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Covid-19 in China
Peking lockert, und das halbe Land liegt flach

Wie ein Tsunami rast Corona derzeit durch das Milliardenreich: Freiwillige Helfer in Schutzanzügen an einem Bahnhof in Peking. (15. Dezember 2022)
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Die letzten zwei Monate waren hart für Herrn Gu, dem eine Reihe von Restaurants in Peking gehören. Erst hatten die Behörden Ende Oktober in weiten Bereichen der Stadt als Teil der Null-Covid-Strategie die Gastronomie geschlossen. Nur noch Takeaway war möglich, «aber das war nie das grosse Geschäft für uns». Dann kam Anfang Dezember die plötzliche Öffnung – und Gu musste seine Läden ganz schliessen. «Jeder war krank, ich, meine Mitarbeiter, jeder», berichtet er am Telefon. Nach und nach wurden die Mitarbeiter zwar wieder gesund, doch der Rest der Stadt lag noch flach mit Covid. Keine Kunden, keine Lieferfahrer.

Dennoch klingt Gu, der seinen vollen Namen nicht nennt, um keine Probleme mit den Behörden zu bekommen, optimistisch. Denn die Kunden kämen seit dieser Woche langsam wieder in die Fressmeilen der Einkaufszentren, wo die meisten seiner Läden liegen. «Wir haben einige Geschäfte, die 50 Prozent des Umsatzes erreichen, den sie vor der Pandemie erwirtschaftet hatten.» Es sei möglich, dass es in ein oder zwei Wochen 70 oder 80 Prozent sein werden. Bis zum Neujahrstag besteht seiner Ansicht nach die Chance, dass es überall in Peking wieder läuft.

«Es gibt Schmerzen, aber wir sind bereit, sie durchzustehen», sagt Gu. «Und danach wird alles vorbei sein und wir werden alle zu unserem normalen Leben zurückkehren», fasst er die Hoffnung vieler Unternehmer in China zusammen.

Corona rast wie ein Tsunami durch China

Wie ein Tsunami rast Corona derzeit durch das Milliardenreich. Die Unternehmer hoffen, dass die Menschen schnell wieder gesund werden und dann zurückkehren, arbeiten, Geld ausgeben. Einmal noch richtig leiden, dann soll aber bitte Schluss sein mit der Unsicherheit der vergangenen drei Jahre Null-Covid-Politik, die die Konsumlaune niederdrückte . Auch die jüngsten Signale der Regierung machen Hoffnung, dass künftig wieder mehr die Belange der Wirtschaft das Handeln der Kommunistischen Partei bestimmen werden. Doch manche Wirtschaftsvertreter mahnen zur Vorsicht.

Seitdem sich der Staat aus der Virusbekämpfung zurückgezogen hat, müssen die Unternehmen allein damit zu recht kommen. «Wir haben aktuell einen Krankenstand von 19 Prozent», berichtet Tim Leitschuh. Am Vortag seien es noch zwölf gewesen. Leitschuh ist Geschäftsführer für China bei der bayerischen Firma Bock, einem Zulieferer für die Büromöbel- und Autoindustrie. Am Standort im südchinesischen Dongguan arbeiten zwischen 350 und 450 Angestellte. Nicht alle fehlenden Mitarbeiter seien selbst infiziert, ergänzt Leitschuh, einige hätten kranke Familienmitglieder zuhause und dürfen als enge Kontaktperson nicht zur Arbeit kommen.

«Wir testen jeden Tag 100 Prozent unserer Belegschaft»

In seiner Fabrik nimmt man Corona nach wie vor sehr ernst. Die Maskenpflicht wurde wieder eingeführt und man achtet auf Mindestabstände und regelmässiges Desinfizieren. «Wir testen jeden Tag 100 Prozent unserer Belegschaft», berichtet Leitschuh. Früher hätten das die Behörden übernommen, mittlerweile müssen die Firmen das selbst tun. Auch einen Vorrat an Fiebermedikamenten hätten sie sich besorgt. Eine «Sisyphusarbeit für den Einkauf» sei das, weil es kaum noch Lagerbestände gibt.

Besucher vor einer Behelfsklinik in Hangzhou im Osten Chinas. Das Land leidet unter einer Corona-Welle. 

