Pro und KontraSchande für die Schweiz? Oder schützenswerte Beton-Kolosse?
50 Jahre nach den Protesten in Kaiseraugst stellt sich die Frage, ob ausrangierte AKWs unter Denkmalschutz kommen sollen. Ein Pro- und-Kontra.

Ja: Zumindest ein Kühlturm soll an das Nuklearzeitalter erinnern.
Niemand mag Atomkraftwerke. In «The Simpsons» steht das Kernkraftwerk von Springfield als Symbol für Profitgier auf Kosten der Sicherheit – mit radioaktivem Müll, der herumliegt, und dem dreiäugigen Fisch Blinky, der in den verseuchten Gewässern schwimmt.
Gerade deshalb sollten Gösgen, Beznau 1 & 2 und Leibstadt nicht einfach abgerissen werden, wenn dereinst die letzten Dampfwolken aus ihren Kühltürmen in den Himmel steigen. Denn Denkmäler müssen nicht positiv besetzt sein – entscheidend ist ihre historische Bedeutung. Aus diesem Grund hat man Auschwitz nicht dem Erdboden gleichgemacht.
Kaum ein anderes Land führte so erbitterte Debatten über die Kernkraft wie die Schweiz. Die Besetzung des geplanten AKW-Standorts Kaiseraugst wurde zum Symbol des Protests, und bei mehreren Volksabstimmungen stritt man über einen Atomausstieg. Insofern sind die Bauten auch Symbole dieser gesellschaftlichen Auseinandersetzung.
AKW sind ausserdem bedeutend für die Wissenschaftsgeschichte. Gerade die Schweiz war stets eine Pionierin technischer Innovationen – im Tunnelbau, in der Wasserkraft oder beim Brückenbau. Die Atomenergie befeuerte in der Mitte des letzten Jahrhunderts diesen Fortschritts- und Technikglauben erst recht. An der ETH wurde an der Superenergie geforscht, und die Euphorie darüber war so gross, dass sie in einem geheimen Atombombenprogramm mündete.
Konkrete Umnutzungsideen gibts viele
Ob als Mahnmal für menschliche Hybris, als Denkmal des Ingenieurgeists oder als Lernort für das Erbe der Atomenergie – zumindest ein Kühlturm sollte in der Schweiz erhalten bleiben. Auch Inspiration für konkrete Umnutzungsideen, die einen Erhalt finanzieren, gibt es genug: In anderen Ländern wurden stillgelegte Industrieanlagen zu Hotels, Bungee-Jumping-Anlagen oder Tauchzentren umfunktioniert.
In London gab es in den 80ern übrigens eine ähnliche Debatte um die Battersea Power Station. Das Riesengebäude galt als hässliches Überbleibsel des industriellen Zeitalters und sollte abgerissen werden. Der Denkmalschutz setzte sich durch – heute ist aus dem Schandfleck ein Wahrzeichen geworden.
Philippe Zweifel
Nein: Diese Bauten sind gescheitert. Politisch, ökologisch, gesellschaftlich.
Wie bitte? Es klingt wie ein schlechter Witz, ist aber tatsächlich ernst gemeint.
Die Denkmalpflege des Kantons Aargau lanciert die Frage, ob AKW nicht unter Denkmalschutz zu stellen seien – als ob es sich bei diesen Betonmonstern um ein kulturelles Erbe handeln würde wie die Kapellbrücke in Luzern oder das Grossmünster in Zürich.
Es mag für den Kanton Aargau, auf dessen Gebiet drei der vier hiesigen Atomanlagen stehen, schmerzlich sein – doch diese Idee ist Nonsens.
Die Verklärung der Atomkraftwerke zur schützenswerten Industriearchitektur ist nicht nur aus ästhetischer Sicht grotesk, sondern ebenso ein intellektueller Kurzschluss.
Diese Bauten sind gescheitert. Politisch, ökologisch, gesellschaftlich. Die Bevölkerung hat sich mehrheitlich abgewendet – nicht nur von der Technologie, sondern auch von ihrer Ästhetik. Kein Mensch sehnt sich danach, einen Sonntagsspaziergang unter dem Schlagschatten eines Kühlturms zu machen. Niemand hat den Wunsch, sich im zum Souvenirshop umgenutzten Kontrollraum einen Mini-Kühlturm zu kaufen.
Es braucht keine Kühlturm-Kathedralen
Es gibt keine positive emotionale Bindung zu diesen Betonmonstern. Sie verfügen nicht über die identitätsstiftende Kraft, die das Wesen von Denkmälern ist. Was bleibt, sind nur Reststrahlung und Rückbaukosten. Obendrein sind sich die Experten nicht einmal einig, ob ein Erhalt von AKW als Denkmälern aus Sicherheitsgründen überhaupt vertretbar ist. Oder möchten Sie beim Museumsbesuch mit der Familie verstrahlt werden?
Zwar ist es richtig, auch unbequeme Zeugnisse der Geschichte zu bewahren – doch dies gelingt besser durch Dokumentationen, Museen oder künstlerische Aufarbeitung als durch den Erhalt der gesamten Anlage. Ein Rückbau schliesst eine kritische Auseinandersetzung keineswegs aus. Und keine Angst: So schnell werden wir AKW ohnehin nicht vergessen. Die Nachwelt wird noch Jahrhunderte mit den Konsequenzen dieser Technologie kämpfen müssen – mit strahlendem Müll in tiefen geologischen Lagern, mit Millionenkosten für den Rückbau, mit Landschaften, in deren Boden sich die Energie der Vergangenheit eingebrannt hat.
Es braucht keine Kühlturm-Kathedralen. Reisst die AKW ab. Pflanzt Bäume an ihrer Stelle.
Michael Marti
Fehler gefunden?Jetzt melden.