Cenks KulturkarussellWenn man über Einhornpflege dozieren muss
Es gibt eine fast vergessene Kunstform mit einer kurzen Blütezeit vor etwa zehn Jahren – die Kunst, spontan vor Publikum über ein absurdes Thema zu referieren.
Neulich war ich wieder einmal in meiner Heimatstadt Winterthur. An diesem Abend führte mich der Zufall in eine kleine Studentenbar. Was als spontaner Abstecher begann, endete inmitten einer Powerpoint-Karaoke-Veranstaltung. Eine hierzulande fast vergessene Kunstform, die 2005 in Karlsruhe von einer Gruppe von Ingenieurstudenten erfunden wurde und ihren Höhepunkt in der Schweiz etwa zwischen 2010 und 2015 erlebte.
Die Regeln dabei: Mutige Freiwillige tragen eine zufällig ausgewählte Powerpoint-Präsentation vor, die sie noch nie zuvor gesehen haben. Das Ziel: den Inhalt so überzeugend und unterhaltsam wie möglich zu präsentieren, egal wie absurd die Folien auch sein mochten. Was es dafür braucht: die Kunst der Improvisation und die Freude am Spiel mit dem Absurden.
Der erste Freiwillige an diesem Abend war ein junger Mann namens Jonas, der sich sichtlich nervös, aber entschlossen der Herausforderung stellte. Seine Präsentation begann mit einer Folie, die den Titel «Die Auswirkungen von Disco-Musik auf das Verhalten von Eichhörnchen» trug. Das Publikum kicherte schon bei der ersten Folie; Jonas hatte die Lacher von Anfang an auf seiner Seite. Er erzählte mit ernstem Gesichtsausdruck und pseudowissenschaftlicher Präzision von experimentellen Tanzflächen im Wald und Eichhörnchen, die zu den Beats von Donna Summer ihre Nüsse vergraben. Jede Folie wurde absurder, und Jonas bewies seine Fähigkeit, die absurden Inhalte ernsthaft und mit einem Hauch von Ironie zu präsentieren.
Vom alten Ägypten bis zur modernen Zahnpasta
Als Nächstes trat eine Frau namens Laura auf die Bühne, die eine Präsentation über «Die Geschichte der Zahnpasta-Tubenverschlüsse» halten sollte. Die Folien waren eine wilde Mischung aus historischen Bildern, Diagrammen und obskuren Fakten. Auch Laura zeigte sich der Herausforderung gewachsen: Sie begann bei den ersten Verschlüssen im alten Ägypten, deren Technologie bis heute ungelöste Geheimnisse enthielt, und schloss eloquent mit den modernen Designs von heute.
Stefan wiederum, ein Mann mittleren Alters, hatte seinem Publikum Alltagshilfe zu einem nicht ganz alltäglichen Thema zu bieten: «Wie man ein Einhorn als Haustier hält.» Die erste Folie zeigte ein Bild eines bunt geschmückten Einhorns. Stefan erläuterte mit viel schauspielerischem Talent die angeblich wissenschaftlichen Grundlagen und praktischen Tipps zur Pflege von Einhörnern. Er sprach von speziellen Futterplänen, magischen Auslaufmöglichkeiten und – besonders ausführlich – über die Pflege des glänzenden Einhorn-Horns. Das Publikum brüllte vor Lachen, als Stefan auf eine Frage aus dem Publikum antwortete, dass das Einhorn-Horn bei Vollmond extra Streicheleinheiten brauche, damit sich das Einhorn nicht in ein Wer-Einhorn verwandle.
Was macht den besonderen Reiz von Powerpoint-Karaoke aus? Neben dem Improvisationstalent der Vortragenden ist es vor allem die Interaktion mit dem Publikum. An jenem Abend in Winterthur hat das gut funktioniert: Die Zuschauerinnen und Zuschauer stellten Fragen oder warfen spontane Kommentare ein, die Präsentierenden bauten ihre Antworten geschickt in ihren Vortrag ein.
Der Abend endete mit einer Abstimmung, bei der das Publikum den besten Vortrag wählen durfte. Unter grossem Applaus wurde Jonas mit seiner Disco-Eichhörnchen-Präsentation zum Sieger gekürt. Ich wiederum dachte beim Verlassen der Bar darüber nach, wie selten man solche Gelegenheiten erlebt. Powerpoint-Karaoke kann zeigen, wie viel Kreativität und Improvisation in uns allen steckt.
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