«In der Firma haben wir es wirklich ganz gut im Griff», glaubt er. Die Ansteckungen passierten anderswo. Ziel könne jedoch nur sein, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, damit nicht alle auf einmal krank werden. Wenn Mitarbeiter wegen Corona fehlen, dann zahle die Firma ihnen weiter den vollen Lohn. Das macht längst nicht jedes Unternehmen. Zu Produktionsausfällen sei es trotz der Erkrankten noch nicht gekommen. Denn ursprünglich als Vorbereitung auf einen Lockdown gedacht, hatte die Firma Werkstoffvorräte für eine zusätzliche Woche angelegt. «Davon profitieren wir jetzt.» Vereinzelte Lieferverzögerungen könne er aber nicht ausschliessen.

Krankenstand 50 Prozent

Einen völlig anderen Umgang mit Covid pflegt man im Werk des Elektromotorenherstellers Maxmore am anderen Ende der Stadt. Dort seien die Krankenzahlen «explodiert», sagt Geschäftsführer Moritz Berrenberg. Anfang der Woche lag der Krankenstand unter seinen knapp 200 Beschäftigten bei zehn Prozent, mittlerweile seien es 50 Prozent. «Ich seh es allerdings positiv», sagt er. «Lieber sind alle auf einmal krank und dann wieder schnell genesen.»

Corona-Massnahmen habe er in seiner Firma fast komplett abgeschafft. «Das macht jetzt eh keinen Sinn mehr.» Seitdem nicht mehr staatlich getestet wird, wüssten viele Menschen gar nicht, ob sie das Virus haben. Wer Symptome hat, soll zu Hause bleiben. «Aber Leute, die sich gut fühlen, dürfen weiterarbeiten.» Wegen der Ausfälle müsse er bei der Produktion jetzt schon priorisieren. Leiharbeiter gebe es auch keine mehr. Allerdings habe er noch vorproduzierte Lagerbestände, die werden jetzt ausgeliefert.

Gu, Leitschuh und Berrenberg sind für ihre Unternehmen optimistisch, dass sie die Krise gut überstehen werden. Ob das für die gesamte Wirtschaft gelten wird, ist fraglich. Der Präsident der Europäischen Handelskammer, Jörg Wuttke, rechnet damit, dass das erste Quartal des kommenden Jahres «unterirdisch» sein wird. Mit einer Besserung rechnet er erst im Frühling. «Bis dahin ist es ein langer Weg für viele Firmen», sagt er. «Ob sie das finanziell überleben?»

Permanenter Stress

Viele hätten schon das ganze Jahr über unter Lockdowns gelitten. Diese hätten für «permanenten Stress» in der Gesellschaft gesorgt und die Konsumausgaben einbrechen lassen. Die Unsicherheit verschärfte auch die Liquiditätskrise im wichtigen Immobiliensektor. Die Verkäufe sind drastisch gesunken.

Das Durchgreifen der Regierung gegen private Digitalfirmen vergangenes Jahr sei zudem «extrem demoralisierend» gewesen für den Privatsektor, der Wirtschaftszweig war über Jahre einer der Jobmotoren. Da eine Krankheit für die meisten Beschäftigten mit einem Lohnausfall einhergeht, werden sich die Konsumenten voraussichtlich auch in den kommenden Monaten mit grösseren Anschaffungen zurückhalten.

Auf ihrer Zentralen Wirtschaftskonferenz vergangene Woche hatten Staatschef Xi Jinping und hochrangige Parteikader eine Stärkung des Binnenkonsums als wirtschaftspolitische Priorität für das kommende Jahr angekündigt. Unter anderem soll der Absatz von Elektroautos und Immobilien angekurbelt und den Technologieplattformen das Arbeiten wieder leichter gemacht werden. Auch wolle China sich wieder stärker öffnen für ausländische Investoren.

«Taktische Zugeständnisse»

Analysten sind skeptisch: Xi werde keinesfalls zurückkehren zum «Pfad der Reform und Liberalisierung» seiner Vorgänger, schreibt das Londoner Analysehaus Enodo Economics. Es handle sich vielmehr um «taktische» Zugeständnisse, die dazu dienen, «das Vertrauen der Investoren aufrechtzuerhalten, während sich China auf einen schwierigen Winter vorbereitet».

Jörg Wuttke bezweifelt, dass die Regierung noch einen finanziellen Spielraum für grosse Wirtschaftspakete hat. Denn während sie hunderte Milliarden Euro für Covid-Tests ausgab, brachen ihr die Steuereinnahmen weg. Wuttke hofft dennoch, dass die Chinesen ihren Grundoptimismus, der in den vergangenen Jahren hart auf die Probe gestellt wurde, endlich wiederfinden. Nach dem Motto: «Ein Ende mit Schrecken ist immer noch besser als ein Schrecken ohne Ende.»