Mamablog: Grenzen der KleinfamilieNieder mit den Hecken!
Dauerärger mit den Nachbarn und dauergestresste Eltern: Warum das Konzept der kleinen Systeme nicht zu funktionieren scheint.
Kürzlich erzählte mir eine Freundin, dass in ihrer Strasse die Polizei vorgefahren sei. Aber nicht etwa, weil bei den Hubers häusliche Gewalt oder bei den Schubigers Feuer gesichtet worden wäre. Nein. Es wurde gemeldet, dass die Hecke der Vögelins schon so lange nicht geschnitten worden sei, dass sie den öffentlichen Weg versperre. Meine Freundin mag nicht viel Ahnung von Heckenschnitt haben, doch dass es sich bei der angeblichen Wegsperrung einzig um ein paar rausgewachsene Blätter handelt, erkannte selbst ihr ungeübtes Auge.
Zum Glück sah die Polizei das ähnlich und entliess die Vögelins mit einem: «Eifach wieder mal schniede, gälled Sie!» Doch es war nicht das erste Heckendrama in der Strasse meiner Freundin. Einmal wurde nachts gar eine Gestalt beobachtet, die heimlich des Nachbars Hecke stutzte! Wir lachten herzlich über diese Geschichten. Doch später zu Hause kam ich ins Grübeln.
Bedrohung von Klein-Systemen
Warum tun Menschen sowas? Sind wir vielleicht gar nicht dafür gemacht, im fetten Nest (nein, meine Freundin lebt nicht in einer Villengegend) zu hocken? Verlagern Menschen mangelnde existentielle Probleme auf Nichtigkeiten und glauben dann ernsthaft, diese seien relevant? Wird des Kämpfens willens gekämpft, weil alte Programme uns dazu treiben? Oder geht es vielmehr um die Verteidigung von Grenzen? Um die Bedrohung der Klein-Systeme? Um die Angst, unsere Bedürfnisse bekämen im öffentlichen Raum kein Gehör?
Jedenfalls frage ich mich nicht erst seit dem Heckendrama, was die Lebensform kleiner Systeme mit uns macht. Glücklich, wer dabei auf das vielzitierte Dorf zurückgreifen kann, doch die meisten können das nicht. Ich persönlich bezweifle, dass das Standardmodell der Kleinfamilie wirklich der Natur des Menschen entspricht. Denn gemäss Mariam Irene Tazi-Preve, Autorin des Buches «Das Versagen der Kleinfamilie», dränge diese Lebensform eine zu hohe Glückserwartung in einen zu engen Raum. Und es überfordere uns deshalb immer wieder, all unsere Aufgaben unter einen Hut zu bringen, weil der Hut einfach zu klein sei.
Denn wir wollen viel. In Beruf und Schule ist voller Einsatz gefragt. Unsere Beziehung soll auch nach der dreihundertsten Diskussion über Socken am Boden immer mal wieder prickelnd und unsere Kinder top erzogen sein. All das soll ein attraktiver, trainierter Körper in einem gepflegten Heim leisten. Me-Time will kultiviert, die Ehe genährt, Freundschaft gepflegt sein. Hohe Qualität überall, bitte sehr. Wir müssen uns nur gut genug organisieren, dann bleibt irgendwo zwischen Elternabend, Fensterputzen und der Weiterbildung zur Steuersekretärin sicher auch noch Zeit, die Welt zu retten.
Alles nur Luxusprobleme
Das normalste Lebensmodell in unseren Breitengraden trägt hohe Ansprüche auf seinen schmalen Schultern. Und sollte das in Leere und Erschöpfung münden, sollte man das besser nicht zu laut sagen. Schliesslich leben wir privilegiert und das sind alles nur Luxusprobleme, pfui aber auch. Doch das ändert nichts daran, dass in vielen Familien zu hohe Ansprüche einem Manko an Ressourcen gegenüberstehen. Was früher in der Grossfamilie ein weiteres Mitglied mit erledigte, bleibt heute an zwei, oft auch an nur einer Person hängen oder wird gegen teures Geld ausgelagert.
Dabei ist nur schon die Idee, sicheres Aufwachsen von Kindern mit romantischer Liebe zu verbinden, sehr jung. Eine schöne Vorstellung, klar, doch die hohe Trennungsquote spricht eine andere Sprache. Und statt anzuerkennen, wie viel wir uns tagtäglich abfordern, betrachten wir eine Trennung weiterhin als persönliches Scheitern. Wir murmeln: «Schade, habens die Hubers nicht geschafft!» und übersehen dabei, dass es sich womöglich genauso um ein strukturelles, wie ein persönliches Scheitern handelt – wenn man den unbedingt vom Scheitern reden will.
Nieder mit den Hecken – zumindest im Kopf
Ich weiss nicht, was die Lösung ist. Schliesslich bin auch ich ein Kind der individualisierten Zeit und kann mir weder vorstellen, in einer WG mein Joghurt anzuschreiben, noch beim nächsten Familientreffen in die Runde zu schreien, ob wir nicht alle zusammen in ein grosses Haus ziehen wollen. Auch glaube ich nicht, dass das Forstamt freudig reagieren würde, wenn ich mit meinen Nachbarn als Nomaden den Uetliberg abgrasen würde. Obwohl ich glaube, dass die Sesshaftigkeit des Menschen, der Besitz und dessen Verteidigung den Ursprung des Themas bildet.
Darum ist die Entwicklung zu neuen Wohnformen genauso zu begrüssen, wie alle Beziehungsmodelle, die weiter gehen als von Kind-zu-Eltern-und-zurück. Was nicht ausschliesst, Geborgenheit, Sicherheit und Individualität auch zu geniessen, welche die Kleinfamilie bietet. Aber bitte: Nieder mit den Hecken! Wenn nicht im Garten, so doch zumindest im Kopf.
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