Abo«Wut und Liebe» vom BestsellerautorDer Schluss gelingt, aber der Rest? So ist der neue Martin-Suter-Roman
Eine Liebesgeschichte, eine Krimihandlung, ein raffinierter Plot – doch ganz glücklich wird man nicht mit dem Buch. Immerhin wird ordentlich geschlemmt und getrunken.

- Das neue Buch von Martin Suter, «Wut und Liebe», dreht sich um den Künstler Noah und seine Freundin Camilla.
- Das Buch vereint eine Liebesgeschichte, eine Krimihandlung und einen raffinierten Plot.
- Ein schneller Szenenwechsel und detaillierte Szenenbeschreibungen dominieren die Atmosphäre des Romans, die Figuren bleiben aber etwas eindimensional.
Wer Martin Suter mag und weiss, was er im Fach der gehobenen literarischen Unterhaltung kann – und könnte –, hatte es nicht leicht in den letzten Jahren. Nach dem sehr hübschen «Elefanten», das war schon 2017, hat dieser ungemein produktive Autor nur einen richtigen Roman vorgelegt, «Melody», dafür aber das schwer erträgliche Fussballbuch «Einer von euch», zwei Labertitel mit Stuckrad-Barre und mehrere Allmen-Krimis. Ausserdem beständig hohe Aktivität auf seiner Website. Umso grösser Freude und Erwartung seiner Gemeinde: endlich wieder ein «richtiger» Suter!
«Wut und Liebe» bietet auch all das, was Titel und Autor versprechen: eine Liebesgeschichte, eine Krimihandlung, einen raffinierten Plot, bei dem, das kann er nun wirklich, die Voraussetzungen, unter denen wir Leser angetreten sind, nach und nach hinfällig werden. Was wir für Fakten hielten, waren, neudeutsch gesprochen, Fake News; ähnlich wie der Held von den Personen sind wir vom Autor an der Nase herumgeführt worden, aber anders als zu seinem: zu unserem Vergnügen.
Sie setzt auf Luxus, er auf die Kunst
Zu den Fakten – jedenfalls zu denen, denen man trauen kann: Noah, ein junger Künstler, wartet auf den Durchbruch. Seine Freundin Camilla, eine Buchhalterin, will nicht mehr warten. Sie findet es «ungerecht, schön zu sein und kein schönes Leben zu haben». Also verlässt sie ihn, obwohl sie ihn liebt, und sucht sich einen mit Geld. Findet ihn auch schnell, einen Carl mit Kohle und Personal Trainer, zieht erst zu ihm, dann in ein Luxusapartment, lässt sich aushalten und sogar 50’000 Franken als Einstiegskapital für die Fashion-Agentur ihrer Freundin Liz vorschiessen.
Auch Noah findet eine Mäzenin: die Mittsechzigerin Betty, die er beim Mojito-Trinken in der Blauen Tulpe kennen lernt (Drinks und die dazu geeigneten Orte spielen eine grosse Rolle im Roman). Sie trauert um ihren Mann Patrick, der von seinem Partner in der Unternehmensberatung Zaugg in den Tod getrieben worden sei. Überhaupt sei dieser Zaugg ein kapitaler Unhold, und sie könne erst in Ruhe sterben, wenn jemand ihn vor ihr zur Strecke bringe. Sagt sie. Der geübte Suter-Leser traut dem Braten, der ihm hier vorgelegt wird, nicht ganz, denkt aber, es laufe wohl auf ein Remake von Highsmiths «Zwei Fremde im Zug» hinaus, und ist gespannt auf das Folgende.
Blitzschneller Szenenwechsel wie im Film
Das Folgende ist ein Hin und Her von Camilla – die ihren Carl dann doch wieder verlässt – und Noah, der es beinahe von seiner mässigen zu einer tolleren Galerie schafft mit einer Serie von Dreierbildern seiner nackten Freundin, was aber schiefgeht, der sich von seinem parkinsonkranken Vater ein Präzisionsgewehr beschafft und dem Unhold Zaugg im Wald auflauert, und Betty, die ihn mal erschossen sehen will, dann wieder nicht.
Das springt, wie filmisch geschnitten, schnell in Kurzkapiteln hin und her, man gleitet wie auf Seifenfilm durch die Sätze, richtige Spannung will aber nicht aufkommen, nicht mal im Wald, wo mal Spaziergänger, mal Hündeler, mal eine andere Route des Zielobjekts den finalen Todesschuss verhindert. Suters Prosa ist gewohnt widerstandslos, die Adjektive überraschungslos (der Beamte ist – was? – «spiessig»). «Er war wirklich kein Nullachtfünfzehn-Mann», heisst es über Carl – dafür gibt es leider etliche Nullachtfünfzehn-Sätze.
Dafür blüht das Dekor. Von Drinks und den Orten dafür war schon die Rede. In der Blauen Tulpe gehen Betty und Noah vom Mojito über Cuba Libre zum Champagner über. Werden Cafés oder Restaurants besucht, fehlt weder der Name vom «Espressino» über das «Easy», vom «Ambiente» zum «Steinbauer» noch die Innenausstattung noch die Speisenfolge: Maronen-Kürbis-Auflauf mit 5-Früchte-Shake, Thai-Curry mit Tom-Yam-Gung-Suppe… Im Sushi-Lokal Meshiagare gibt es Nigiri, Sashimi und Maki.
Realismus à la Suter im Gourmettempel
Im Chez Vous, dem «legendären Gourmetlokal», sieht es so aus: «An der hohen Stuckdecke hingen zwei gedimmte venezianische Kronleuchter, die zusammen mit den Appliken an den Wänden und den Kerzen auf den Tischen den Raum in behagliches und die Gäste in schmeichelhaftes Licht tauchten. Geschirr und Gläser klangen festlich und die Stimmen kultiviert. Es duftete diskret nach Parfums, Speisen und Weinen.» Realismus à la Suter bedeutet: Marken und Namen; Szenenangaben wie für einen Filmregisseur. Atmosphäre entsteht so nicht unbedingt. Hält sich ein Roman penetrant im Bereich der Mehrbesseren auf, fehlt es auch stilistisch an der Fallhöhe.
Das Dekor triumphiert auch über die Personen, das Äussere verschlingt das Innenleben. Die Charaktere werden über ihre Cocktailvorlieben, ihren Drang nach Stil – nein, nach Style! – im Wohnzimmer gekennzeichnet – und vor allem nach den finanziellen Voraussetzungen dafür. Es fehlt ihnen an Tiefe, an Charakter und letztlich auch an Plausibilität.
Was ist denn Noah überhaupt für ein Künstler? Sucht er doch vor allem nach «Wiedererkennbarkeit» – auf Deutsch: nach einer Marke oder noch deutlicher Masche, die sich verkaufen lässt. Erst malt er immer wieder seinen Hinterhof, dann Dreierserien der nackten Camilla, am Schluss vernebelt er seine Bilder. Stil: egal. Camilla, die kleine Buchhalterin, stösst an ihrer neuen Stelle im Archiv auf Ungereimtheiten und bringt damit schnurstracks den grossen Unhold Zaugg zur Strecke. Glaubhaft?
Immerhin, der «Twist», die Täter-Opfer-Umkehr auf den letzten Metern, das ist Martin Suter wieder einmal gut gelungen. Auch wenn man es mehr oder weniger geahnt hat.

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