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Never Mind the Markets: Exportbilanz
Rätselhafter Schweizer Handelsüberschuss

Die Schweizer Exporterfolge hängen zunehmend von den Verkäufen der Pharmakonzerne ab: Roche-Turm im Basel.. (Keystone)
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Normalerweise sorgt eine sich aufwertende Landeswährung dafür, dass sich die Ströme im Aussenhandel neu formieren. Die heimischen Exporteure büssen an Konkurrenzfähigkeit ein und verkaufen daraufhin weniger Waren im Ausland. Dank der Aufwertung steigt gleichzeitig die Kaufkraft gegenüber dem Ausland. Das stimuliert die Importe. Am Ende schrumpft die Handelsbilanz, also die Differenz zwischen Aus- und Einfuhren. Bei einer starken Aufwertung der Währung wird sie manchmal sogar defizitär: Es wird mehr importiert als exportiert.

Die Schweiz beweist seit Jahrzehnten das Gegenteil. Der Aussenhandelsüberschuss steigt und steigt, während der Franken parallel dazu immer stärker wird. Wie ist das möglich?

Der Chart zeigt das ungewöhnliche Phänomen. In den vergangenen 20 Jahren haben sich der Euro und der Dollar von 1.60 auf 1.08 Franken/Euro respektive von 1.71 Franken/Dollar auf nur noch 92 Rappen abgewertet. Beide Währungen decken über zwei Drittel der Schweizer Absatzmärkte im Ausland ab. Gleichwohl hat sich der Aussenhandelsüberschuss im gleichen Zeitraum mehr als verdreifacht. Im Jahr 2019 erzielte die Schweiz den höchsten Positivsaldo in ihrer Geschichte.

Nun liesse sich einwenden, dass auch die Gesamtwirtschaft gewachsen ist – das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Und auch unterschiedliche Preisdynamiken im In- und Ausland könnten die Ergebnisse verfälschen. Aber selbst wenn das berücksichtigt wird, bleibt die Grundaussage die gleiche.

Der Schweizer Handelsüberschuss steigt schneller als die Schweizer Wirtschaft. In den vergangenen 20 Jahren verdoppelte er sich von knapp 5 Prozent auf 10 Prozent des BIP. Der Franken wertete sich in diesem Zeitraum gegenüber den wichtigsten Währungen mehr als 10 Prozent auf, selbst wenn man die Inflationsunterschiede zwischen dem In- und Ausland herausrechnet.

Pharma ist der Grund

Es gibt zwei Argumentationslinien, die helfen, das aussergewöhnliche Phänomen zu erklären. Zum einen spielt die Zusammensetzung des Aussenhandels eine Rolle. Als die Schweiz vergangenes Jahr den Rekordüberschuss erzielte, war das ausschliesslich auf die Pharmaausfuhren zurückzuführen. Sie wuchsen um knapp 10 Milliarden Franken, die übrigen Branchen zusammen nur um etwas mehr als 1 Milliarde Franken. Das war selbst für Schweizer Verhältnisse eine Ausnahme. Aber die Schweizer Exporterfolge hängen immer mehr von den Verkäufen der Basler Grosskonzerne und ihren Branchenkonkurrenten ab. In den vergangenen fünf Jahren ist ihr volkswirtschaftliches Gewicht grösser geworden: Ihr Anteil an den Schweizer Gesamtausfuhren nahm seither von rund 40 Prozent auf über 60 Prozent zu.

Dem Pharmabereich ist es auch zu verdanken, dass die Schweizer Wirtschaft besser durch den Coronaschock gekommen ist als andere Länder. Die Exporte der Branche stützten das Schweizer BIP im zweiten Quartal und dämpften den Einbruch der Wertschöpfung. Im Vergleich zu Deutschland machte das rund 1 Prozentpunkt Wachstumsunterschied aus.

Die Schlussfolgerung: Würde man den Erfolg der Basler herausnehmen, wäre die Exportbilanz der Schweiz gar nicht so prächtig. Die Ausfuhren nähmen nur verhalten zu. Der Zusammenhang mit der Frankenaufwertung wäre nachvollziehbar.

Der Franken ist fair bewertet

Aber es gibt noch eine zweite Argumentationslinie, um zu erklären, weshalb ein rekordhoher Exportüberschuss mit einem rekordhohen Franken erzielt wird: Der Überschuss belegt, dass die Währung fair bewertet ist. Andernfalls wäre der Exporterfolg kaum möglich. Das Devisenresearch der Bank Unicredit hat das diese Woche nachgewiesen. Es berechnet den langfristigen Gleichgewichtskurs des Frankens, der gesamtwirtschaftlich gerechtfertigt ist. Da die Schweiz kontinuierlich einen Überschuss in der Aussenbilanz erzielt, besteht per Saldo auch stets ein Nachfrageüberhang zugunsten des Frankens am Devisenmarkt. Kein Wunder wertet er sich auf. Die Bankökonomen kommen zum Schluss, dass 1 Euro gegenwärtig nur rund 1.05 Franken kosten dürfte. Tatsächlich notiert er in diesen Tagen 1.08 Franken/Euro. Der Franken ist also nicht überbewertet, sondern wird an den Märkten zu seinem fairen Preis gehandelt.

Folgt man dieser Argumentation, dann besteht kein Bedarf dafür, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) am Devisenmarkt interveniert, um den Franken zu schwächen. Da sie es im ersten Halbjahr 2020 trotzdem getan hat und in den Jahren zuvor ebenfalls, könnte sich daraufhin die US-Regierung in ihrem Vorwurf bestätigt sehen, dass die SNB die Währung manipuliert. Immerhin beliefen sich die Schweizer Nettoexporte in die USA 2019 auf 27 Milliarden Franken. Das Weisse Haus erachtet unter anderem einen bilateralen Handelsüberschuss von mehr als 20 Milliarden Dollar bei gleichzeitigen Devisenkäufen als Kriterium, um ein Land als Währungsmanipulator zu ächten.

Sonderfall Schweiz

Die SNB hält das verständlicherweise für nicht gerechtfertigt. Sie argumentiert wiederum ganz anders: Die Schweizer Überschüsse sind strukturell bedingt und die Folge von Sonderfaktoren, auf die die SNB keinen Einfluss hat. Unter anderem verweist sie auf die alternde Bevölkerung und die weit ausgebaute berufliche Vorsorge, die zu einem Sparüberhang führen, so dass Kapital im Ausland angelegt wird. Ausserdem spielten multinationale Unternehmen eine Rolle, deren komplexe Besitzverhältnisse die Statistik verzerrten. «Die Leistungsbilanz ist im besonderen Fall der Schweiz kein gutes Mass für die Beurteilung der Handelsströme und der Entwicklung des Auslandvermögens und auch kein guter Indikator für die Ausrichtung der Geldpolitik», sagte SNB-Chef Thomas Jordan 2017 in einem Referat.

Die SNB hält sich auf diese Weise den Spielraum offen, um jederzeit in den Devisenmarkt eingreifen zu können, ohne auf die Schweizer Aussenbilanz blicken zu müssen. Den Berechnungen, die den Franken aber weitgehend fair bewertet sehen, kann sie sich dennoch nicht gänzlich entziehen. Im internationalen Umfeld bleibt die Schweiz jedenfalls ein Sonderfall.

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