikanische Raketenkrise kommen könnte, sollte Space-X wegen des Flugverbots länger nicht starten dürfen. Eine Wiederaufnahme des Flugbetriebs sei nur möglich, wenn die öffentliche Sicherheit nicht beeinträchtigt werde, so die FAA in einer Stellungnahme.
Darüber hinaus müsse Spacex im Lichte des Zwischenfalls womöglich eine neue Startgenehmigung beantragen. Dies könne je nach Komplexität des Problems mit dem Triebwerk der Rakete mehrere Wochen oder Monate dauern, meldet die Agentur Reuters. Die Nachrichtenagentur Bloomberg zitiert Chris Quilty, Präsident des Analyseunternehmens Quilty Space, der es als «historischen Präzedenzfall» bezeichnete, sollte eine Rakete wegen eines Fehlstarts sechs Monate und länger nicht fliegen können.
Der frühere Astronaut Ulrich Walter, Professor am Lehrstuhl für Raumfahrttechnik der TU München, sieht die FAA-Untersuchung zunächst einmal als Routine, zumal bald wieder Astronautenflüge mit der Falcon 9 geplant sind. Grundsätzlich sei sie eine «sehr zuverlässige Rakete, deshalb haben sich viele Kunden dafür entschieden», sagt er. «Ich vermute, die Panne bei der Falcon 9 beruht auf einem einmaligen Produktionsfehler.» Da es also vermutlich kein Designfehler sei, «glaube ich, dass die Rakete nicht länger stillgelegt wird, vielleicht zwei Monate», sagt Walter, der 1993 selbst fast zehn Tage mit dem Spaceshuttle im All war. «Insofern würde ich jetzt noch nicht von Krise sprechen, bei einem Jahr wäre es aber ein echtes Problem.»
Neben einigen Satelliten könnten aber schon kurzfristig Nasa-Zubringerflüge zur Raumstation ISS betroffen sein. Zum einen die für August geplante reguläre Mission «Crew 9», die vier Astronauten für einen sechsmonatigen Einsatz zur Raumstation bringen soll. Ausserdem sind für August und September zwei Versorgungsflüge zur ISS mit der Falcon 9 geplant – mit dem Cygnus-Frachter von Northrop Grumman und der Cargo Dragon von Spacex.
Zudem sollte die Falcon 9 bereits Ende Juli einen rein privaten Flug des US-Milliardärs Jared Isaacman ins All bringen. Knapp drei Jahre nach seinem ersten Flug will er erneut mit drei weiteren Astronauten starten. Auf dem Programm der fünftägigen Mission «Polaris Dawn» stehen unter anderem der erste private Ausstieg aus der Kapsel ins All, der bisher höchste Flug einer Crewkapsel von Spacex sowie der Test neuer Raumanzüge.
Dass Spacex fast ein Monopol hat, rächt sich nun
Ein längerer Ausfall wäre dramatisch für die Branche. Dass Spacex mittlerweile fast ein Monopol in den USA besitzt, rächt sich. Alternativen gibt es dort in der Grössenklasse kaum. Die geplante Schwerlastrakete New Glenn von Jeff Bezos’ Raumfahrtfirma Blue Origin soll frühestens im vierten Quartal dieses Jahres erstmals starten. Die Atlas V der United Launch Alliance ist nach Branchenangaben mit Flügen der Starliner-Kapsel von Boeing und für die Amazon-Internetsatelliten Kuiper ausgebucht.
Mit der Boeing-Kapsel gibt es andererseits selbst technische Probleme, die beiden Astronauten sitzen wegen der Untersuchungen seit Anfang Juni auf der Raumstation fest. Starliner käme also als Ersatz für Crewflüge zur ISS nicht infrage. Dann gibt es noch die neue Vulcan-Rakete, die die Atlas V ablösen soll. Sie ist aber erst einmal gestartet, ein zweiter Qualifizierungsflug ist für September vorgesehen. Unklar ist auch, inwieweit sich die Startpläne für die Falcon Heavy von Spacex verzögern.
Die Falcon 9 hat seit 2010 insgesamt 354 Starts absolviert. Dies mit wenigen Ausfällen: 2015 fiel die Rakete nach dem Start auseinander, 2016 explodierte eine Falcon 9 drei Tage vor dem Start bei einem Test. Bei drei Zwischenfällen gingen Satelliten verloren. Zuletzt war dieser Raketentyp meist mehrmals pro Woche geflogen. 2023 waren von 91 Starts 63 für das hauseigene Breitbandnetz Starlink. Mit der Schwerlastrakete Falcon Heavy kam Spacex auf 96 der 114 Starts in den USA. Zum Vergleich: Der Analysefirma Bryce zufolge gab es weltweit 221 Starts ins All, darunter immerhin drei europäische.
Das Startverbot zeigt der Branche, dass es wichtig ist, mehrere Anbieter zur Auswahl zu haben. Ausserdem ist es eine Bestätigung für die europäische Strategie eines unabhängigen Zugangs zum Weltall. Denn wenn Raketen selbst in den USA knapp werden, müssen sich die Europäer ziemlich weit hinten anstellen.
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