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Meinung

Petras Buchzeichen
Ich möchte gebraucht werden

ONLINE TEASER
Portrait von Petra Ivanov, Autorenbild der neuen Kolumnistinnen.
02.02.2023
(URS JAUDAS/TAGES-ANZEIGER)
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Zeit für ein Geständnis. Ich mag Psychotests. Vor allem, wenn es harzt und stockt beim Schreiben. Nur eine kleine Pause, sage ich mir, und schon sitze ich in der Falle. Dabei interessiert es mich gar nicht, welcher Dirndl-Typ ich bin. Auch nicht, ob Hunde oder Katzen besser zu mir passen (Hunde), oder wie viel Lara Croft in mir steckt (wenig). Wie hoch meine Ansprüche an mich sind, finde ich schon spannender, aber die Antwort darauf kenne ich auch ohne Fragebogen (hoch).

Mir ist klar, dass diese Tests keinen wissenschaftlichen Kriterien unterliegen. Wichtige Fragen («Liebt er mich wirklich?») kläre ich ohnehin lieber im Gespräch. Auf schnelle Lebenshilfe bin ich auch nicht aus. Warum also kann ich nicht widerstehen?

Vermutlich reizt mich die Einfachheit. Wenn ich einen Fragebogen ausfülle, ringe ich nicht um Wörter und Sätze. Ich brauche bloss ein Kästchen anzukreuzen, und schon habe ich eine Aussage zu Papier gebracht. Das ist Balsam für ein zermartertes Hirn.

Hauptsache, ich kann etwas ankreuzen

Neulich schrieb ich über eine Hausdurchsuchung. Ich versuchte, die Sinneseindrücke zu vermitteln, die meine Staatsanwältin hatte, fand jedoch die passenden Begriffe nicht. Immer wieder schloss ich die Augen und stellte mir vor, wie sie das Haus betrat. Vergeblich wartete ich darauf, dass sich Gerüche, Geräusche und Bilder in Worte verwandelten. Ich googelte Schweissfüsse und Schimmel, suchte Synonyme für Klicken und Klacken. Tauchte immer tiefer ins Internet ab. Schliesslich landete ich wieder bei einem Fragebogen. Es handelte sich nicht um einen Psychotest im herkömmlichen Sinn, sondern um einen Datenfilter, aber das war mir egal. Hauptsache, ich konnte etwas ankreuzen.

Thema war der Fachkräftemangel in der Schweiz. «Wie gefragt sind Sie?», lautete der Titel. Freudig wählte ich meine Tätigkeit: «Autoren und verwandte schriftstellerische Berufe». Anschliessend die Region, in der ich arbeite: «Zürich». Leider war ich damit schon am Ende angelangt, es gab keine weiteren Fragen. Ich klickte auf das Resultat: «In der Region Zürich verzeichnet diese Berufsgruppe einen deutlichen Fachkräfteüberschuss und liegt damit auf dem 28. von 31 Rängen.»

Dass es mich nicht braucht, musste ich erst einmal verdauen. Natürlich ist mir klar, wie viele Bücher jedes Jahr erscheinen. Doch es ist anders, die Zahlen Schwarz auf Weiss zu sehen. Warum ringe ich Tag für Tag um Wörter und Sätze, wenn es mehr als genug andere Menschen gibt, die dasselbe tun?

Kindheitstraum UNO-Generalsekretärin

Ich tröstete mich damit, dass es laut diesem Index nicht nur zu viele Autorinnen gibt, sondern auch zu viele Berufssportlerinnen, Museumswissenschaftler und Seelsorger. Trotzdem bedrückte mich die Statistik. Fairerweise muss ich sagen, dass nicht ich meinen Beruf gewählt habe, sondern er mich. Als Kind träumte ich davon, Generalsekretärin der UNO zu werden, doch daraus wurde leider nichts. Meine Talente beschränken sich auf Tetris spielen, Fragebögen ausfüllen und Sätze produzieren.

Dank einem Psychotest weiss ich, dass ich ein lösungsorientierter Mensch bin. Also überlegte ich mir, wie ich meinen Frust überwinden könnte. Indem ich einen neuen Beruf erlernte? Laut Fachkräftemangel-Index werden Spezialistinnen in Gesundheitsberufen am dringendsten gesucht. Ich dachte daran, wie gerne ich alleine bin, und verwarf die Idee. Entwickler und Analytikerinnen von Software und IT-Anwendungen werden ebenfalls benötigt. Mir fiel ein Programmierkurs ein, den ich vor einigen Jahren besucht habe. Nach drei Tagen brach ich ihn ab, weil ich nicht mehr folgen konnte. Berufe in Naturwissenschaften, Mathematik und Ingenieurwesen kamen ebenso wenig infrage. Zwar habe ich eine blühende Fantasie, bei Zahlen hört meine Vorstellungskraft jedoch auf.

Vielleicht war nicht mein Beruf das Problem, sondern meine Frustrationstoleranz? Ein paar Klicks, und ich fand einen entsprechenden Psychotest. Das Resultat: Ich lasse mich nicht leicht frustrieren. Fehlanzeige.

Ich grübelte weiter, und plötzlich kam mir ein Gedanke. Ich rief den Fachkräftemangel-Test erneut auf und wählte «Autoren und verwandte schriftstellerische Berufe». Diesmal aber änderte ich die Region. Statt «Zürich» klickte ich auf «Zentralschweiz». Als ich das Resultat sah, machte ich einen Freudensprung. «In der Region Zentralschweiz verzeichnet diese Berufsgruppe einen deutlichen Fachkräftemangel und liegt damit auf dem 6. von 31 Rängen», stand da.

Ich muss nur umziehen, um gebraucht zu werden.