Geschichte des gelben RiesenDie Post gab es noch vor dem Franken – so kittete sie die zerstrittene Schweiz
Als der Bundesstaat gegründete wurde, schafften die Pöstler Identifikation. Kein Wunder, schmerzen heute die Filialschliessungen so sehr.

- Die Post schliesst in den nächsten vier Jahren 170 Filialen.
- Besonders ländliche Gebiete sind von der Postschliessung betroffen.
- Die Post war historisch zentral für die Integration der Schweiz.
- Mit dem Rückgang der physischen Präsenz stellt sich eine Identitätsfrage.
Was, wenn unsere Poststelle wegfällt? Ist unser Dorf zu klein, zu unbedeutend, werden wir abgehängt?
170 Filialen schliesst die Post in den nächsten vier Jahren. Kürzlich wurde bekannt, welche betroffen sind. Besonders in den ländlichen Gebieten sind die Sorgen gross.
Nichts steht in der Schweiz so sehr für die Grundversorgung, für den Anschluss wie die gute alte Post. Selbst wenn die wichtigsten Dienstleistungen in Zukunft weiterhin angeboten werden – etwa partnerschaftlich im Lebensmittelladen –, selbst wenn die Postbotin noch immer täglich kommt: Der Verlust der Poststelle wiegt für viele Menschen schwer. Das hat auch historische Gründe.
Denn: Die Post hat die Schweiz erst zusammengeführt. Das tönt nach einer steilen Behauptung – die Nicolas Kessler, Sammlungskurator der Postgeschichte im Museum für Kommunikation Bern, aber nicht bestreiten würde. «Die Post ist das Erste vom neuen Bundesstaat, das sichtbar wurde», sagt er.

Vor 175 Jahren, 1849, wurde die Post gegründet. Ein Jahr nachdem der Bundesstaat aus der Taufe gehoben worden war. Wer denkt, die wackeren Eidgenossen seien seit eh und je ein einig Volk von Schwestern und Brüdern gewesen, irrt: Die junge Schweiz war zerstritten.
Scheinbar unversöhnliche Lager waren zwei Jahre vorher aufeinandergeprallt, beim Sonderbundskrieg im November 1847. Das Wallis, Freiburg und die Innerschweiz, katholisch und konservativ, wehrten sich gegen die liberale Übermacht des vorwiegend reformierten Rests der Eidgenossenschaft. Dieser wollte einen zentral geführten Staat installieren anstelle des bisherigen losen Zusammenhalts der Kantone.
Es war ein Kulturkampf zwischen Vergangenheit und Aufbruch, es ging um die Rolle der Kirche im Staat. 150 Menschen starben in einem der zahlreichen Gefechte, dazu kamen rund 400 Verwundete.
Post noch vor der Währung
1848 rauften sich die vormaligen Streithähne zur Gründung des Bundesstaats zusammen. Niemand hätte damals gedacht, dass damit eine Nation entstand, die später als Symbol für Beständigkeit und Frieden stehen würde.
Die eidgenössische Post wurde gegründet, noch bevor 1850 der Schweizer Franken, die erste gemeinsame Währung, eingeführt wurde. Sie hatte mit gutem Grund oberste Priorität: «Die Post ermöglichte den nötigen Kommunikationsraum für die Ämter in Bund, Kantonen und Gemeinden und für die Bürger - um den Staat machen zu können», sagt Nicolas Kessler vom Museum für Kommunikation.
«Der Nebeneffekt war vielleicht nicht bewusst angestrebt, aber er entpuppte sich als wichtig: Man war nicht einfach mehr nur Berner, Zürcherin oder Vaudois, sondern gehörte zur Schweiz, wenn man einen Brief in die neuen Kästen mit dem Schweizer Kreuz einwarf.» Die Post war also nicht nur ein Symbol für den noch jungen Staat, sondern trug wesentlich zur Identitätsbildung der Nation bei.

