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Sexuelle Gewalt in der katholischen Kirche
Papst Benedikt soll Missbrauch verharmlost haben

 «Wenig glaubwürdig»: Der inzwischen zurückgetretene Papst Benedikt XVI., hier in einer Aufnahmen von 2005.
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Ein umfangreiches Gutachten zum Umgang mit sexualisiertem Missbrauch in der Erzdiözese München und Freising belastet den emeritierten Papst Benedikt XVI. schwer. Das im Auftrag der Erzdiözese von der Münchner Rechtsanwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) erstellte Gutachten sieht ein Fehlverhalten Benedikts in vier Missbrauchsfällen. Dem Gutachten zufolge hat der emeritierte Papst in seiner Zeit als Erzbischof in München Fälle von Missbrauch verharmlost oder abgestritten.

«Wir halten die Angaben des Papstes Benedikt für wenig glaubwürdig.»

Gutachter Ulrich Wastl

Zugleich kommen die Gutachter zu dem Schluss, dass der damalige Kardinal Ratzinger zur Frage seiner Verantwortung in einem besonders gravierenden Fall falsche Angaben gemacht haben dürfte. «Wir halten die Angaben des Papstes Benedikt für wenig glaubwürdig», sagte Gutachter Ulrich Wastl bei der Vorstellung der Studie.

Auch der aktuelle Erzbischof Kardinal Reinhard Marx hat dem im Auftrag der Erzdiözese erstellten Gutachten zufolge in zwei Missbrauchsfällen Fehlverhalten gezeigt. Erzbischof Marx war ausdrücklich zu der Präsentation des Gutachtens eingeladen worden, hat ein Erscheinen aber den Anwälten zufolge abgelehnt.

Fast 500 Geschädigte, 67 Täter

Die fünf Gutachter haben seit Anfang 2020 Fälle sexualisierten Missbrauchs durch Kleriker sowie hauptamtliche Bedienstete im Zeitraum 1945 bis 2019 und den Umgang damit im Erzbistum untersucht. Sie gehen von mindestens 497 Geschädigten im untersuchten Zeitraum aus. Zudem müsse eine hohe Dunkelziffer vermutet werden. Sie sprechen von 67 tatsächlichen oder mutmasslichen Missbrauchstätern. Die Opfer seien überwiegend Buben und männliche Jugendliche gewesen. (Lesen Sie hier, wie zwei Zürcher Historikerinnen sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche aufarbeiten.)

Haben im Auftrag der Erzdiözese ermittelt: Barbara Leyendecker, Ulrich Wastl, Marion Westpfahl und Martin Pusch (von links nach rechts) der Münchner Anwaltskanzlei WSW bei der Präsentation ihres Gutachtens. 

Festgestellt wird in dem Gutachten, dass die Kirche und ihre Spitze das Leid der Opfer lange nicht sehen wollten, sondern stattdessen «in ihnen eine Gefahr für die Institution sahen». Die Gutachter sprechen von einer «vollständigen Nichtwahrnehmung der Opfer» angesichts von massiven Vorwürfen. Von einem «Bild des Schreckens» sprach der Gutachter Ulrich Wastl.

«Zu beleuchten ist das erschreckende Phänomen der Vertuschung.»

Gutachterin Marion Westpfahl

«Zu beleuchten ist das erschreckende Phänomen der Vertuschung», sagte die Gutachterin Marion Westpfahl zu Beginn der Vorstellung des Gutachtens. Es gehe heute angesichts der Fakten nicht mehr darum, Grunderkenntnisse zu gewinnen, sondern um unerlässliche Konsequenzen. «Es geht auch und insbesondere um individuelle Schuld», sagte Westpfahl.

Von 1977 bis 1982 Erzbischof von München

Das Gutachten betrifft dabei auch die Amtsführung des emeritierten Papstes Benedikt XVI. als Erzbischof: Kardinal Joseph Ratzinger war von 1977 bis 1982 Erzbischof von München und Freising. In dieser Zeit kam es zu einem der gravierendsten Missbrauchsfälle im Bereich des Erzbistums. Das Verhalten Joseph Ratzingers in seiner Zeit als Kardinal müsse neu bewertet werden, sagte Gutachterin Marion Westpfahl.

Strittig war bisher, wie viel Ratzinger von dem Fall gewusst hat und ob er in den Umgang damit involviert war: Der Priester Peter H. war von Essen nach München versetzt worden, nachdem er dort bereits Kinder missbraucht hatte. Er wurde zu Therapiezwecken ins Erzbistum München geschickt, wo er erneut Übergriffe beging und strafrechtlich verurteilt wurde.

Vatikan reagierte empört

Die Verantwortung für den Einsatz des Priesters trotz seiner Vorgeschichte übernahm seinerzeit der damalige Generalvikar Gerhard Gruber. Er hat nun gegenüber den Gutachtern erklärt, dass er dazu gedrängt worden sei, die Verantwortung zu übernehmen. Die «Süddeutsche Zeitung» in München hatte den Fall Anfang 2010 enthüllt, der Vatikan hatte damals empört reagiert und von einem Angriff auf den Papst gesprochen.

Der emeritierte Papst Benedikt erklärt in einer Stellungnahme, dass er bei der Sitzung am 15. Januar 1980 nicht dabei gewesen sei, als über den Einsatz des einschlägig vorbelasteten Priesters beraten wurde. Diese Aussage ist nach Einschätzung der Gutachter «wenig glaubwürdig». Der Gutachter Wastl zitierte aus dem Protokoll der damaligen Ordinariatssitzung. Demzufolge hatte Kardinal Ratzinger in ebendieser Sitzung von einer Trauerfeier und einem Gespräch des damaligen Papstes Johannes Paul II. mit deutschen Bischöfen berichtet.

Generalvikar «bewegt und beschämt»

Der Münchner Generalvikar Christoph Klingan hat sich nach der Vorstellung des Gutachtens zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising «bewegt und beschämt» gezeigt. «Meine Gedanken sind in dieser Stunde zunächst bei den Betroffenen», sagte er.

Die Staatsanwaltschaft München I ist auf Grundlage der Recherchen der Kanzlei WSW bereits aktiv geworden. Im August vergangenen Jahres habe sie von der Kanzlei Material über 41 Fälle zur Verfügung gestellt bekommen, in denen aus Sicht der Gutachter ein Fehlverhalten kirchlicher Verantwortungsträger gegeben sei. Das erklärte die Staatsanwaltschaft auf Anfrage.