Erdbebenserie auf griechischer InselTausende Menschen verlassen Santorini – Hauptbeben steht wohl noch bevor
Seit Tagen bebt es auf der Ferieninsel, Seismologen rechnen mit dem Schlimmsten. Der Ansturm auf die Fähren- und Flugtickets ist gross – bereits ein Drittel der Einwohnenden ist geflohen.

Am zwölften Tag der Erdbebenserie auf der beliebten Ferieninsel Santorini und den umliegenden Eilanden verlassen weiterhin viele Menschen die Region. Erschütterungen waren auch auf den Nachbarinseln Amorgos, Anafi und Ios spürbar, wo ebenfalls Massnahmen ergriffen wurden.
Allein von den rund 16’000 Einwohnerinnen und Einwohnern Santorinis soll mehr als ein Drittel nach Athen und zu anderen Festlandsorten geflohen sein, berichten griechische Medien. Unter den Passagieren auf den grossen Fähren sind vor allem Frauen und Kinder.
In der Nacht auf Dienstag wurden erneut zahlreiche Erdstösse gemessen. Der stärkste erreichte eine Stärke von 4,9. Beben dieser Grössenordnung sind für die Insulaner noch nicht gefährlich und auch nicht selten. Es ist die dichte Taktung, die die Menschen in Angst versetzt – und die Frage, auf welche Weise das Phänomen enden wird.
Nach wie vor rechnen griechische Seismologen damit, dass das Hauptbeben noch bevorsteht. Erst anschliessend könne gesagt werden, ob sich die aufgestaute seismische Energie in der Region entladen habe. Die Stärke solch eines Bebens könnte bei 5,5 bis 6 liegen. In diesem Bereich sind die Gefahren weiterhin verhältnismässig gering; gefährdet seien dann vor allem schlecht gebaute Häuser, heisst es. Allerdings kann niemand mit Sicherheit sagen, ob ein Hauptbeben auch die Stärke 7 erreichen könnte – dann wäre mit massiven Schäden zu rechnen.
Die Experten können keine Entwarnung geben, zumal die Erdstösse in der Stärke tendenziell ansteigen. Auch vor Tsunamis warnen sie. Die Vorkehrungen beim Katastrophenschutz laufen auf Hochtouren.
Sorgen bereitet den Wissenschaftlern zudem, dass durch die andauernden Beben der grosse Vulkan Kolumbos aktiviert werden könnte, der nordöstlich der Insel unter Wasser liegt. Er hatte im Jahr 1650 bei einer gewaltigen Eruption schwere Schäden im gesamten östlichen Mittelmeer angerichtet.
Letztendlich können keine sicheren Prognosen abgegeben werden
Obwohl Fachleute das Szenario eines schweren Erdstosses nicht ausschliessen können, rechnen sie aber nicht zwangsläufig mit dem Schlimmsten. Efthymios Lekkas etwa, Chef der griechischen Behörde für Erdbebenschutz, glaubt nicht, dass es zur Katastrophe kommt. Der Geologe hofft, dass sich die aufgestaute seismische Energie mit einem Erdbeben der Stärke 5 bis 5,5 entladen und danach langsam Ruhe in der Region eintreten könnte, wie er dem Sender ERTnews sagte.
Allerdings verweisen Lekkas und all seine Kollegen stets darauf, dass man letztlich keine sicheren Prognosen abgeben könne.
Der Ansturm auf die Fähren- und Flugtickets auf Santorini bleibt jedenfalls gross. «Ich habe seit Tagen nicht geschlafen, die Kinder und die Frauen weinen, es bebt alle fünf Minuten», wird ein Inselbewohner am Dienstag von der Deutschen Presse-Agentur zitiert. Er hatte einen Platz auf der Fähre Blue Star 1 nach Athen ergattert.

Fluglinien haben Sonderflüge eingerichtet, auch zusätzliche Fähren sollen fahren. Fernsehbilder zeigten vollgepackte Autos fliehender Menschen. «Ich fühle mich wie ein Flüchtling im eigenen Land», klagte eine Frau. Die Fähre mit 1600 Plätzen war voll belegt.
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«Wir haben ein sehr intensives geologisches Phänomen zu bewältigen», sagte Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis in Brüssel. Er forderte die Inselbewohner auf, Ruhe zu bewahren und auf die Anweisungen des Katastrophenschutzes zu hören.
Per Mobiltelefon wurde auf Santorini vor der Gefahr von Felsstürzen gewarnt. Die Behörden untersagten den Zugang zu einigen Küstengebieten, einschliesslich des alten Hafens der Insel.
Inselbewohner: «So etwas habe ich noch nie erlebt»
Die Nacht auf Montag haben die Menschen auf Santorini im Freien oder in ihren Autos verbracht, berichtete die Zeitung «To Proto Thema».
Die Häufigkeit der Erdstösse beunruhigte Anwohnerinnen und Touristen. «So etwas habe ich noch nie erlebt – alle zehn bis 20 Minuten ein Erdbeben», sagte Michalis Gerontakis, der auch Leiter des philharmonischen Orchesters von Santorini ist. «Alle sind beunruhigt, auch wenn einige von uns es verbergen, um keine Panik zu verursachen.»
«Wir hatten schon früher Erdbeben, aber nie so etwas wie dieses. Das fühlt sich anders an», sagte Nadia Benomar, eine marokkanische Reiseleiterin, die seit 19 Jahren auf der Insel lebt.
Die griechische Regierung hielt am Sonntagabend eine Krisensitzung ab. Einheiten des Katastrophenschutzes wurden vorsorglich nach Santorini geschickt, auch das Militär bereite sich auf einen möglichen Hilfseinsatz vor, berichtete der Nachrichtensender ERTnews.
Rettungsteams der Feuerwehr trafen am Sonntag auf Santorini ein und errichteten Zelte neben dem grössten Krankenhaus der Insel.

Die Behörden bitten die Anwohner, sich an die Notfallpläne und Anweisungen zu halten; so bleiben Schulen geschlossen, Veranstaltungen sind untersagt.
Ausserdem sollen Pool-Besitzer ihre Wasserbecken leeren – das Poolwasser könnte bei einem schweren Beben derart in Bewegung geraten, dass noch mehr Schäden verursacht würden. Selbst Vulkanausbrüche können die Fachleute nicht ausschliessen – diese könnten durch mögliche schwere Erdstösse verursacht werden.
Erinnerungen an 1956 werden wach
«Der Alptraum von 1956 kehrt zurück», titelte die Zeitung «Ta Nea» am Montag. Damals hatten zwei Beben der Stärke 7,7 und 7,2 sowie die darauffolgenden Tsunamis in der Region Dutzende Opfer gefordert und schwere Schäden verursacht. (Erfahren Sie in diesem Bericht, warum die Erde in Griechenland so häufig bebt.)

Rund um Santorini befinden sich neben einem spektakulären Krater des Vulkans der Insel auch andere Vulkane unter der Meeresoberfläche sowie jene tektonischen Platten, die durch ihre Bewegungen starke Erdbeben verursachen können.
DPA/bor/nic/sme
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