Polemik in der WaadtRegierungsrat will Politdebatten an Schulen verbieten – das kommt schlecht an
FDP-Regierungsrat Frédéric Borloz verlangt strikte Neutralität im Unterricht – und stösst Politiker vor den Kopf. Schulen in der Deutschschweiz halten derweil an Wahlkampfpodien fest.
«Das beste Argument gewinnt.» Diesen Satz streuen freisinnige Politiker in Debatten gern ein. Auch der Waadtländer Bildungsdirektor Frédéric Borloz (FDP) galt bislang durchaus als Freund lebhafter Debatten. Doch mitten im Wahlkampf für den National- und Ständerat hat er nun entschieden, dass an Schulen in seinem Kanton keine Wahlkampfpodien stattfinden dürfen. Gymnasien müssen Podien mit Kandidierenden der Linken und der Rechten wieder absagen, die sie für Hunderte Schülerinnen und Schüler organisiert haben.
Das Verbot sprach Borloz aus, nachdem er im Juni einen Brief der Ständeratskandidaten Pierre-Yves Maillard (SP) und Raphaël Mahaïm (Grüne) bekommen hatte. Sie schrieben, in Zeiten von Ungewissheit und Zukunftssorgen sei es essenziell, dass gerade Vertreter der jungen Generation Zugang zu Politikerinnen und Politikern hätten, und baten Borloz, «die Organisation kontradiktorischer Debatten» zu unterstützen, damit sich möglichst viele Jugendliche an den Wahlen beteiligten.
«Das Gesetz verbietet jegliche politische Propaganda, und selbst kontradiktorische Debatten wären nicht gesetzeskonform.»
Borloz antwortete den Politikern Anfang August. Und er hatte keine guten Nachrichten für sie. Der Staatskundeunterricht gehöre zu den Prioritäten seines Departements, dazu gehörten auch das Kennenlernen des politischen Systems und Ideendebatten, schrieb der Bildungsdirektor. Jedoch würden politische Debatten das kantonale Gesetz für öffentliche Schulen verletzen, das die strikte Neutralität im Schulunterricht verlange. «Das Gesetz verbietet jegliche politische Propaganda, und selbst kontradiktorische Debatten wären nicht gesetzeskonform», schrieb Borloz in seinem Brief.
«An Debatten teilzunehmen, bedeutet immer auch, etwas über die Demokratie zu lernen.»
Den langjährigen Waadtländer Regierungspräsidenten Pierre-Yves Maillard irritiert Borloz’ Rechtsauslegung: «Ich bedauere die Überreaktion des Departementschefs. An Debatten teilzunehmen, bedeutet immer auch, etwas über die Demokratie zu lernen.»
Auch Raphaël Mahaïm kritisiert den Entscheid. Er sagt: «In der Diskussion mit Kindern und Jugendlichen erlebe ich immer wieder, dass sie am politischen Leben interessiert sind und unsere in Bern getroffenen Entscheidungen kritisch hinterfragen, zum Beispiel den Umgang mit Wölfen oder auch die Änderung des Sexualstrafrechts.» In seiner Zeit als Waadtländer Gymnasiast habe er jedenfalls von solchen Podien profitiert, und sie seien auch nicht verboten gewesen.
«Teil der politischen Bildung»
In der Deutschschweiz nimmt man den Waadtländer Entscheid erstaunt zur Kenntnis. «Bei uns gibt es keine analoge Regelung wie im Kanton Waadt», heisst es aus der Berner Bildungsdirektion. Auch der Zuger Nationalrat und Mitte-Präsident Gerhard Pfister kommentierte den Entscheid auf X, vormals Twitter. Er sei am Dienstag auf einem Podium der Kantonsschule Zug gewesen und habe die Veranstaltung als «fair und ausgewogen» wahrgenommen.
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Auch in Basel-Stadt sind Politpodien in Schulen keineswegs verboten. So findet am Gymnasium Leonhard eine moderierte Wahldebatte mit Diskussion für drei dritte Gymnasialklassen statt – mit vier Jungpolitikerinnen und -politikern von vier verschiedenen Parteien (Junge SVP, Jungliberale, Juso Basel-Stadt, Junges Grünes Bündnis). Gaudenz Wacker, Sprecher der Basler Bildungsdirektion, verweist dennoch darauf, «dass es zum Kern des Berufsauftrags einer Lehrperson gehört, den Unterricht ideologiefrei und politisch neutral abzuhalten».
Natürlich sei die Schule «grundsätzlich politisch neutral», heisst es auch aus dem Zürcher Bildungsdepartement. Debattieren sei aber «ein wichtiger Teil der politischen Bildung», deshalb unterstütze die Zürcher Bildungsdirektion das Projekt «Rede mit!», das mit Podiumsdiskussionen die politische Teilhabe von Lernenden fördert. Die Kampagne wiederum ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Kanton Zürich, dem kantonalen Jugendparlament, dem Verein «Discuss it» und dem Dachverband Schweizer Jugendparlamente.
Zumindest im Waadtländer Grossrat, wo die FDP stärkste Kraft ist und die Bürgerlichen knapp in der Mehrheit sind, sieht man die Sache anders. Hier steht man hinter Frédéric Borloz. Linkspolitiker wollten am Dienstag den Entscheid des Bildungsdirektors per Resolution umstossen. Der Rat lehnte dies mit 74 Nein- zu 62 Ja-Stimmen bei 5 Enthaltungen ab. Das Bildungsdepartement wird nun das Verbot in einer Direktive formell erlassen. Das Dokument werde derzeit finalisiert, teilt Borloz’ Sprecher auf Anfrage mit.
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