Gedenkfahrt für Muriel FurrerManche bleiben an der Unfallstrecke stehen und weinen
Am frühen Sonntagmorgen wurde der verstorbenen Radfahrerin mit einem Memorial Ride gedacht.
- Viele haben sich in Zürich zum Gedenken an Muriel Furrer versammelt.
- Muriel Furrer starb infolge eines Unfalls im U-19-Rennen am Freitag.
Es sind viele früh aufgestanden an diesem Sonntagmorgen. Sie haben sich dick eingepackt, auf ihr Velo gesetzt und sind zum Zielbogen der Zürcher Rad-WM gekommen, um Muriel Furrer zu gedenken. Die junge Schweizerin starb am Freitag an den Folgen eines Unfalls im WM-Rennen der U-19.
Die Stimmung ist bedrückt, viele haben Tränen in den Augen, schluchzen leise. Immer wieder nehmen sich Leute gegenseitig in den Arm. Und es sind viele, ganz verschiedene Leute da: Junge, Alte, Frauen, Männer, Leute mit teuren Rennrädern, Leute mit klapprigen Stadtvelos oder E-Bikes. Es wird Deutsch gesprochen, Englisch, Französisch. Und es kommen immer mehr.
Auch die Schweizer Profifahrerinnen sind da, um ihrer Teamkollegin die Ehre zu erweisen. Am Start stehen auch Larissa und Angelina Patt. Die 18-jährigen Zwillinge tragen Blumensträusse. Sie kannten Muriel Furrer persönlich, die Familien verbrachten früher die Ferien gemeinsam. Und Muriel besuchte dieselbe Schule wie sie: «Sie war ein Jahr unter uns.» Muriel sei ein «megalieber» Mensch gewesen: «Sie hatte immer ein Lächeln im Gesicht, so eine gute Energie. Sie war glücklich.»
Der Unfall sei für sie völlig surreal, erzählen die jungen Frauen weinend. «Ich war bis zuletzt sicher, dass es gut kommt», sagt Larissa. «Manchmal realisiere ich überhaupt nicht, dass es passiert ist, und dann holt es mich immer wieder ein.» An der Gedenkfahrt nehmen die zwei zwar nicht teil, aber sie wollen ein Stück mitlaufen. Und später werden sie an der Wasserkirche die Blumen niederlegen. Dort wurde für Furrer eine Gedenkstätte errichtet.
OK-Chef Olivier Senn eröffnet den Anlass mit einer kurzen Ansprache und einer Schweigeminute. Senn erinnert daran, dass das hier kein Rennen sei. «Redet miteinander, fahrt schweigend, was für euch gut ist», sagt er. Er hoffe, dass alle mit einem besseren Gefühl zurückkehrten.
Dann rollt das Feld in gemächlichem Tempo los. Es ist fast gespenstisch still, nur die Veloräder sirren im immer heller werdenden Morgen.
Eigentlich war für diesen Sonntag hier das Volksrennen geplant, in dem sich ambitionierte Hobbyfahrer auf der Strecke der Profis gemessen hätten. Doch nun soll es keinen Wettkampf geben. Heute wird das Tempo gemächlich sein.
Trotzdem holen viele am Bürkliplatz eine Startnummer. «Die können nicht anders», sagt eine Velofahrerin, die das Geschehen beobachtet. Für sie ist es eine Frage des Respekts, dass sie mitfährt. Einige haben ihre Startnummer verkehrt herum ans Trikot geheftet. Das hat im Radsport in speziellen Momenten Tradition.
Gespenstisch ist auch die Stimmung auf der Strasse. So früh sind erst wenige Fussgänger unterwegs. Die treuen Volunteers warnen mit ihren Trillerpfeifen vor Verkehrshindernissen, dann steht für den in die Länge gezogenen Tross der erste Anstieg an. Die Gespräche untereinander verebben.
Wie eine lange Prozession von Glühwürmchen schlängeln sich die Velos mit ihren roten Rücklichtern die Zürichbergstrasse hoch. Rechts und links positionieren sich schon die ersten Fans fürs Strassenrennen am Nachmittag, hängen ihre Fahnen an die Abschrankungen.
Kurz kommt etwas Hektik auf. Ein Fahrer mit dem Regenbogentrikot wurde gesichtet. Ist das tatsächlich Mathieu van der Poel? Der aktuelle Weltmeister? Die Auflösung kommt schnell. Nein, dieser wird sich bald in Winterthur an den Start stellen. Da beginnt um 10.30 Uhr das Elite-Rennen der Männer. Weiter draussen stehen Wohnmobile still an der Strasse. Viele niederländische Fans schlafen noch.
Andere sind schon auf und treten noch im Pyjama vor ihre Tür. In Zollikon beobachten Einwohner von ihren Fenstern aus die nicht abreissende Veloschlange. In Zumikon hat die Feuerwehr ihre ganze Autoflotte vor die Wache gestellt und steht Spalier.
Dann kommt das Feld langsam zum Waldstück, in dem sich der tragische Unfall am Donnerstag ereignete. Viele Leute halten an, machen ein Foto von der aufgehenden Sonne. Über dem Wald hängt noch der Nebel, und die Strasse führt hinein wie in ein dunkles Loch.
Die Stimmung in der Passage ist bedr¨ückt. Manche bleiben am Strassenrand stehen und weinen, andere fahren still weiter. Vielen wird bewusst, wie steil das Strassenstück ist, wie nass auch an diesem Morgen der Belag. Die nassen Bäume tropfen unablässig. Die Stille wird begleitet vom Surren der Veloräder, vom Bach, der in seinem Bett rauscht.
Als die Fahrerinnen und Fahrer aus dem Wald herauskommen, ist die Sonne da. Sie scheint hell, wärmt ihnen den Rücken und hilft, die Schwermut etwas zu verlieren. Es hat etwas Reinigendes, etwas Versöhnliches auf der Fahrt zurück zum Sechseläutenplatz.
Für viele endet die Gedenkfahrt bei der Wasserkirche. Direkt neben dem Zwingli-Denkmal dient ein Baum als Gedenkstätte. Eine Schweizer Fahne hängt daran, davor stehen brennende Kerzen, Trauernde haben Blumen niedergelegt.
Viele bleiben hier stehen, halten für einen Moment inne. Auch die Fahrerinnen von Swiss Cycling haben sich hier nochmals versammelt. Gemeinsam gedenken sie ihrer verstorbenen Teamkollegin.
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