AboPremiere am Opernhaus«Die tote Stadt»: Regisseur gönnt Zürich kein Happy End
Dmitri Tcherniakov thematisiert in seiner Neuinszenierung der Korngold-Oper häusliche Gewalt. Seine Lesart wirkt bezwingend – trotz tückischem Bühnenbild.

- Regisseur Dmitri Tcherniakov nimmt in der Oper «Die tote Stadt» harte Eingriffe vor.
- Hinter der Fassade einer Häuserzeile steigert sich ein Gewalttäter in einen Wahn und lässt den Frust an seiner Freundin aus.
- Die Partien sind für die Sängerinnen und Sänger äusserst anspruchsvoll.
- Die Inszenierung mit dem mehrstöckigen Bühnenbild beeindruckt, hat allerdings auch ihre Schwächen.
Gleichsam wie ein Leichentuch fällt am Ende der schwarze Vorhang auf der Bühne des Opernhauses Zürich. Stille herrscht im Saal, der Schlussakkord hallt nach, bevor zögerlich Applaus aufbrandet: Die Premiere am Ostermontag von Erich Wolfgang Korngolds Oper «Die tote Stadt» – oder vielmehr Dmitri Tcherniakovs radikale Lesart davon – ist geschafft.
Der russischstämmige Regisseur, längst an den grossen Opernhäusern des Westens zu Hause, nimmt in seiner Neuproduktion des spätromantischen Dreiakters von 1920 einschneidende, schmerzhafte Eingriffe vor.
Zwar bleibt der trauernde Witwer Paul im Zentrum, der in der Tänzerin Marietta ein Abbild seiner verstorbenen Frau Marie sieht. Doch wo das Libretto auf Traumlogik und Symbolismus setzt, geht Tcherniakov immer wieder in den harten Realismus: Paul wird als aggressiver Patriarch mit Minderwertigkeitskomplex gezeigt, der erst seine Frau Marie in den Suizid treibt und später Marietta erwürgt. Mit Brigitta (mit wunderbar dunklem Timbre: Evelyn Herlitzius) steht ihm eine brave Haushälterin zur Seite.
Anspruchsvolle Gesangspartien
Die Symbolik des Originals weicht mitunter drastischem Körpertheater: Der Tenor Eric Cutler als Paul und die Sopranistin Vida Miknevičiūtė als Marietta lassen den tödlichen Konflikt nicht nur hören, sondern körperlich spüren – singend, schreiend, keuchend, weinend. Besonders im dritten Akt zeigen beide stimmlich wie darstellerisch Höchstleistungen. Die Gesangspartien sind äusserst anspruchsvoll, Eric Cutler ist die Anstrengung seines Rollendebüts mitunter anzuhören.
Der Regisseur Tcherniakov, auch studierter Architekt, hat für das Drama ein eindrückliches Bühnenbild entworfen: Eine düstere Häuserzeile schwebt über dem Bühnenboden, hinter der Fassade tun sich familiäre Abgründe auf. Die kalte Lichtgestaltung von Gleb Filshtinsky lässt die Figuren in den Zimmern isoliert wirken – Edward Hopper lässt grüssen.

Marietta erscheint in den Kostümen von Elena Zaytseva als knallige Rebellin, später wird sie zur Puppe degradiert. Sie gehört einer anarchischen Untergrundbewegung an, die Brügge auf Inline-Skates unsicher macht.
Der mehrstöckige Bühnenbau hat allerdings akustische Schattenseiten. Zwar scheint die erhöhte Position den Stimmen zunächst zu helfen, doch durch die räumliche Distanz zum Graben mischt sich der Gesang mit dem Klang des Orchesters manchmal nur ungenügend. Vor allem im ersten Akt verpufft Pauls stimmliche Ekstase im leeren Raum, sobald er sich von der Fensterfront entfernt.
Junger Schweizer Maestro am Pult
Der junge Lausanner Dirigent Lorenzo Viotti, Generalmusikdirektor der niederländischen Nationaloper, hält die Philharmonia Zürich und den dicht gearbeiteten Orchestersatz zusammen, doch wirkt der Klang zunächst kontrolliert-farblos. Das bekannte Lautenlied «Glück, das mir verblieb» wird zerdehnt.
Spätromantische Ekstase stellt sich erst im zweiten Akt ein. Hier sind die Gesangssolisten näher beim Publikum und Orchester, der Abend gewinnt an Energie.

Besonders der Bariton Björn Bürger als Frank überzeugt: Sein Pierrot-Lied trägt er mit tänzerischem Rhythmus, klarer Diktion und starker melodischer Spannung vor – ein Highlight des Abends.
Höhensichere Sopranistin Miknevičiūtė
Im dritten Akt gelingt dann auch das Zusammenspiel über alle Ebenen hinweg: Fast Slapstick-artig begleiten die Instrumentalisten die Gesten der Sänger. Cutler und Miknevičiūtė stemmen sich mit Kraft durch das finale Psychodrama. Ihre Stimmen stossen an die Grenze des Singbaren, ohne an Ausdruckskraft zu verlieren.
Miknevičiūtė beeindruckt mit sicherer Höhe und Bühnenpräsenz. Der eskalierende Streit des Paars wird zu einem stimmlichen Kräftemessen – getrieben von eruptiven Orchesterakzenten, als habe der Dirigent seinen Taktstock gegen einen Hammer eingetauscht. Die Singstimmen können sich über dem gross besetzten Orchester nur mit Härte behaupten.

Das Libretto – gemeinsam von Erich Korngold und seinem Vater auf Grundlage des symbolistischen Romans «Bruges-la-Morte» verfasst – lässt den finalen Femizid als Albtraum mit Raum für ein Happy End erscheinen. Doch die Musik kann man auch anders verstehen: Sie ist durchzogen von Unruhe, Klanghärte, Verismo. Kurz: Ereignisse im Hier und Jetzt, die aufrütteln.
In diesem Licht wirkt Tcherniakovs Deutung der Oper bezwingend: Das Muster, nach dem man(n) seinen aufgestauten Frust am schwächeren Gegenüber auslässt, weist über innere Zustände hinaus auf eine soziale Realität mit häuslicher Gewalt.
Im Programmbuch lässt der Regisseur wissen, er wolle die Distanz des Publikums zum Bühnengeschehen überwinden: «zumal in Zürich, dieser Stadt, die auf mich zuweilen wie ein Kurort wirkt».
Nächste Aufführungen: 25. April, 2., 6., 9., 17., 21. und 29. Mai, 1. Juni. Weitere Infos und Vorverkauf unter Opernhaus.ch.
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