Hype um künstliche IntelligenzNvidia-Umsatz explodiert – die KI-Revolution schreitet voran
Der Umsatz des Technologiekonzerns Nvidia hat sich im vergangenen Quartal mehr als verdoppelt. Das zeigt, wie gross die Nachfrage nach Chips für die künstliche Intelligenz weiterhin ist.
In den drei Monaten Mai, Juni und Juli beliefen sich die Einnahmen auf 30 Milliarden Dollar, 122 Prozent mehr als vor einem Jahr. Weil die Analysten noch mehr erwartet hatten, fiel der Aktienkurs im nachbörslichen Handel um knapp 7 Prozent.
Die mit Spannung erwarteten Geschäftszahlen zeigen jedoch, dass der Boom der künstlichen Intelligenz (KI) weiterhin heiss läuft. Der stets in einer Lederjacke gekleidete Firmenchef Jensen Huang wurde zur Galionsfigur der KI. Denn Nvidia liefert die Hochleistungs-Chips, ohne die Techfirmen wie Microsoft, Amazon oder Google die extrem rechenintensiven KI-Anwendungen in ihren Rechenzentren nicht bewältigen können.
Der Geschäftsgang des Chipherstellers gibt deshalb Hinweise auf die enormen Investitionen, die weltweit in die KI getätigt werden. Nvidias Aktienkurs hat in den letzten zwölf Monaten um rund 160 Prozent zugelegt. Mit einer Börsenkapitalisierung von 3,1 Billionen Dollar ist Nvidia das zweitwertvollste Unternehmen der Welt hinter Apple.
Die KI-Revolution schreitet voran. Kein Unternehmen will zurückbleiben. An jeder Investorenkonferenz versuchen die Firmenchefs, die Fantasie der Anleger mit Hinweisen auf die eigenen KI-Anstrengungen anzuregen.
So soll der Einsatz von künstlicher Intelligenz im Hörgerät Schwerhörigen ein viel besseres Hörverständnis in lärmiger Umgebung ermöglichen, verspricht der Hörgerätehersteller Sonova. Der Genfer Prüfkonzern SGS hat ein von KI unterstütztes System entwickelt, das Chipsätze in vernetzten Geräten erkennt und deren Prüfung um den Faktor 20 beschleunigt.
Belimo erhöht die Umsatzprognose, weil der Klimaspezialist von den Innovationen in Rechenzentren für künstliche Intelligenz profitieren soll. Der Pharmariese Roche optimiert Medikamententests mit KI. Der Tomatenproduzent Mutti setzt optische Sensoren ein, die mit KI auf das Erkennen verschiedener Defekte trainiert wurden und unerwünschte Geschmacksverderber signalisieren.
Halbierung der Belegschaft – wegen KI
Am Mittwoch kündigte der Chef von Klarna an, fast die Hälfte seiner Belegschaft werde gestrichen. Das schwedische Fintech-Unternehmen wickelt Zahlungen nach dem Prinzip «Kaufe jetzt, zahle später» ab. Sebastian Siemiatkowski sagte der «Financial Times», dass Klarna in den kommenden Jahren möglicherweise nur noch 2000 statt der heutigen 3800 Mitarbeitenden beschäftigen könnte, weil KI für Aufgaben im Kundenservice und Marketing eingesetzt werde: «Wir können nicht nur mehr mit weniger tun, sondern wir können mit viel weniger viel mehr tun.»
Natürlich ist das auch Werbung für den Börsengang, den Klarna plant. Aber es zeigt, welche Fantasien KI in den Unternehmen und an den Finanzmärkten freisetzt.
Fantasien weckt KI auch im Bildungsbereich. Die Khan Academy, eine gemeinnützige Bildungseinrichtung, betrieben von Chat-GPT, hat die App Khanmigo entwickelt. Dank KI-Werkzeugen können Schüler jederzeit mit Albert Einstein oder William Shakespeare sprechen oder sich ein Mathematikproblem Schritt für Schritt erklären lassen. Die allwissende KI-Lehrkraft kennt den Wissensstand und das Lerntempo jedes Kindes und steht ihm persönlich jederzeit voll zur Verfügung – da kann kein Privatlehrer mithalten. Gemäss Utopisten und Technologiegläubigen werden Lehrkräfte, Stundenpläne und Schulhäuser bald überflüssig.
Wachsender Beliebtheit erfreuen sich KI-Freunde wie die Replika-App. Statt mit Menschen kommunizieren immer mehr Leute mit solchen digitalen Begleitern, die sie besser kennen, besser verstehen und ihnen scheinbar mehr Empathie entgegenbringen als menschliche Freunde.
Auch Kriminelle kennen die Vorteile der KI: Die in Grossbritannien ansässige Ingenieurgruppe Arup verlor rund 25 Millionen Dollar, nachdem Betrüger eine digital geklonte Version eines leitenden Managers verwendet hatten, um finanzielle Überweisungen während einer Videokonferenz anzuordnen.
Der voll automatisierte «KI-Wissenschaftler»
Vor zwei Wochen veröffentlichten Wissenschaftler der Universitäten Oxford und British Columbia sowie des Vector Institute in Toronto eine Arbeit mit dem Titel «Der KI-Wissenschaftler: Auf dem Weg zur vollautomatischen wissenschaftlichen Entdeckung mit offenem Ausgang». Sie beschreibt ein System, das es KI-Modellen ermöglicht, eigenständig zu forschen.
KI ist dabei nicht bloss ein Hilfsmittel zur Unterstützung der menschlichen Forscher, sondern automatisiert den gesamten Forschungsprozess. Das japanische Start-up-Unternehmen Sakana AI entwickelt den «KI-Wissenschaftler», der neue Forschungsideen generiert, Computer-Code schreibt, Experimente durchführt und ein vollständiges wissenschaftliches Papier schreibt – zu Kosten von weniger als 15 Dollar.
Das klingt noch sehr utopisch und auch ein wenig unheimlich. Wie KI die Welt verändern sowie die menschlichen Beziehungen und die Arbeit beeinflussen wird, ist noch überhaupt nicht absehbar.
KI befindet sich noch in der Anfangsphase
Manche Experten halten die Erwartungen für übertrieben. In der Vergangenheit haben Technologien nicht einfach die Arbeitskräfte ersetzt, sondern vor allem die Art der Arbeit verändert, die diese verrichten. Die Arbeitnehmenden wurden damit produktiver, die Einkommen stiegen. Ob dies auch mit KI der Fall ist – niemand kann das heute sagen.
Durch die Einführung von KI könnte die Wertschöpfung in der Schweiz bis im Jahr 2030 um mehr als 90 Milliarden Franken höher ausfallen, schätzt das Beratungsunternehmen Accenture. KI soll enorme Produktivitätssteigerungen ermöglichen.
Allerdings befindet sich die Technologie noch in ihrer Anfangsphase, in der vor allem grosse Investitionen getätigt werden. Davon profitieren die Firmen, die Technik, Infrastruktur und Know-how für den Aufbau der KI liefern – also Cloud-Anbieter wie Amazon oder Microsoft, Berater – und eben Chiphersteller wie Nvidia.
Bei den Unternehmen, die KI anwenden, fallen vorerst vor allem hohe Kosten an. Ihre Investitionen treiben den Aktienkurs von Nvidia nach oben. Die Produktivitätssteigerung ist für sie erst ein Versprechen für die Zukunft.
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