Papablog: Geteilte KindheitserinnerungenWeisch no …?
Die Zwangsgemeinschaft von Geschwistern ist nicht immer einfach. Doch die gemeinsamen Erinnerungen sind für die Ewigkeit.

Seit dem zweiten Kind freuen wir uns über etwas ganz besonders: dass Beebers und der Brecht gerne miteinander spielen. Auch wenn sie einander zwischendurch schon ordentlich ankeifen. Ich will kein schlechtes Wort über Einzelkinder verlieren, schliesslich war ich selber mehrmals eins. Ich kenne die Vorzüge. Aber es schleckt kein ekliger Bruder im Übermut weg, dass die Kindheit mit Geschwistern mehr Action bietet. Mehr Stoff für Erinnerungen. Zum Beispiel daran, wie unsere Mutter meine Schwester und mich mit den Einkäufen allein liess. Zwei Kinderhirne haben bekanntlich mehr Ideen als eins – und so saugten wir je eine Tube Erdbeer-Zahnpasta leer. Ich habe den Geschmack noch heute im Mund.
Ein andermal fuhr ich mit meinem kleinen Bruder ins Nachbardorf. Eine falsche Abzweigung, schon hatten wir uns verirrt und strampelten auf unseren kleinen Kindervelos immer ferner. Es war bereits Nacht, als wir schliesslich an einem zufällig ausgewählten Haus klingelten, um unsere Eltern anzurufen. Etwas spät, wie sich herausstellte. Das ganze Dorf und die Polizei suchten seit Stunden nach uns.
Meine allzeit bereiten Komplizen
Geschwister sind nicht nur allzeit bereite Komplizen beim Umsetzen zweifelhafter Ideen. Sie helfen einem später auch, die Erinnerung an die Kindheit aufrecht zu erhalten. Wer soll es denn sonst tun? Die Eltern, die durch ihre Abwesenheit diese Erlebnisse am Limit überhaupt erst ermöglicht haben? Weggezogene Kindheitsfreunde? Nein, die Geschwister waren dabei und mit etwas Glück, bleiben sie einem auch im Erwachsenenalter erhalten.
Bei aller Kindheitsromantik: Geschwister sind längst nicht immer Seelenverwandte.
Was hätte ich nicht alles längst vergessen, ohne die typischen Worte meines Bruders: «Weisch no …?» Zuletzt witzelten wir auf Whatsapp über unsere alte Gewürzschublade, in der wirklich jedes Kraut seit Jahren abgelaufen war. Kein Wunder, haben wir Kinder damals lieber Zahnpasta gegessen.
Bei aller Kindheitsromantik: Geschwister sind längst nicht immer Seelenverwandte. Mein Bruder und ich besassen schon früh grundverschiedene Persönlichkeiten. Er als Nachtmensch und ich als Morgenmensch hatten nur wenige gemeinsame Tagesstunden, an denen wir beide wirklich wach waren. Wir stritten uns in einer Regelmässigkeit, die eine Freundschaft nicht überlebt hätte. Doch als Geschwister ist weglaufen nur schwer möglich. Spätestens bei der nächsten Mahlzeit sassen wir gemeinsam am Tisch, vertrugen uns wieder oder schickten den Streit mit Fusstritten in die Verlängerung.
Gemeinsame Interessen? Überbewertet!
Diese Zwangsgemeinschaft bescherte uns auch im Erwachsenenleben einen guten Zusammenhalt. Ohne gemeinsame Kindheit wären sich ein geselliger Wirt und ein zurückgezogener Autor kaum so verbunden. Nachdem wir von zu Hause ausgezogen waren, stritten wir uns nie wieder.
Seit ich Kinder habe, ist meine eigene Kindheit seltsam nahe und doch weiter weg als je zuvor. Ich bin jetzt im Team der Erwachsenen. Als ich kürzlich in Kindheitserinnerungen stöbern wollte, fiel mir auf, wie wenig Fotos von mir und meinem Bruder existieren. Die meisten Filmrollen sind damals im sonnig parkierten 1988er Renault Espace geschmolzen, bevor meine Eltern sie entwickeln konnten.
Schade, denn was Kindheitserinnerungen angeht, bin ich inzwischen allein auf mein Hirn angewiesen. Meine Schwester wurde 8 Jahre alt, mein Bruder 36. Ich vermisse sie täglich. Umso mehr hoffe ich, dass Beebers und der Brecht bis ins hohe Alter über ihre gemeinsame Kindheit lachen können.
Fehler gefunden?Jetzt melden.