Der Pöstler - Postbotinnen gab es erst viel später - wurde zur wichtigen Bezugsperson, der persönliche Kontakt bedeutete für lange Zeit das Tor zur Welt. Er brachte die Post, die Zeitung und später sogar die AHV bis zum hintersten Hof im abgelegensten Weiler. Wenn Schnee lag, auf Ski. Er war eine konkrete Personalisierung des Staates, der in seiner frühsten Phase ansonsten abstrakt blieb. «Das zeigt sich in der Kleidung der Postboten, die Repräsentationscharakter hatte und an Armeeuniformen erinnerte», sagt Kessler. Der Staat war überall – und immer für einen kurzen Schwatz zu haben.
Viele andere Staatsaufgaben blieben in der Hoheit der Kantone: Die Bildung, die Kirche und selbst das Militär. Die Bundessteuern wurden erst während des Ersten Weltkriegs ab 1915 erstmals erhoben. Der Föderalismus war die Kompromisslösung der sich eben erst noch bekriegenden Kantone. Die Post war also der kleinste gemeinsame Nenner im jungen Staat. Sie ermöglichte einen zuverlässigen, einfachen und raschen Service.

Die Dienstleistung war nicht etwa etwas Neues, vor der Gründung des Bundesstaates gab es in allen Kantonen eine Post. Nur war sie völlig uneinheitlich und zum Teil von privaten Lizenznehmern organisiert. Zu europäischem Ruhm und viel Reichtum kam etwa die Berner Patrizierfamilie von Fischer durch «die schnellsten Postdienste Europas», wie es damals hiess. Von 1675 bis 1832 war die Berner Post in den Händen der Familie. Danach übernahm der Kanton Bern die Postregie.
Postpaläste zur Selbstinszenierung des Bundesstaats
Der Stellenwert der Schweizerischen Post zeigte sich ab dem Ende des 19. Jahrhunderts auch in der Architektur. In den Städten wurden regelrechte Postpaläste errichtet. In Genf, in Freiburg, in St. Gallen, aber auch in Herisau oder Aarau standen bald mächtige Bauten. «Sie dienten der staatlichen Selbstinszenierung», sagt Nicolas Kessler. Die Post war Teil der Staatsverwaltung. «Es ist kein Zufall, dass die Hauptpost in Luzern ähnlich aussieht wie das Bundeshaus.»

Die Verankerung in der Gesellschaft erlangte die Post nicht nur durch ihre bauliche Präsenz, durch zuverlässige Zustellung, durch Postkutschen und Postautos oder die Corporate-Identity-Farbe Gelb (von Beginn an waren die Fahrzeuge gelb, ab 1938 alles, was mit der Post zu tun hatte). Sie wurde auch eine wichtige Arbeitgeberin.
Im 20. Jahrhundert beschäftigte keine Firma in der Schweiz mehr Menschen als die Post, die immer mehr Aufgaben übernahm. Sie war für die Bargeldversorgung der Einwohnerinnen und Einwohner zuständig, auch die Radio- und Fernsehversorgung lief über die PTT. Und die Post baute das Telefonangebot auf. In den Städten entstanden die Netze kurz nach der Wende ins 20. Jahrhundert. Doch in den entlegenen Tälern dauerte die Erschliessung teilweise bis in die 1950er-Jahre. Der Brief blieb lange wichtig – auch weil das Telefonieren teuer war. Einzelne Briefmarken erzielten Auflagen von 50 Millionen Stück und mehr.
Ab den 1960ern wandelte sich das Image der Post, die starren Strukturen kriegten einen ältlichen Beigeschmack. Der Ruf nach Veränderung wurde lauter, zuerst unterliefen Piratenradiosender das staatliche Funkmonopol und erlangten eine teilweise Öffnung. In den 80ern wurde der Ruf nach der Privatisierung der Dienstleistungen laut, die in den 90ern dann weitgehend stattfand. Per 1. Januar 1998 wurde die PTT aufgelöst in die private Swisscom und die öffentlich-rechtliche, aber als Aktiengesellschaft organisierte Schweizerische Post.

Heute ist die Schweizer Post für viele Menschen in erster Linie ein Paketlieferdienst. Durch den Onlinehandel wächst dieser Bereich noch immer. Die steifen, repräsentativen Uniformen sind längst zweckdienlicher Arbeitskleidung gewichen. Viele Dienstleistungen werden online abgewickelt. Und doch steht die Post noch immer für Zuverlässigkeit, Sicherheit, Pünktlichkeit wie sonst nur die SBB.
Für ältere Menschen ist die Post mit Erinnerungen verbunden. Der typische Postgeruch aus Druckerschwärze und Tabak, das wuchtige Stempelgeräusch, die vertraute Person am Schalter.
Sie steht für eine schweizerische Identität, die unerschütterlich scheint – und die doch immer ein wenig erschüttert wird, wenn eine Poststelle schliesst.
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