Preisüberwacher im InterviewTeuerung trifft Mittelstand – «Staat sollte auf Preiserhöhungen verzichten»
Die Inflation treffe nun auch den Mittelstand, warnt Stefan Meierhans. Unternehmen will er gezielt auf eine allfällige «Gierflation» untersuchen.
Das Leben wird teurer. Nun schlägt der Preisüberwacher Alarm. Am ersten Schweizer Kaufkraftgipfel vom Dienstag in Bern forderte er zusammen mit Konsumentenschutzorganisationen aus dem Tessin, der West- und der Deutschschweiz Massnahmen seitens der Politik.
Zuerst sollen die Bankgebühren und die Krankenkassenprämien in den Fokus rücken. Das sei schnell umsetzbar. Die Banken hätten jüngst starke Unterstützung von den Steuerzahlerinnen erhalten, sagte Konsumentenschutz-Geschäftsführerin Sara Stalder vor den Medien. Jetzt müssten sie der Kundschaft etwas zurückgeben.
Die in Zeiten der Negativzinsen rasch eingeführten Gebühren könnten die Banken als eine erste kurzfristig umsetzbare Massnahme zur Linderung des Teuerungsdrucks abschaffen. Zudem sollten sie auf Sparguthaben wieder mindestens 1 Prozent Zins zahlen.
Als zweite schnell wirksame Massnahme forderte Stalder stärkere Verbilligungen der Krankenkassenprämien. Und der Preisüberwacher will genauer hinschauen, wie er selbst sagt.
Herr Meierhans, wo belastet die Teuerung die Menschen am meisten?
Die Sorgen sind in allen Teilen des Landes gross. Im Tessin beschäftigen die steigenden Lebensmittelpreise am stärksten und in der Westschweiz die Krankenkassenprämien. In der Deutschschweiz sind es die teuren Mieten sowie die steigenden Preise für den öffentlichen Verkehr. Im Grossen und Ganzen jedoch haben alle dieselben Probleme.
Zwar stagniert derzeit die Industrie, doch der inländische Dienstleistungssektor wächst weiter überdurchschnittlich. Die Leute kaufen ein, gehen ins Restaurant und machen Ferien und Ausflüge. Vielen scheint es weiterhin sehr gut zu gehen.
Tatsächlich geben viele Menschen weiterhin viel Geld aus. Doch der Reallohnrückgang war seit 1943 – also vor 80 Jahren – noch nie so stark wie letztes Jahr. Ich mache mir Sorgen auf Vorrat. Heute hat die Eidgenössische Elektrizitätskommission Preiserhöhungen per Januar von durchschnittlich 18 Prozent angekündigt. Ebenfalls ab Januar gelten höhere Posttarife. Auch die neuen Krankenkassenprämien gelten per Januar.
Hinzu kommen erneute Mietzinserhöhungen im Laufe des nächsten Jahres.
Genau. Und das heisst: All diese Erhöhungen werden das Portemonnaie der Leute in der Schweiz massiv und dauerhaft belasten. Bei mir haben die Beschwerden jetzt schon zugenommen. Wenn ich mir vorstelle, was bevorsteht, ist für mich klar: Das Preisproblem wird sich in den nächsten Monaten stark akzentuieren. So gesehen, bin ich nicht alarmistisch, sondern im Grunde bereits zu spät.
«Behörden sollten jetzt nicht grosszügig, sondern knapp kalkulieren. Sie können dazu angehäufte Reserven verwenden.»
«Preiserhöhungen müssen zur Priorität werden in der Politik», hiess es daher an der Medienkonferenz vom Dienstag. Wie kann der Staat dämpfend auf die Inflation wirken?
Bei Post und dem öffentlichen Verkehr konnte ich durch Verhandlungen Preiserhöhungen im Umfang von 120 Millionen Franken verhindern. Doch das genügt nicht. Meine Forderung: Alle staatlichen und staatsnahen Firmen sollten ihre Verantwortung wahrnehmen – beispielsweise bei der Wasserversorgung, beim Abwasser, bei der Gebäudeversicherung, bei Gemeinde-Kitas oder städtischen Mittagstischen. Im Grunde betrifft das alle Dienstleistungen, für die der Staat Geld verlangt. Er hat ein Interesse daran, dass der untere und mittlere Mittelstand nicht zusätzlich belastet wird. Der Staat sollte jetzt möglichst auf Preiserhöhungen verzichten.
Auch Horte und Wasserversorger zahlen mehr für Strom, Lebensmittel und Mieten. Wo sollen sie diese Zusatzkosten verrechnen?
Es gibt staatsnahe Firmen, die haben ein Null-Risiko-Geschäft. Sie sollten ihren Spielraum nutzen und die Preise möglichst moderat oder in Etappen erhöhen. Behörden sollten jetzt nicht grosszügig, sondern knapp kalkulieren. Sie können dazu angehäufte Reserven verwenden.
Woher wissen Sie, dass nun auch der Mittelstand von der Teuerung betroffen ist?
Es zeigt sich nicht unbedingt in Beschwerden, doch: Wenn ich auf der Strasse oder im Tram mit den Leuten rede, erzählen sie mir von den Kita-Kosten, die steigen, oder von teuren Preisen fürs Generalabonnement der Tochter, die ans Gymnasium geht. Andere sind angewiesen auf das Auto – sie leiden unter den hohen Benzinpreisen. Es gibt auch Zuschriften, in denen es lapidar heisst: «Lebensmittel, Krankenkasse, Strom – wo hört das denn auf?» Heutzutage ärgern sich die Leute nicht mehr über Mahngebühren, die ihnen ungerecht erscheinen, wie noch vor ein paar Jahren. Sondern sie sorgen sich über ihre Gesamtsituation.
«Ich werde prüfen, welche Unternehmen ihre Preise stärker anheben als die zusätzlich abzuführenden 0,4 Prozent Mehrwertsteuer.»
Wie zeigt sich das sonst noch?
Letztes Jahr habe ich 2400 Beschwerden erhalten, beinahe doppelt so viele wie im Jahr 2021. Dieses Jahr verzeichnen wir bisher nochmals eine Zunahme um 20 Prozent. Im Tessin benötigen immer mehr Menschen eine Budgetberatung, es gibt bereits eine lange Warteliste. In der Westschweiz gibt es Probleme, weil, anders als früher, viele Menschen auch mit einem Wechsel der
Krankenkasse nur noch wenig Geld einsparen können.
Preisaufschläge gibt es seit Monaten – darunter viele ungerechtfertigte. Warum starten Sie erst per Anfang Jahr ein Mehrwertsteuer-Monitoring?
Wenn per Januar 2024 ein höherer Mehrwertsteuersatz gilt, ist das für mich ein guter Moment für einen Vorher/Nachher-Vergleich. Ich möchte insbesondere eine allfällige «Gierflation» untersuchen. Das heisst: Ich werde prüfen, welche Unternehmen dies ausnutzen und ihre Preise stärker anheben als die zusätzlich abzuführenden 0,4 Prozent Mehrwertsteuer.
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