Papablog: Kommentar zum BildungssystemNie wieder Schule?
Die Schule beginnt zu früh und dauert zu lange, sowohl im Stundenplan als auch hinsichtlich des Alters. Zeit, den Status quo zu hinterfragen.
Als ich Ihnen Anfang des Jahres einen Text darüber zugemutet habe, warum Hausaufgaben abgeschafft gehören, waren die Reaktionen darauf zahlreich und interessant. Es wurde heftig gestritten mit zum Teil wirklich guten Argumenten auf der Gegenseite. Ich mag Streit. Also nicht dieses Angekeife, was zu viele von uns nach Jahren des Herumstänkerns in sozialen Netzwerken für Streit halten, sondern richtigen Streit. Streit als Mittel, um einen Konflikt aufzulösen.
Deshalb suche ich heute mal wieder ein bisschen Streit: Ich finde, Schule beginnt viel zu früh und dauert viel zu lang. Also nicht nur (aber auch) mit Blick auf die Tageszeiten, sondern auch hinsichtlich des Alters. Wir beschulen Kinder je nach Schulform vom sechsten Lebensjahr an beinahe bis zur Volljährigkeit. Manchmal sogar darüber hinaus. Wir tun das nicht zuletzt auch mit Schulwissen, das nur in den seltensten Fällen frei wählbar ist und modular aufeinander aufbaut, sondern das auf schlichter Lehrplanvermittlung beruht.
Ich wünsche mir eine ehrlichere Debatte darüber, in welchem Mass Schulen eben auch Verwahrungsanstalten für Kinder sind.
Das ist nicht die Schuld von Lehrkräften, das ist einfach der Stand der Dinge. Und genau mit diesem Stand bin ich unzufrieden. Lehrpläne sollten weder derartig aufgebläht sein, noch sich selbst genug. Lehrpläne sollten klar begründbaren Zielvorgaben folgen: Ein Kind muss Lesen und Schreiben und Rechnen lernen, um …, ein Kind sollte einen Überblick über Geografie und Geschichte haben, weil …
Für derlei Zielvorgaben lassen sich leicht nachvollziehbare Begründungen formulieren. Für viele andere aber nicht. Für krummlinig begrenzte Flächenberechnung, die Geschichte des Jazz und vieles mehr sollte man sich frei entscheiden können, weil die Begründungen für eine Wissensvermittlung dieser Themen an die Allgemeinheit sehr, sehr dünn ausfallen.
Bildungsrevolution – jetzt!
Und damit wir uns nicht missverstehen: Ich rede hier nicht von Homeschooling. Ich bin froh, dass meine Kinder tolle und fähige Lehrkräfte haben, die ihnen Lerninhalte viel besser beibringen als ich es kann. Aber ich würde mir eine ehrlichere Debatte darüber wünschen, in welchem Mass Schulen eben auch Verwahrungsanstalten für Kinder sind. Das haben wir doch alle insbesondere während Corona schmerzhaft erfahren müssen, oder etwa nicht? Dass wir plötzlich alle nicht mehr richtig arbeiten konnten, weil die Betreuung nicht gewährleistet war.
Wir sind nicht in erster Linie darauf angewiesen, dass unsere Kinder bis zur Eigenverantwortung beschult werden. Wir sind darauf angewiesen, dass sie bis dahin betreut werden. Weil wir in 40-Stunden-Jobs hängen, den Haushalt machen, Steuererklärung und den ganzen anderen Erwachsenkram. Mir ist klar, dass wir hier nicht bei «Reib die Wunderlampe» sind, wie mein Vater sagen würde. Die Tatsache, dass ich nicht zuletzt auch einfach mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen würde, ändert nichts an der Situation. Auch nicht meine Begründung, dass ich sie sicher nicht deshalb bekommen habe, um sie vielleicht mal an Wochenenden und in Ferien ganze Tage zu sehen. Aber wir haben uns so sehr daran gewöhnt, durch Erwerbsarbeitszwang Kinderverwahrungsmöglichkeiten zu benötigen, dass wir uns nur allzu gerne einreden, diese enorme Zeitspanne von zehn oder mehr Jahren würde hauptsächlich mit sinnvollen Sachen gefüllt.
Und was, wenn nicht? Was wären die Konsequenzen daraus: Kürzere Schulzeiten? Andere Lehrinhalte? Weniger Erwerbstätigkeit? Kleinere, aber zahlreichere Bildungseinrichtungen jenseits von Schule? Ich weiss es nicht. Aber ich hätte wirklich gerne mal eine andere Antwort als «Das ist eben so!».
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